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Greenspan: Der Freeman der Finanzmärkte

10.02.2006  |  Claus Vogt
- Seite 5 -
Fed bald am Ende der Zinssteigerungsrunde angekommen?

Die erste große Aufregung des neuen Jahres betraf die am 3. Januar, dem ersten New Yorker Börsentag des Jahres, veröffentlichte Mitschrift der letzten Fed-Sitzung. Sie wurde von den seit vielen Jahren durch dick und dünn stets bullishen Journalisten und Analysten als Anlass für viel Freude und Erregung aufgenommen, da der Text ihrer Meinung nach das baldige Ende der im Juni 2004 begonnenen Zinssteigerungsrunde der Zentralbank signalisiere. Ich beteilige mich hier nicht an der zur lächerlichen und peinlichen Mode gewordenen rabulistischen Interpretation der Verlautbarungen von Notenbankern, da es im Umgang mit (Geld-) Politikern von Torheit und Naivität zeugt, Worten und Versprechen Glauben zu schenken. Ich bleibe bei dem jedem selbstverantwortlichen Bürger, der die Funktionsweise moderner Massendemokratien versteht, angeratenen und durch Erfahrung bestätigten Skeptizismus, der die Akteure an ihren Taten misst und nicht an ihren Worten. Folglich warte ich die künftigen geldpolitischen Entscheidungen gelassen ab und stütze meine Analysen auch weiterhin auf Taten statt auf Worte.

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S&P500 Index und Zinsschritte der Fed, 2000 bis 2002. Quelle: Bloomberg

Die Pfeile zeigen die Zinsschritte der Fed. Die damals letzte Zinserhöhung fand im Mai 2000 statt.
Im Januar 2001 folgte die erste Zinssenkung einer außergewöhnlich aggressiven geldpolitischen Kampagne.
Die Baisse am Aktienmarkt konnte damit aber nicht aufgehalten werden.


Aber ich erinnere meine Leser in diesem Zusammenhang an das Ende der letzten Runde staatlich administrierter Zinsanhebungen. Vor fast genau fünf Jahren, am 3. Januar 2001, senkte die Fed angesichts der platzenden Spekulationsblase am Aktienmarkt in einer von Panik geprägten Überraschungsaktion den Zins um einen halben Prozentpunkt auf 6,0%. Die Börse quittierte diesen Coup mit einem der größten Tagesanstiege aller Zeiten. Dieser erwies sich allerdings trotz zahlreicher weiterer Zinssenkungen als Strohfeuer, denn die Baisse hatte gerade erst begonnen und sollte noch rund 2 Jahre lang erhebliche Kursverluste bescheren.

Dieses Muster zeigt sich bei der Betrachtung früherer Zinszyklen übrigens auch. Einer bis ins Jahr 1920 zurück reichenden Untersuchung von Comstock Partners zufolge verlor der Dow Jones Industrial Average in den Monaten nach der jeweils letzten Zinsanhebung durchschnittlich 19%.Es gab allerdings Ausnahmen. In vier der insgesamt 16 Fälle kam es nicht zu deutlichen Kursverlusten. Das prominenteste Beispiel ist sicherlich das Jahr 1995, in dem die größte Aktienblase aller Zeiten begann.

Was die euphorischen Käufer im Januar 2001 vergessen hatten, war die Tatsache, dass geldpolitische Marktmanipulationen ihre Wirkungen mit großer zeitlicher Verzögerung entfalten. Angesichts einer platzenden Spekulationsblase war das ein überaus kostspieliger Fehler. Aber Menschen wären keine Menschen, wenn sie nicht regelmäßig in der Lage wären, die gleichen Fehler immer und immer wieder zu machen.

Werden wir eine Neuauflage der Ereignisse von Anfang der 2000er Jahre erleben? Schließlich befinden sich die US-Börsen noch immer auf historisch extrem hohen Bewertungsniveaus und an den Immobilienmärkten wurde nicht zuletzt dank tatkräftiger Unterstützung der Notenbank eine gewaltige Spekulationsblase erzeugt. Die Zutaten für eine große unangenehme Überraschung an den Finanz- und Immobilienmärkten Amerikas sind unzweifelhaft vorhanden.


Der US-Finanzsektor erscheint unattraktiv

Im Zusammenhang mit der fast schon euphorisch zuversichtlich zu nennenden Spekulation auf ein baldiges Ende der Zinssteigerungen konnten amerikanische Finanzwerte deutlich zulegen. So stieg der Bankenindex im Lauf der Jahresendrallye von 93 Zählern am 12. Oktober 2005 auf 106 am 28. November 2005. Dieser steile Kursanstieg von 14% in sechs Wochen führte die Kurse sogar über die alten Hochs bei rund 105 Punkten, die zur Jahreswende 2004/05 markiert wurden. Es folgte eine enge Seitwärtsbewegung, die die Hoffnungen der Bullen nährte, die in dieser Bewegung einen Ausbruch nach oben, das heißt ein technisches Kaufsignal erkennen wollten. Diese Hoffnungen wurden jedoch zunichte gemacht, da die Kurse ihre Aufwärtsbewegung nach erfolgter Korrektur nicht fortgesetzt haben, sondern in einer scharfen Bewegung in die alte Kurszone zurückgefallen sind. Damit muss das technische Kaufsignal als Fehlsignal betrachtet werden.

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US-Bankenindex, 2003 bis 2006. Quelle: Bloomberg

Der Chart zeigt eine mächtige potenzielle obere Umkehrformation dieses sowohl volkswirtschaftlich als auch für die Börse wichtigen Sektors.


Das ist zunächst nicht weiter schlimm. Wir alle wissen, dass es Fehlsignale gibt. In diesem speziellen Fall hat sich durch den oben beschriebenen Kursverlauf allerdings das technische Bild des Bankenindex deutlich verschlechtert. Denn durch den Rückfall der Kurse in die alte Formation ist deren Potenzial als womöglich sehr bedeutende obere Umkehrformation plötzlich wieder in den Vordergrund gerückt. Ihre Herausbildung hat nunmehr über 2 Jahre in Anspruch genommen, und ihre Ausdehnung von Unter- zu Obergrenze beträgt rund 15%. Beides passt bestens zu den Anforderungen an eine obere Umkehrformation. Aus technischer Sicht ist die Sachlage damit relativ einfach: Ein Kursverfall unter die im Bereich 91 bis 93 Zähler verlaufende untere Begrenzungslinie der Formation würde ein eindeutiges Verkaufssignal erzeugen.

Auch unter fundamentalanalytischen Gesichtspunkten erscheint der US-Finanzsektor nicht nur unattraktiv, sondern sogar erheblich gefährdet zu sein. Das relative Kurs-Gewinn-Verhältnis, also bezogen auf den S&P 500-Index, nähert sich der alten Rekordmarke von 1997/98. Kurz danach, ab Sommer 1998, kamen speziell die Finanzwerte im Zusammenhang mit der Russland- bzw. LTCM-Krise sehr stark unter die Räder. Deutet sich hier die überfällige Trendwende an?

Es gibt noch andere, schwerwiegende Gründe, die für eine Baisse der Finanzwerte sprechen. Zuallererst denke ich hier natürlich an die nahezu inverse Zinsstruktur in den USA. Eine inverse Zinsstrukturkurve wirkt eindeutig bremsend auf das Geschäft der Banken. Das gilt sowohl für das Kreditgeschäft, bei dem die Margen sinken und die Ausfälle steigen, als auch für den Eigenhandel. Normalerweise lohnt es sich nicht, auf eine Fortsetzung eines Finanzbooms zu setzen, nachdem die Notenbankpolitik restriktiv geworden ist. Die Notenbank bestimmt mit ihrer Geldpolitik nämlich ganz maßgeblich die Wachstumsmöglichkeiten der Banken. Und es sind die Notenbanken, die in diesem Spiel am längeren Hebel sitzen, nicht die Banken. Die relativ hohe Bewertung des Sektors erscheint angesichts dieser theoretisch und empirisch bestens belegten Zusammenhänge nicht gerechtfertigt zu sein. Sie ist vielmehr das Ergebnis einer relativ ungewöhnlichen Spekulationswelle, in deren Zentrum die Vorwegnahme des Endes der restriktiven Fed-Politik steht.

Interessant ist die Entwicklung des Finanzsektors noch aus einem sehr viel weiter reichenden Grund. Der Sektor hat die mit Abstand größte Gewichtung im S&P 500-Index. Ein ausgeprägter Kursrückgang der Finanzwerte wird also deutliche Spuren im Index hinterlassen und mit großer Wahrscheinlichkeit Teil einer allgemeinen Baisse sein.




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