Wir Baby-Boomer
29.06.2016 | Robert Rethfeld
"Die menschliche Lebensdauer betrug in 99,9 Prozent der Zeit, die wir diesen Planet bewohnt haben, 30 Jahre. Jetzt müssen wir innerhalb einer einzigen Generation 100.000 Jahre alte Prägungen unseres Körpers und unserer Kultur überwinden." - Das Methusalem-Komplott, Frank Schirrmacher, Blessing-Verlag 2004
Werden wir Babyboomer die Jungen abwürgen und ihnen jegliche Wahlfreiheit nehmen? Werden wir uns als Rentner in einem permanenten kognitiven Unruhestand bewegen? Sind wir im Jahr 2030 die Verschwörungstheoretiker, die Facebook-Meckerer, die rhetorischen Sprengmeister der Kommentarfunktionen der Süddeutschen, der FAZ, der Welt, des Spiegels, des Focus?
Anknüpfungspunkt für diese Recherche ist das unterschiedliche Abstimmungsverhalten der Generationen anlässlich des EU-Referendums in Großbritannien. Der Verbleib in der EU wurde von den Jüngeren favorisiert, die Älteren wollten überwiegend den Brexit. Die Jüngeren werfen den Älteren vor, eine Entscheidung getroffen zu haben, die sie gegen ihren Willen länger ertragen müssen, als die Älteren ihren neuen Status genießen können. Andererseits wird der Jugend die geringe Wahlbeteiligung vorgeworfen.
Erste belegbare Altersgruppen-Daten liegen für die Wahl zum 2. Deutschen Reichstag der Weimarer Republik im Jahr 1924 vor. In der Altersgruppe der 20 bis 25jährigen machten 83 Prozent der Männer und 81 Prozent der Frauen von ihrem Wahlrecht Gebrauch. Zum Vergleich: Bei den 60 bis 65jährigen lag die Wahlbeteiligung der Männer bei 90 Prozent, während sich nur 77 Prozent der Frauen beteiligten. Fünf Jahr zuvor war Frauenwahlrecht eingeführt worden. Während die jüngeren Frauen von ihrem neuen Recht Gebrauch machten, wollte - oder durfte? - dies längst nicht jede ältere Frau.
Springen wir in das Jahr 1980. Die damalige Bundestagswahl war für viele Babyboomer die allererste. 79 Prozent der 21 bis 25jährigen gingen wählen, in der Altersgruppe der 60 bis 70jährigen waren es 93 Prozent. Die Differenz betrug 14 Prozentpunkte.
Bei der jüngsten Bundestagswahl im Jahr 2013 fingerten nur noch 61 Prozent (21 bis 25 Jahre) beziehungsweise 82 Prozent (60 bis 65 Jahre) der Wahlberechtigten ihre Wahlzettel in die Urnen. Die Differenz zwischen den beiden Altersgruppen vergrößerte sich auf 21 Prozentpunkte. Auch wenn die Wahlmüdigkeit bei den Jungwählern proportional zugenommen hat, so halten sich auch die Älteren deutlich zurück.
Die Wahlbeteiligung steigt von Altersgruppe zu Altersgruppe kontinuierlich an, erreicht ihren Scheitel bei den 60 bis 69jährigen und nimmt danach ab. Dieser Erfahrungswert ist historisch belegt und kann jetzt nicht plötzlich den Jungwählern zum Vorwurf gemacht werden. Insbesondere von denen nicht, die als jüngere ebenfalls Nichtwähler waren.
Parteistrategen zielen wegen der medialen Aufmerksamkeit auf die Jungwähler, aber das ist eher Symbolik. Sie wissen: Verluste bei den älteren Wählern sind durch Gewinne bei den jüngeren Wählern nicht auszugleichen.
Die führt zum zweiten und entscheidenden Punkt. Die Älteren erdrücken die Jüngeren allein durch ihre schiere Masse. Spielen wir dies zunächst für Großbritannien durch. Noch im Jahr 1991 verfügte die Altersgruppe der 20 bis 30jährigen über das größte Gewicht. Dies zeigt die damalige Bevölkerungspyramide.
Seither hat sich die Situation deutlich verändert (folgender Chart).