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Greenspan: Der Freeman der Finanzmärkte

10.02.2006  |  Claus Vogt
- Seite 6 -
Das Gesamtmodell

Nachdem ich die große Baisse der Jahre 2000 bis 2003 richtig gesehen hatte, unterschätzte ich das Ausmaß der folgenden Bearmarketrallye insbesondere an der deutschen Börse sehr deutlich. Da ich aber zu den ersten gehörte, die den großen Bullenmarkt der Rohstoffe und Edelmetalle prognostiziert haben, und außerdem frühzeitig zum Einstieg am japanischen Markt riet, schmerzt diese Fehleinschätzung nicht allzu sehr. Dies gilt umso mehr, da trotz der steigenden Kurse der vergangenen zwei bis drei Jahre meine Hypothese eines im Jahr 2000 begonnenen langfristigen Bärenmarkts in den USA und in Europa weiterhin gilt.

Statt einer normalen Bearmarketrallye mit Kursgewinnen von 30% bis 50% und einer zeitlichen Ausdehnung von 6 bis 18 Monaten, erlebten wir eine zyklische Hausse, die höhere Gewinne bescherte und deutlich mehr Zeit in Anspruch nahm. Mehr ist bisher zumindest nicht passiert. Beispielsweise befinden sich die Kurse des S&P 500 heute auf dem demselben Niveau wie vor sieben Jahren. Das sind sieben lange Jahre ohne Kursgewinne, aber mit großer Aufregung und sehr starken Verlusten zwischendurch. Das ist durchaus typisch für einen langfristigen Abwärtstrend in inflationären Zeiten und ähnelt dem Börsenverlauf während der letzten langfristigen Baisse, die in den USA von 1966 bis 1982 und in Deutschland sogar von 1961 bis 1982 dauerte.

Die große Herausforderung liegt jetzt in der Prognose des Endes dieser zyklischen Hausse. Sollte die oben diskutierte Zinsstrukturkurve in den kommenden Wochen invers bleiben, dann müssten wir schon relativ bald mit dem Schlimmsten rechnen. Mein Gesamtmodell befindet sich bereits seit geraumer Zeit in einem zu größter Vorsicht mahnenden Modus.

Die fundamentale Bewertung der US-Aktienmärkte befindet sich historisch betrachtet auf einem nur sehr selten erreichten hohen Niveau. Zu diesem Ergebnis kommt man bei der Betrachtung aller klassischen Kennzahlen der Fundamentalanalyse wie Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), Dividendenrendite oder Kurs-Buchwert-Verhältnis. Beispielsweise beträgt das KGV des S&P 500 Index stattliche 19, und das zu einer Zeit, in der die Unternehmen Rekordgewinne verbuchen durften. Eine Fortsetzung der zyklischen Hausse ist vor diesem Hintergrund nicht wahrscheinlich. Die Unternehmensgewinne, die bekanntlich äußerst zyklisch sind und um einen langfristigen Durchschnittswert von rund 6% per annum schwanken, liegen zur Zeit weit über diesem Durchschnitt. Von hier aus ist die weit verbreitete Hoffnung auf ein weiteres Jahr zweistellig steigender Unternehmensgewinne sehr unwahrscheinlich. Ich rechne für das gesamte Jahr 2006 mit einem Rückgang der Gewinne und sehe für diesen Fall ein ganz erhebliches Enttäuschungspotenzial an der Börse. Außerdem läuft der aktuelle Bullenmarkt rein zeitlich betrachtet bereits einige Monate länger als es dem Durchschnitt zyklischer Haussen in der Vergangenheit vergönnt war.

Die monetären Rahmenbedingungen sind negativ. Am 31. Januar erhöhte die US-Notenbank bereits zum 14. Mal in Folge die Zinsen auf nunmehr 4,5%. Die daraus resultierende sehr flache bzw. leicht inverse Zinsstrukturkurve habe ich weiter oben diskutiert. Die letzte Verlautbarung der Fed deutet nicht auf ein unmittelbar bevorstehendes Ende der Zinserhöhungen hin, eine für längere Zeit inverse Zinsstruktur erscheint also vorprogrammiert zu sein. Damit dürfte schon sehr bald eines der verlässlichsten Klingelzeichen zum Ausstieg an der Börse deutlich zu vernehmen sein. Wetten, dass es auch dieses Mal nahezu kein Gehör finden wird? Das Geldmengenwachstum beschleunigte sich im Anschluss an die verheerenden Hurrikaneschäden wieder. Auf Jahresbasis stieg M1 um 0,1%, M2 um 4,0%, M3 um 7,6% und MZM um 3,2%. Das sind noch immer relativ niedrige Zahlen im Zeitalter der hemmungslosen Geld- und Kreditvermehrung, die für eine Neuauflage der liquiditätsgetriebenen Spekulationsblasen an den Aktien- und Immobilienmärkten kaum ausreichen dürften.

Die Sentimentindikatoren zeigen weiterhin einen sehr hohen Optimismus an. Das ist umso ungewöhnlicher, da die Performance der US-Börsen in den vergangenen beiden Jahren alles andere als spektakulär war. Hoher Optimismus und Sorglosigkeit gehen meistens Hand in Hand mit deutlichen Kursgewinnen. In Zeiten unterdurchschnittlicher Börsenentwicklung kommt üblicherweise Pessimismus auf. Ich halte die Kombination unterdurchschnittlicher Performance und großem Optimismus für ein sehr gefährliches Gebräu. In der historischen Einordnung deuten die Sentimentindikatoren auf ein sehr großes Risiko an der US-Börse hin.


Fazit

Das in allen Komponenten negative Gesamtmodell mahnt zu großer Vorsicht. Dasselbe gilt für die Zinsstrukturkurve. Noch hat letztere das große Klingelzeichen einer bevorstehenden Rezession nicht gegeben. Aber bereits jetzt deutet sie auf eine deutliche wirtschaftliche Abschwächung und fallende Unternehmensgewinne hin. Das mit großem Hurra und teilweise euphorischen Kurssprüngen begonnene Jahr 2006 verspricht ein überaus spannendes zu werden.


© Claus Vogt



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