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Eurozone läuft - Deutschlands Industrie vor Stottern? - ISM/Markit unglaublich! - Fed will Zinserhöhung

05.11.2015  |  Folker Hellmeyer
Der Euro eröffnet heute gegenüber dem USD bei 1.0874 (07.26Uhr), nachdem der Tiefstkurs der letzten 24 Handelsstunden bei 1.0845 im europäischen Geschäft markiert wurde. Der USD stellt sich gegenüber dem JPY auf 121.45. In der Folge notiert EUR-JPY bei 132.05 EUR-CHF oszilliert bei 1.0802.

Da wir uns der Sachlichkeit verpflichtet sehen, muss erneut der Verweis auf die gestern veröffentlichten überwiegend positiven Nachrichten und Daten aus der Eurozone erfolgen. Uns ist bewusst, dass damit der Kodex der „Politischen Korrektheit“, der in der aktuellen analytischen Welt, an den Finanzmärkten und in weiten Teilen der Wirtschaftsmedien gelebt wird, verletzt wird. Nachweisbar ist diese „Politische Korrektheit“ unter anderem daran, dass die „Smoking Guns“ (Forex Report vom 03.11.2015 u.a. US-Auftragseingänge in dem Zeitraum 01-09/2015 geringer als zwischen 01-09/2012 …), die dem US-Konjunkturbild des Mainstreams diametral entgegen laufen, ignoriert werden.

Mit derartiger Ignoranz gibt es einschneidende Erfahrungswerte, beispielsweise vor 2002 (Neuer Markt) und vor 2008. Das Resultat dieser Ignoranz waren jeweils massive Fehlinvestitionen sowohl der professionellen als auch der privaten Investoren mit bis zu heute reichenden Folgen. Gibt es durch die aktuelle Anlagefokussierung auf den USD ein déjà vu?

Die Stimmung bei den kleinen und mittleren deutschen Unternehmen hellt sich ungeachtet der VW-Krise und der schwächeren Weltkonjunktur auf. Das von der KfW und dem Ifo-Institut gestern veröffentlichte Mittelstandsbarometer kletterte per Oktober um 0,5 auf 17,7 Punkte. O-Ton des KfW-Chefvolkswirts Zeuner: "Die Klimaverbesserung nimmt allen vorschnellen Krisenrednern den Wind aus den Segeln. Sie signalisiert Gelassenheit der Unternehmen."

Danke Herr Zeuner, was für eine Divergenz zu der Situation in den USA! Vom starken Flüchtlingszustrom erwartet Zeuner konjunkturell positive Impulse. Zusätzliche Ausgaben für Konsum und Wohnbau stünden auf der Agenda. Die Ausgaben der Kommunen zur Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge erhöhten dabei auch die Umsätze vieler Mittelständler. Auch in diesem Feld ergibt sich keine Wachstumsphantasie für die USA, da sie alsmaßgeblicher Mitverursacher dieser Krise nur 10.000 Flüchtlingen eine Heimstatt bieten wollen.

Auch die Einkaufsmanagerindices der Eurozone legten im Monatsvergleich zu. Der Dienstleistungsindex stieg von zuvor 53,7 auf 54,1 Punkte, während der Composite Index (Dienstleistung und Produktion) von 53,6 auf 53,9 Punkte zulegte. Der Blick auf die Rangliste des Composite Index ist erfrischend bezüglich der Schwergewichte Italien und Frankreich. Mehr noch kam es den 28. Monat in Folge zu Werten oberhalb der Marke von 50 Punkten, die zwischen Kontraktion und Expansion unterscheidet.


Rangliste nach Composite Output Index (Okt):

Irland: 57.7; 20-Monatstief
Spanie:n 55.0; 2-Monatshoch
Deutschland: 54.2; 2-Monatshoch
Italien: 53.9; 2-Monatshoch
Frankreich: 52.6; 4-Monatshoch

Die Erzeugerpreise der Eurozone standen per September unter Druck. Es kam im Monatsvergleich zu einem Rückgang um 0,3% (Prognose -0,4%) nach zuvor -0,8%. Einmal mehr zeichnen schwache Rohstoffpreise wesentlich verantwortlich. Im Jahresvergleich stellte sich ein Preisrückgang in Höhe von 3,1% (Prognose -3,3%) nach zuvor -2,6% ein. Ab Oktober laufen die Basiseffekte sukzessive aus. Ergo ist der Preisrückgang in diesem Umfang transitorischer Natur.

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© Moody’s Economy.com


Heute morgen erreichen uns dagegen ernüchternde Daten aus Deutschland: Die deutschen Auftragseingänge verzeichneten per Berichtsmonat September unerwartet einen Rückgang um 1,7% (Prognose +1,0%) im Monatsvergleich nach zuvor -1,8% per August und -2,2% per Juli. Per September lag der Auftragsindex damit auf dem niedrigsten Niveau seit August 2014!

Damit kam es den dritten Monat in Folge zu nicht unwesentlichen Rückgängen. In wie weit diesbezüglich das Thema Sanktionspolitik insbesondere den Kapitalgüterstandort Deutschland beeinträchtigt, lässt sich hier nicht erfassen. Fakt ist, dass dieser Politikansatz auf keinen Fall für den Auftragseingang förderlich ist.

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© Reuters


Vor diesem Hintergrund ist es gut, dass die Wachstumsstärke der Eurozone jetzt in den Reformländern liegt.

Aus den USA erreichte uns ein gemischtes und im entscheidenden Teil ein rätselhaftes Datenbild: Der ISM-Dienstleistungsindex wirft Qualitätsfragen auf! Laut ADP nahm die Beschäftigung in der Privatwirtschaft in den USA per Oktober um 182.000 Jobs zu. Die Prognose lag bei 180.000. Da der Vormonatswert von 200.000 auf 190.000 Jobs revidiert wurde, enttäuschte das aggregierte Zweimonatsergebnis September/Oktober unwesentlich.

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© Moody’s Economy.com


Die US-Handelsbilanz lieferte per September mit einem Defizit in Höhe von „nur“ 40,81 Mrd. USD (Prognose 41,1 Mrd. USD) nach zuvor 48,02 Mrd. USD moderate Entspannugssignale. Positiv ist anzumerken, dass die Exporte sich vom tiefsten Stand seit 2013 geringfüfig erholten. Entscheidend war jedoch der Importrückgang im Sektor Energieprodukte. Nachfolgender Chart unterstreicht die strukturelle Qualität des US-Defizits.

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© Reuters


Der ISM-Dienstleistungsindex legte unerwartet per Oktober von zuvor 56,9 auf 59,1 Punkte zu. Die Prognose lag bei „nur“ 56,5 Punkten. Damit markierte der ISM-Dienstleistungsindex den zweithöchsten Wert seit November 2005! Das ist laut Textbuch nicht nur ein Aufschwung, sondern ein grandioser Boom, wenn man diesem Zahlenmaterial folgen will.

Der Subindex der Geschäftsaktivität stieg von 60,2 auf 63,0 Zähler. Der Auftragsindex schoss von 56,7 auf 62,0 Punkte, während der Beschäftigungsindex von 58,3 auf 59,2 Punkte zunahm. Zusammengefasst ergibt sich ein Boom im Dienstleistungssektor, während der produzierende Sektor an der Schwelle zur Kontraktion steht. Die Dynamiken beider Entwicklungen stehen sich diametral gegenüber!

Derartige Konstellationen einer geteilten Wirtschaft sind eine massive Anomalie. Seit es die beiden Indikatoren gemeinsam gibt (1997) hat es das nie zuvor in dieser Amplitude in Höhe von 9 Punkten ergeben. Ganz Im Gegenteil kam es zu einem weitgehender Gleichklang der Tendenzen, was nachfolgender Chart belegt.

Chart: ISM Dienstleistungen versus ISM-Produktion - „Historische Anomalie!“

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© Bloomberg


Gestern wurde auch der von Markit erhobene US-Dienstleistungsindex veröffentlicht. Hier kam es im Monatsvergleich zu einem leichten Rückgang von 55,1 auf 54,8 Punkte.
Wir bemühen den O-Ton des Markit Kommuniqués zum US-Dienstleistungssektor:

Key points:

  • Softer expansions of both business activity and new orders
  • Employment growth weakens to eight-month low
  • Business confidence remains historically weak


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Fazit zum ISM-Index:

Ernst zu nehmende Analyse zwingt bei der aktuellen Veröffentlichung des ISM-Dienstleistungsindex zu massiver Vorsicht. Laut der Chansonsängerin Kaja Ebstein gibt es Wunder ja immer wieder. Für den Bereich der Statistik mag das gelten. Für die reale Wirtschaft gilt es nicht und galt es nie, denn Cash-Flows haben nichts mit Wundern zu tun und stellen die Basis der Ökonomie dar!

Der Mut, diesen Index wohlwissend der Divergenzen zu Markit und historischer Anomalien im Verhältnis zu dem Pendant der Produktion so zu veröffentlichen, wirft Fragen zu der Datenqualität als auch der dahinter stehenden Motivation auf. Die Marktreaktion wirft auch Qualitätsfragen bezüglich der Marktteilnehmer auf …


Federal Reserve auf dem Weg zum „Zinswendchen“

Frau Yellen in ihrer Funktion als Chefin der US-Notenbank sprach voraussichtlich vor dem Hintergrund des ISM-Dienstleistungsindex von einer gut laufenden US-Wirtschaft, um den Markit-Dienstleistungsindex gleichzeitig vollständig zu ignorieren. Das Thema der Zinserhöhungen wurde von ihr fraglos unter Missachtung der Tendenz und der Dynamik des ISM-Index Produktion und der Auftragseingänge unterhalb des Niveaus von 2012 wieder in den Vordergrund gerückt.

Ein Aspekt, dem sich der EZB-Rat bezüglich der aktuellen Verbalakrobatik (QE) widmen sollte, wurde von dem Stellvertreter Yellens, Herrn Fisher, thematisiert. Die Federal Reserve könnte nach Einschätzung Fishers näher am Erreichen ihres Inflationsziels sein, als gedacht. Die angestrebte 2%-Marke könne rasch erreicht werden, sollten sich die Ölpreise stabilisieren und der Dollaranstieg gestoppt werden, sagte Fischer.

O-Ton: "Wir sind nicht so weit weg vom 2%-Ziel, wenn der Ölpreis aufhört zu fallen und der Dollar aufhört, weiter zuzulegen." Genau dieses Thema der Basiseffekte im Rohstoffsektor wurde in diesem Report zur Genüge ausgebreitet. An dieser Stelle gibt es keinen Dissens mit Herrn Fisher, denn ein Rohstoffpreisanstieg hat auf globaler Ebene dann einen nicht unerheblichen inflationären Impuls.

Der Verweis auf das anstehende quantitative Wachstum im Rahmen des Aufbaus der Infrastruktur Eurasiens (=deutlich erhöhter Rohstoffverzehr), das spürbar ab Mitte 2016 einsetzen wird, darf an dieser Stelle nicht fehlen. Es untermauert die These Fishers. In der Tat beschreibt Herr Fisher ein Szenario für die USA von anziehender Inflation bei abnehmender Wirtschaftsdynamik. Dieses Szenario beschreibt das Risiko einer Stagflation für die USA. Ist Stagflation gut oder schlecht für eine Währung …

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das „Zinswendchen“ seitens der Fed gewollt erscheint. Ob dafür Wirtschaftsdaten „getuned“ werden, darf diskutiert werden. In diesem Zusammenhang ist der Verweis auf den US-Statistikteil in dem Buch „Endlich Klartext“ einmal mehr Ziel führend.

Die normative Kraft des Faktischen lässt sich jedoch nicht „tunen“. Zinserhöhungen, wenn auch unausgeprägt (bis zu 50 Basisipunkten), in eine Abschwächung der Konjunkturlage werden ihren konjunkturellen Preis haben.

Aktuell ergibt sich ein Szenario, das eine neutrale Haltung im Währungsverhältnis zwischen Euro und USD favorisiert. Ein Ausbruch aus der Bendbreite 1.0800 – 1.1150 eröffnet neue Opportunitäten.

Viel Erfolg!


© Folker Hellmeyer
Chefanalyst der Bremer Landesbank



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