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Der Draghi-Komplex

20.01.2017  |  Folker Hellmeyer
Der Euro eröffnet heute gegenüber dem USD bei 1.0686 (08.10 Uhr), nachdem der Tiefstkurs der letzten 24 Handelsstunden bei 1.0589 im europäischen Handel markiert wurde. Der USD stellt sich gegenüber dem JPY auf 114.63. In der Folge notiert EUR-JPY bei 122.52. EUR-CHF oszilliert bei 1.0733.

Der EZB-Zinsentscheid zeigte wieder einmal, dass die Europäische Zentralbank nicht daran denkt - trotz überraschend guter wirtschaftlicher Entwicklung und deutlich angezogenen Inflationsdaten - ihren expansiven Ausblick verbal etwas einzudämmen. Im Gegenteil, aus deutscher Sicht stellt sich viel mehr die Frage, welche Bestätigungen für einen Wirtschaftsaufschwung die EZB denn sehen möchte, um überhaupt einmal vage Zeichen für einen Ausstieg aus ihrer lockeren Geldpolitik in die Märkte zu geben.

Zwar war nicht wirklich davon auszugehen, dass wir solche Signale hören würden, aber durch die Vorfestlegung - die Verlängerung des Wertpapierkaufprogramms bis Ende 2017 - stellt sich immer mehr die Frage, warum man in Frankfurt die verbesserte Datenlage, die der Zentralbank eigentlich in die Hände spielen müsste, als vorübergehendes Phänomen abtut. Das Wachstum überrascht seit knapp zwei Jahren positiv. Die Inflation wird maßgeblich durch die Energiepreise beeinflusst, die sich sukzessive erholen.

Draghi erwähnte, dass er die Erholung der Eurozone durch schleppende Reformen verzögert sehe. Deshalb seien weiterhin Risiken für das zukünftige Wachstum da und auch globale Risiken belasten den EZB- Ausblick für Europa.

Um noch einen drauf zu setzen, ergänzte der Notenbankpräsident, man habe im Rat nicht über Tapering (also den Ausstieg aus dem bis Dez.2017 terminierten Kaufprogramm) diskutiert. Auch die Gefahren einer Deflation seien nicht vollständig verschwunden. Auch die bisher geltende Regelung, dass man keine Titel mit niedrigerer Rendite als -0,40% kaufe, könnte im Zweifel ausgesetzt werden.

In Summe bleibt alles bei dem bekannten Vorgehen der EZB. Zinserwartungen wurden durch die Aussagen gedämpft, der Euro verlor an Boden und die Renditen auf Staatsanleihen fielen. Auch ohne deutsche Brille muss man schon genau hinsehen, um erahnen mit welchen Argumenten und vor allem wann der EZB Rat ernsthaft ein Tapering ins Auge fasst.

Für die kommenden Monate besteht nur noch wenig Phantasie, denn sowohl Inflation als auch Wachstum werden voraussichtlich keine bisher nicht prognostizierten Prognosen erreichen. Diese beurteilt die EZB als nicht ausreichend bzw. nicht dauerhaft, um an der bisherigen Geldpolitik Änderungen vorzunehmen. Diagnose: Der Draghi-Komplex beurteilt positive Entwicklungen als vorübergehend und Wachstumsrisiken trotz besser verlaufender Binnen- und Weltkonjunktur als abwärtsgerichtet.

Aus den USA kamen allerdings später geldpolitischen Aussagen, die dem Euro zurück gegangenes Terrain wiederbeschafften. Auf einer Rede an der Uni Stanford wurde das Wording der Fed-Präsidentin Yellen dahingehend gedeutet, dass eine Erhöhung im März keineswegs so wahrscheinlich ist wie zuletzt im Markt mit einer 35% Wahrscheinlichkeit antizipiert. Der Euro wird es trotzdem schwer haben in den nächsten Monaten, da sämtliche Zinsphantasien im Euroland immer wieder im Keim erstickt werden. Lediglich die überbrodelnde Erwartungshaltung an den heute ins Amt einzubringenden Präsidenten Trump bringt mittelfristig steigende Euronotierungen zurück.

Die Datenlage fiel dagegen gemischt aus:

Deutlich zulegen konnte der Phily Fed Index, der überraschend deutlich auf 23,6 Punkte anzog und den starken Vormonat bestätigte. Prognosen gingen von einem Rückgang von 19,7 auf 16,0 Zähler aus. Dies stellt den höchsten Wert seit November 2014 dar. Fast alle Subindizes konnten zulegen. Beachtlich auf einem Zweijahres-Hoch notieren die Geschäftserwartungen, die von 48,7 auf 56,6 kletterten.

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© Moody´s economy.com


Wohnungsbaubeginne konnten einen Teil der im Vormonat verloren gegangenen Entwicklung aufholen. Mit einem Zuwachs um 11,3% auf 1.226 Mio. Einheiten lag der Monatswert auf dem durchschnittlichen Niveau der letzten drei Monate. Haupttreiber waren die volatilen Daten aus dem Mehrfamilienhausbereich, die um 57,3% zulegten. Im Jahresvergleich zum Dezember 2015 lagen die Baubeginne um 5,7% höher.

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© Moody´s economy.com


Wohnungsbaugenehmigungen konnten die Erwartungen mit einem Rückgang um -0,2% auf 1.210 Mio. Einheiten nicht erfüllen. Immobilienexperten hatten einen Anstieg auf 1.225 Mio. Einheiten prognostiziert.

Aktuell ergibt sich ein Szenario, das den Euro gegenüber dem USD favorisiert. Erst ein Unterschreiten des Unterstützungsniveaus bei 1.0350-1.0320 dreht den Bias zu Gunsten des USD.

Viel Erfolg!


© Moritz Westerheide
Bremer Landesbank



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