Die Japanisierung der Zinsmärkte
15.05.2017 | Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Der Zinsmarkt scheint also bereits die politisch mögliche Zinserhöhung vorweggenommen zu haben. Greift man den Gedanken auf, dass die Marktzinsen nicht über ihr langfristiges Durchschnittsniveau steigen können, ohne die Wirtschaft zu Fall zu bringen, wird offensichtlich, dass in vielen Ländern bei den Langfristzinsen nur ein recht geringes Zinssteigerungspotenzial besteht. In den Vereinigten Staaten ist gewissermaßen das Ende der Fahnenstange bereits erreicht. In Deutschland und Frankreich ist noch in Höhe von etwa 0,5 Prozentpunkten Luft nach oben, in Italien von 0,7 Prozentpunkten, in Großbritannien bei 0,8 Prozentpunkten und in Japan bei 0,4 Prozentpunkten.
Kaum Bewegungsspielraum
Vor allem der Bewegungsspielraum der Zentralbanken ist dabei eingeschränkt. Ein Anheben der Kurzfristzinsen droht die Zinskurve abzuflachen. Das aber ist Gift für den Bankenapparat. Er braucht eine hinreichend steile Zinskurve (Langfristzinsen liegen über Kurzfristzinsen), um im Zuge der "Fristentransformation" Geld verdienen zu können. Flacht sich die Zinskurve ab, wirkt das wie ein Tritt auf die "Kreditbremse". In der Vergangenheit erwies sich das Abflachen der Zinskurve - getrieben durch die Zinsanhebungen der Fed - sogar schon als Vorbote für Finanzmarkt-Crashs wie etwa 2000/2001 und 2008/2009.
Die Fed zog die Kurzfristzinsen so stark an, dass die Zinskurve nicht nur abflachte, sondern schließlich auch invertierte (die Kurzfristzinsen stiegen über die Langfristzinsen). Die Verteuerung der Kreditkosten traf nicht nur die Schuldner hart. Sie ließ auch Banken zusehends bei der Kreditvergabe vorsichtiger werden - und verschlechterte dadurch die Möglichkeit, fällige Kredite mit neuen Krediten zu refinanzieren. Die Fed sorgte mit ihrer Zinspolitik letztlich dafür, dass die von ihr in Gang gesetzten Spekulationsblasen platzten, und selbst das rasche Absenken der Leitzinsen konnte den Bust nicht mehr aufhalten.
Die Volkswirtschaft, die sich bereits in einer quasi unentrinnbaren Niedrigzinsfalle befindet, ist Japan. Im Bestreben, die Folgen der Ende der 1980er Jahre/zu Beginn der 1990er Jahre geplatzten Spekulationsblase zu "bekämpfen", haben die Japa-ner schuldenfinanzierte Ausgabenprogramme aufgelegt, die die Bank von Japan mit immer niedrigeren Zinsen finanziert hat. Die Staatsschulden stiegen von 66 Prozent des BIP 1990 auf mittlerweile knapp 240 Prozent.
Die Zinskosten belaufen sich aber nur auf 1,7 Prozent - dank der extremen Niedrigzinspolitik der Zentralbank. Aufgrund der Belastung für den öffentlichen Haushalt ist an eine Rückkehr an "normale Zinskonditionen" nicht mehr zu denken.
Japanisierung der Zinsmärkte
Die "Japanisierung" der Zinsmärkte in den anderen großen Währungsräumen ist in vollem Gange - auch wenn einige Zentralbanken mittlerweile den Ausstieg aus ihrer Niedrigzinspolitik andeuten. Leitzinsanhebungen, wenn sie denn kommen, werden gering ausfallen.
Sie werden nicht ungestraft den langfristigen Zinsabwärtstrend brechen können, der sich in den letzten Jahrzehnten in vielen Volkswirtschaften herausgebildet hat: Der Fortgang der Schuldgeldsysteme steht und fällt mit dem Abwärtstrend der Zinsen. Ein Ausstieg aus dieser Entwicklung ist nur im Zuge einer - mittlerweile vermutlich gewaltig ausfallenden - Anpassungsrezession möglich.
Doch wer will die? Die meisten wollen sie wohl nicht. Es wäre daher nicht überraschend, wenn die Zinswende, auf die viele Anleger hoffen, ausbleibt - und die Zentralbanken weitermachen wie bisher: Mit ihren Zinsmanövern sorgen sie für Boom und Bust, lassen die Schuldenlasten der Volkswirtschaften immer weiter anschwellen, drücken die Zinsen immer tiefer.
Nicht nur die Vereinigten Staaten von Amerika, sondern auch alle übrigen Volkswirtschaften rutschen so in eine Niedrig-zinswelt ab. Früher oder später werden die Zinsen so stark reglementiert sein, dass die Inflation den Nominalzins dauerhaft übersteigt - und der Realzins dauerhaft negativ wird.
Schrumpfende reale Renditen in den Kreditmärkten werden Anleger weiter in die Märkte für Grundstücke, Häuser und Unternehmensbeteiligungen treiben. Die Preise der Vermögensgüter werden so weit ansteigen, bis sich auch hier kaum mehr eine positive reale Verzinsung erzielen lässt. Beispielsweise werden die Aktienkurse irgendwann ein Niveau erreichen, das keine positive Rendite mehr in Aussicht stellt.
Aber noch gibt es etwas zu verdienen. Das Zinssenkungspotenzial ist noch nicht ganz ausgeschöpft. Und die Zentralbanken werden alles daransetzen, es auszuschöpfen. Das von ihnen in Aussicht gestellte, kosmetische Anheben der Kurzfristzinsen sollte langfristig orientierte Anleger nicht darüber hinwegtäuschen.
© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Quelle: Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH