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Das Wagnis der Sorglosigkeit

16.10.2017  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Verzerrte Preise

Bekanntlich geht es auf dem Börsenparkett, auf den Finanzmärkten "psychologisch" zu: Es sind die sich in der Regel schnell ändernden Erwartungen der Marktakteure, die eine entscheidende Rolle bei der Preisbildung von Aktien, Anleihen und Devisen spielen. Doch dabei sind es nicht nur die "reinen" Wirtschaftsaussich-ten, die die Erwartungen beeinflussen. Vielmehr ist das Marktgeschehen mittlerweile stark von staatlichen Eingriffen geprägt. Insbesondere die Geldpolitik übt einen maßgeblichen Einfluss auf die Erwartungshaltung der Anleger aus.

Besonders bedeutsam: Die Zentralbankräte haben den Investoren in den letzten zehn Jahren eine klare Botschaft gesandt: dass sie die Konjunkturen und Finanzmärkte vor einem erneuten "Crash" bewahren wollen, koste es, was es wolle. Wie es scheint, glauben die Investoren nicht nur, dass die Zentralbanken einen ungebremsten "Rettungswillen" haben, sondern dass die Zentralbanken auch in der Lage sind, ungewollte Krisen abzuwehren.

Angesichts des "Sicherheitsnetzes", das die Zentralbanken aufgespannt haben, haben die Investoren ihre Risikosorgen zurückgestuft. Sie kaufen jetzt beispielsweise Anleihen schlechter Schuldner zu niedrigen Renditen. Die Aktienkurse steigen, weil Investoren optimistische Erwartungen über die künftigen Unternehmensgewinne hegen; und weil sie die erwarteten Unternehmensgewinne mit einem geringe(re)n Diskontierungssatz abzinsen. Beides erhöht den Barwert und damit auch die Aktienkurse.

Auf den Kreditmärkten stellen sich durch das "Sicherheitsnetz" ebenfalls Verzerrungen ein. Kreditgeber werden für die Risiken, die sie eingehen, nicht mehr ausreichend vergütet. Konsumenten werden durch Tiefzinskredite dazu verleitet, sich finanziell zu übernehmen. Unternehmen weiten ihre risikoreichen Investitionsprojekte übermäßig aus, weil die Kreditzinsen künstlich niedrig sind. Welche volkswirtschaftlichen Folgen hat das?

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Abbildung links: Quelle: Thomson Financial.
Abbildung Mitte: Quelle: Thomson Financial; eigene Berechnungen. Graue Flächen: Phasen, in denen der Langfristzins kleiner Kurzfristzins.
Abbildung rechts: Quelle: Thomson Financial; eigene Berech-nungen. (1) BAA-Unternehmensanleihe mi-nus 10-Jahreszins US-Staatsanleihe.


Zweifel am Ausstieg

Die gesamte Produktions- und Beschäftigungsstruktur wird verzerrt. Beispielsweise nehmen Unternehmensinvestitionen in besonders langfristigen und risikoreichen Projekte zu. Die Leistungserstellung wird so nicht mehr an den wirklichen Nachfragewünschen ausgerichtet, sondern an den Signalen, die die verzerrten Zinsen setzen. Gleichwohl kann dadurch die Wirtschaft anziehen, eine Konjunkturbelebung in Gang kommen. Doch sie steht auf tönernen Füßen.

Um sie aufrecht zu halten, müssen die Zentralbanken die Zinsen - und vor allem die Risikoaufschläge in den Kreditmärkten - niedrig halten beziehungsweise im Zeitablauf noch weiter absenken. Ein Ausstieg aus der Tiefzinspolitik der Notenbanken birgt die Gefahr, dass der "Boom", den die Niedrigzinsen verur-sacht haben, in einen "Bust" umschlägt. So gesehen dürfte es nur einen Grund für die geringen Risikosorgen auf den Märkten geben:

Die Marktakteure rechnen nicht ernsthaft damit, dass die Zentralbanken tatsächlich die Zinsschraube anziehen, sondern dass sie vielmehr schon bei den ersten Anzeichen einer Wirtschaftsverlangsamung oder einem Preiseinbruch auf den Finanzmärkten auf eine extreme Niedrigzinspolitik zurückschalten. Unter diesen Bedingungen dürfte die Preisrallye auf den Aktien- und Häusermärkten vermutlich bis auf Weiteres weitergehen.


Aufgeblähte Preise

Nun lassen sich aber die Volkswirtschaften nicht perfekt durch die Zentralbanken steuern. Es verbleibt stets ein Risiko, dass die Zentralbanken mit ihrer angekündigten "Politiknormalisierung" ungewollt die Konjunkturen und Finanzmärkte aus dem Gleis werfen. Das wäre nicht das erste Mal. Man denke an den Zinszyklus zu Beginn des 21. Jahrhunderts, die den Crash des "New Eco-nomy"-Booms auslöste; oder an die Zinserhöhungen ab Sommer 2004, die in die Kreditkrise führten.

Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die aktuelle Konjunktur- und Finanzmarkterholung in besonderem Maße abhängig ist von der Fortführung der expansiven Geldpolitik der Zentralbanken. Insbesondere der weitere Kurs der US-amerikanischen Zentralbank (Fed) wird richtungsweisend sein. Die Fed ist schließlich die inoffizielle Weltzentralbank. Ihre Politik bestimmt die Zins- und Liquiditätsbedingungen auf den weltweiten Finanzmärkten.


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