Greenspan: Der Freeman der Finanzmärkte
10.02.2006 | Claus Vogt
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US-Zinsstrukturkurve signalisiert zunehmende RezessionsgefahrUnter der Zinsstrukturkurve versteht man die Differenz zwischen langfristigen und kurzfristigen Zinssätzen. Normalerweise sind die Zinssätze innerhalb einer Risikoklasse umso höher, je länger die Laufzeit ist. Dahinter steht der Gedanke, dass mit längeren Laufzeiten das Risiko einer Anlage oder ganz allgemein die mit ihr verbundene Unsicherheit zunimmt. Je länger Sie Ihr Geld verleihen, desto höher ist natürlich die Wahrscheinlichkeit unangenehmer Überraschungen. Beispielsweise kann Ihr Schuldner zahlungsunfähig oder zahlungsunwillig werden oder die Inflationsraten können höher ausfallen als von Ihnen erwartet. Im Extremfall erhalten Sie dann Ihr Kapital in Form von wertlosem Papiergeld zurück. Als Ausgleich für diese potenziellen negativen Entwicklungen verlangen Gläubiger für längere Laufzeiten höhere Zinsen.
Hin und wieder kommt es jedoch zu einer markanten Abweichung von der soeben beschriebenen Zinsstruktur. Der volkswirtschaftlich überaus wichtige Markt für Fremdkapital ist bereits seit vielen Jahrzehnten selbst in den freiheitlichsten Ländern der Welt ein staatlich manipulierter und kontrollierter. Ganz im Geiste kommunistischer Zentralkomitees bestimmen die Zentralbanken das Geschehen in erheblichem Ausmaß, indem sie den kurzfristigen Zins fixieren. Entweder tun sie das direkt oder indirekt, indem sie das Geldmengenwachstum ihres Einflussbereichs steuern. Trotz aller marktwirtschaftlichen Rhetorik, die insbesondere aus Kreisen der US-Notenbank regelmäßig unters Volk gebracht wird, unterliegt ein extrem wichtiger Teil der Volkswirtschaft also einem zentralen politischen Diktat.
Die Gretchenfrage der Marktwirtschaft
Die Gretchenfrage der Marktwirtschaft wird in diesem Zusammenhang dank jahrzehntelanger Gewöhnung und erfolgreicher Propaganda fast nirgends mehr gestellt. Sie lautet natürlich: Wieso sollte ein elitärer Kreis politisch protegierter Bürokraten in der Lage sein, den Preis irgendeines Gutes, in diesem Fall den Preis des Geldes, besser festlegen zu können als der freie Markt?
Antwort: Es gibt selbstverständlich keinen plausiblen Grund für die Annahme, dass ein Komitee das könnte. Es gibt jedoch zahlreiche theoretische und empirische Gründe, die mit Nachdruck gegen diese Annahme sprechen. Allerdings gibt es ein großes politisches Interesse daran, das Geldwesen weitgehend staatlich zu kontrollieren, um nach Belieben Geld drucken zu können. Nur so können Regierungen über lange Zeit und nahezu unbemerkt über ihre Verhältnisse leben, sich die Gunst ihrer Wählerschaft erkaufen und später dubiose Sündenböcke präsentieren, die für die Folgen unseriöser Politiken verantwortlich gemacht werden sollen.
Inverse Zinsstruktur
Wenn die Notenbanker in ihrer unendlichen Weisheit zu dem Ergebnis gekommen sind, die von ihnen festgesetzten kurzfristigen Zinsen seien zu niedrig, dann beschließen sie Zinserhöhungen. Allerdings können sie nur die kurzfristigen Zinssätze direkt fixieren. Bei den längeren Laufzeiten spielen die Marktkräfte von Angebot und Nachfrage eine wichtige Rolle. So kommt es hin und wieder zu einem Zinsanstieg kurzfristiger Laufzeiten, der von den langfristigen nur unterproportional oder überhaupt nicht mit vollzogen wird. Auf diese Weise entsteht dann eine inverse Zinsstruktur, bei der die kurzfristigen Zinssätze über den langfristigen liegen.
Ende Januar 2005 kam es erstmals seit dem Jahr 2000 zu diesem Phänomen. Die nebenstehende Grafik zeigt die US-Zinsstrukturkurve vom 30. Januar 2006 und zum Vergleich die US-Zinsstrukturkurve vom 31. Januar 2005. Hier wird auf einen Blick deutlich, wie sehr sich diese volkswirtschaftlich überaus wichtige Größe in den vergangenen Monaten verändert hat. Was bedeutet diese Entwicklung?
In der Vergangenheit kam es im Anschluss an eine über mehrere Wochen inverse Zinsstruktur immer zu einer Rezession und zu deutlich fallenden Aktienkursen. Damit stellt die inverse Zinsstruktur den vermutlich besten Indikator für die Prognose von Rezessionen und Baissen dar, mit einer kleinen Einschränkung: Es gab auch Baissen und Rezessionen, denen keine Warnung durch die Zinsstruktur vorangegangen war. Das allein selig machende Instrument zur Börsen- und Wirtschaftsprognose ist also auch die Zinsstrukturkurve nicht.
US-Zinsstrukturkurve. Quelle: Bloomberg
Die Grafik zeigt die Zinsstrukturkurve vom 31.1.2006 und zum Vergleich die Zinsstrukturkurve vom 30.1.2005.
Man erkennt die Wirkung der Zinserhöhungen der vergangenen Monate auf die Zinsstruktur.
Bisher war die Zinsstrukturkurve der beste mir bekannte Rezessionsindikator.
Nun hat aber kein Geringerer als der viel gerühmte US-Notenbankpräsident Alan Greenspan seinem mehr oder weniger staunenden Publikum bereits vor einigen Monaten die überraschende und nicht nachvollziehbar begründete These vorgestellt, die Zinsstrukturkurve habe ihre historisch nicht zu leugnende Prognosequalitäten eingebüßt. Hat sich ökonomisch denn soviel verändert in den wenigen Jahren seit 2000? Damals war die Zinsstruktur letztmals negativ, und ich war einer der ganz wenigen Analysten, die diese Tatsache zum Anlass nahmen, auf die Gefahr eine Rezession in den USA hinzuweisen. Ich bin auch jetzt nicht bereit, diesen überaus bewährten Indikator unbeachtet zu lassen. Greenspans Hypothese von der Bedeutungslosigkeit der Zinsstruktur werde ich erst dann ernsthaft prüfen, wenn ein Präzedenzfall vorliegen sollte.