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Das Jahr des Umbruchs

24.01.2017  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Euroraum: die Probleme verschärfen sich

Die Zentrifugalkräfte, die sich in den letzten Jahren in der Europäischen Union (EU) aufgebaut haben, haben sich jüngst verstärkt - vor allem durch die Migrationskrise, die letztlich wohl auch für den Ausstieg der Briten aus der Europäischen Union (EU) verantwortlich ist. Die Hoffnung vieler Länder, die staatliche Sicherheit könne von der Union besser hergestellt werden als in Eigenregie, hat sich nicht bewahrheitet.

Die Eurokrise hat zudem in vielen Teilneh-merländern die Hoffnungen verpuffen lassen, der gemeinsame Währungs- und Wirtschaftsraum werde Wachstum und Beschäftigung befördern. In diesem Jahr wird es wichtige Wahlen geben: in Deutschland, Frankreich und in den Niederlanden. Angesichts der politischen Unzufriedenheit wächst die Wahrscheinlichkeit, dass das europäische Integrationsprojekt zu einem Disintegrationsprojekt wird.

Dadurch würde auch die Geschäftsgrundlage des Euro in Frage gestellt. Schon heute gibt der Euro Anlass für Unmut: Er sorgt für eine Einkommens- und Vermögensumverteilung innerhalb des Euroraums, die von den nationalen Parlamenten beziehungsweise von den Nettozahlern mehrheitlich nicht legitimiert ist. Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) kommt einer Besteuerung ohne Repräsentation gleich ("Taxation without Representation").

Um den Währungsraum zusammenzuhalten, muss die EZB die Zinsen auf extrem niedrigen Niveaus halten und strauchelnde Staats- und Bankschuldner mit neu geschaffenen Euro zahlungsfähig halten. Das wird dauerhaft nicht durchführbar sein. Die Risiken, die der Euro trägt - nämlich dass er inflationiert oder auseinanderbricht - steigen.


Zinsen: steigen nur leicht an

Die amerikanische Zentralbank (Fed) wird im laufenden Jahr die Zinsen vermutlich etwas weiter anheben. Die Märkte erwarten, dass der Leitzins auf etwa 1,5 Prozentpunkte bis Ende des Jahres steigt. Das wären insgesamt drei Zins-erhöhungen in Höhe von jeweils 0,25 Prozentpunkten. Gleichzeitig bestehen gute Aussichten, dass die Langfristzinsen zwischen 2,5 und 3,0 Prozent verbleiben (siehe hierzu den nachstehenden Kasten).

Die Zinsen würden demnach relativ niedrig bleiben. Im Euroraum ist es sehr wahrscheinlich, dass die Anleihekäufe weitergehen, und eine Abkehr vom Niedrigzins (beziehungsweise vom negativen Einlagenzins) ist noch nicht absehbar: Nicht nur sind die Probleme im Eurobankensektor zu groß für eine Zinsanhebung, auch die öffentlichen Finanzen in vielen Ländern sind weiterhin auf die Niedrigzinspolitik angewiesen.

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Kreditausfallrisiken: sind eingeschläfert

Das weltweite ungedeckte Papiergeldsystem ist auf Kredit aufgebaut, und in diesem Zusammenhang hat der Kredit zwei Bedeutungen. Erstens: Banken vergeben Kredite und schaffen dadurch neues Geld "aus dem Nichts". Der Bankkredit ist damit die Quelle der Geldschaffung. Zweitens: Der Begriff Kredit ist abgeleitet aus dem lateinischen Wort "credere", und es bedeutet "glauben" oder "vertrauen". So gesehen gibt es ohne Kredit keine Geldschaffung aus dem Nichts. Aus diesem Grund steht und fällt das ungedeckte Papiergeldsystem mit dem Kredit. Das wissen natürlich auch die Zentralbanken, und deshalb haben sie eine Politik eingeleitet, die Kreditausfälle auf breiter Front abwehrt.

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Quelle: Thomson Financial; eigene Berechnungen


Das machen sie, indem sie Zinsen auf sehr niedrige, zuweilen sogar negative Niveaus abgesenkt haben, und indem sie Problemschuldnern neue Kredite und neues Geld geben. Aus diesem Grund haben sich die Kreditausfallsorgen in den Finanzmärkten, die in der Krisenphase zunächst mächtig angestiegen sind, deutlich zurückgebildet. Die Akteure in den Finanzmärkten gehen mittlerweile davon aus, dass es keine Kreditausfälle bei "systemrelevanten" Schuldnern mehr geben wird. Investoren kaufen wieder Schuldpapiere von Kreditnehmern, denen ohne die Zentralbankeingriffe niemand mehr Kredit geben würde.

Den Zentralbanken ist es folglich gelungen, die Kreditausfallsorgen auf den Finanzmärkten zu vertreiben. Allerdings haben sich dadurch dramatische Verzerrungen in den Kreditmärkten eingestellt. Die Kreditprämien, die den Gläubiger gegen Zahlungsausfälle absichern, sind auf extrem niedrige Niveaus gefallen. Das liegt daran, dass Investoren, auf der Jagd nach attraktiven Renditen, Papiere mit relativ schlechter Kreditqualität kaufen, deren Preis in die Höhe trei-ben, also deren Renditen absenken. Es ist vermutlich nicht übertrieben zu sagen, dass die Kreditmärkte diejenigen Märkte sind, in denen die größten Verzerrungen eingetreten sind.



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