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Öl, wirtschaftliche Sicherheit und geopolitische Risiken von heute

28.11.2006  |  F. William Engdahl
Bankfachleute und Fondsmanager sind heute sicher, dass sie die Kosten der verschiedensten Risiken abschätzen und von ihnen profitieren können. Das fiktive Kreditrisiko oder Kreditausfallderivate über die letzten fünf Jahre werden nicht in Milliarden, sondern eher in Trilliarden von Dollars beziffert. Neben anderen Maßnahmen haben diese Instrumente unter anderem die Kreditspannen weltweit soweit eingeengt, dass sie bei US-Schatzanleihen so gering sind wie nie zuvor. Die daraus resultierende Zunahme der finanziellen Risiken ist gefährlicher als zu vielen anderen Zeiten.

Allerdings verblassen diese Risiken im Vergleich zu anderen, die praktisch kein Risikoprogrammierer im Computerzentrum irgendeiner Bank begreift - weder bei JP Morgan-Chase, der Citibank, Goldman Sachs, Morgan Stanley, noch bei der Deutschen Bank oder UBS. Die Rede ist von den sogenannten "geopolitischen Risiken". In meinem heutigen Vortrag möchte ich über diese Risiken sprechen und darüber, wie man zumindest ihre Dimensionen erfassen kann. Ihre Auswirkungen auf Investitionen in Gold und auf Anlageentscheidungen ganz allgemein sind enorm.

Der Pariser Gipfel zwischen dem russischen Premier Wladimir Putin, dem französischen Präsidenten Jacques Chirac und der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel im September 2006 hat deutlich gemacht, dass sich Russland als wichtige Weltmacht zurückmeldet. Das neue Russland steigert seinen Einfluss durch eine ganze Reihe von strategischen Schritten, in deren Mittelpunkt seine geopolitisch bedeutsamen Energiereserven stehen - vornehmlich seine Öl- und Erdgasreserven. Dabei nutzt es die strategischen Irrtümer und massiven politischen Fehltritte Washingtons geschickt aus. Das neue Russland ist sich zudem darüber im Klaren, dass es entschlossen handeln muss, wenn es nicht bald von einem militärischen Rivalen, den USA, eingekreist und übertrumpft werden will, gegen den es nur noch wenige Verteidigungsmöglichkeiten hat. In dem weitgehend verdeckten Kampf geht es um den höchsten Einsatz in der heutigen Weltpolitik. Für die Strategen in Washington sind der Iran und Syrien lediglich Schritte auf dem Weg zu dem großen Endspiel gegen Russland.

Auf der Tagesordnung des Pariser Gipfels stand auch die Frage der zukünftigen russischen Energielieferungen an die Europäische Union, insbesondere an Deutschland. Das war bezeichnend für die neue Stärke Russlands unter Putin. Putin erklärte der deutschen Kanzlerin, dass Russland "möglicherweise" in Zukunft einen Teil des Erdgases aus seinem riesigen Shtokman-Feld in der Barentsee umleiten werde. Das 20 Milliarden $ teure Projekt soll 2010 ans Netz gehen, um Terminals in den Vereinigten Staaten mit Flüssiggas zu beliefern.

Seit den verheerenden Fehlschlägen der von den USA unterstützten "bunten Revolutionen" in Georgien und später der Ukraine, hat Russland begonnen, sehr vorsichtig seine strategische Karte zu spielen - sowohl bei Energieabschlüssen als auch beim Verkauf von Rüstungsmaterial - von Kernreaktoren für den Iran bis zu Rüstungsmaterial für den Iran, Venezuela und andere lateinamerikanische Länder, und strategischen Kooperationsabkommen über Erdgas mit Algerien und dem Iran.

Gleichzeitig hat sich die Regierung Bush durch eine außenpolitische Agenda, die Verbündete und Feinde gleichermaßen rücksichtslos mit Verachtung straft, immer tiefer in einen geopolitischen Sumpf verrannt. Mehr als jeder andere in Washington steht für diese Politik der Rücksichtslosigkeit der frühere Chef von Halliburton, Dick Cheney.

Bushs Präsidentschaft gründet sich auf eine klare Strategie. Sie ist von ihren Kritikern häufig missverstanden worden, weil sie sich auf deren sichtbarste Komponente konzentrierten, also den Irak, den Mittleren Osten, die Falken in der Umgebung des Vizepräsidenten und dessen alten Freund, Verteidigungsminister Don Rumsfeld.

Die Strategie von George Bush besteht in einer US-Außenpolitik auf der Grundlage der Sicherung der direkten Kontrolle der globalen Energiereserven, einer Kontrolle durch die vier großen US- bzw. mit den USA verflochtenen privaten Ölriesen - ChevronTexaco oder ExxonMobil, BP oder Royal Dutch Shell. Insbesondere zielt sie auf die Kontrolle aller bedeutenden Ölregionen sowie der wichtigen Erdgasfelder. Dieses Kontrollbestreben verläuft parallel mit dem zunehmenden Anspruch der USA auf totale militärische Vormachtstellung gegenüber der einzigen potenziellen Bedrohung für diese globalen Ambitionen Russland. Wahrscheinlich kann niemand die amerikanische Militär- und Energiepolitik besser zu einer zusammenhängenden Dominanzstrategie verbinden als Cheney, der Anfang der Neunziger Jahre unter Bush senior auch Verteidigungsminister war.

Die Cheney-Bush-Regierung wird beherrscht von einer Interessenkoalition aus Vertretern von Big Oil und der wichtigsten Sektoren des amerikanischen militärisch-industriellen Komplexes. Diese privatwirtschaftlichen Interessen üben ihre Macht dadurch aus, dass sie die US-Regierungspolitik kontrollieren. Dazu gehört wesentlich eine aggressive militaristische Agenda. Ihre Verkörperung ist Cheneys ehemaliger Arbeitgeber, Halliburton Inc., gleichzeitig der weltgrößte Dienstleister im Bereich Energie und Geophysik und der weltgrößte Erbauer von Militärstützpunkten.

Zum Verständnis der Politik muss man sich die Position von Cheney in der Frage zukünftiger Öllieferungen als Chef von Halliburton unmittelbar vor seiner Wahl zum Vizepräsidenten anschauen.


Der Hauptgewinn: Cheneys Londoner Rede von 1999

Schon im September 1999, ein Jahr vor den amerikanischen Wahlen, die ihn zum mächtigsten Vizepräsidenten der Geschichte machten, hielt Cheney vor seinen Kollegen aus der Ölindustrie beim London Institute of Petroleum eine höchst aufschlussreiche Rede. In einer globalen Skizze der Aussichten für Big Oil, sagte Cheney:

Schätzungen zufolge wird in den kommenden Jahren die globale Ölnachfrage um durchschnittlich zwei Prozent im Jahr zunehmen, bei gleichzeitigem natürlichen Rückgang der Produktion aus bestehenden Reserven um drei Prozent, vorsichtig geschätzt. Das heißt, dass wir bis zum Jahr 2010 einen zusätzlichen Bedarf von etwa fünfzig Millionen Barrels pro Tag haben werden. Wo soll dieses Öl herkommen? Regierungen und staatliche Ölgesellschaften kontrollieren bekanntlich etwa neunzig Prozent der Vorräte. Im Prinzip ist Öl immer noch eine Staatsindustrie. Trotz der großen Möglichkeiten für Öl in anderen Weltregionen bleibt der Mittlere Osten mit zwei Drittel der Ölreserven der Welt und den geringsten Kosten letztlich der Hauptgewinn...

Cheneys Ausführungen lohnen eine sorgfältige Lektüre. Er geht von einem Auseinanderklaffen von Angebot und Nachfrage von circa 4 Millionen Barrels pro Tag aus, und zwar kumulativ, d.h. Jahr für Jahr - bis wir im Jahr 2010 bei sage und schreibe 50 Millionen neuen Barrels täglich ankommen. Das sind 50% der gesamten heutigen Weltfördermenge von 83 Millionen Barrels pro Tag. Mit den diversen Peak-Oil-Theorien über das Erreichen der maximalen Ölfördermenge hat das also nichts zu tun. Es entspricht fünf neuen Ölregionen in der Größenordnung des heutigen Saudi Arabien.

Da es sieben Jahre oder länger dauern kann, bis ein neues Ölfeld die volle Produktionskapazität erreicht hat, bleibt also auch nicht mehr viel Zeit, wenn eine horrende Ölknappheit und schwindelnd hohe Preise für Gas und Öl abgewendet werden sollen. Cheneys Schätzung beruhte zudem auf einer viel zu vorsichtigen Schätzung der Nachfrage nach Ölimporten in China und Indien, die mittlerweile die beiden Länder mit dem am schnellsten wachsenden Ölverbrauch auf dem Planeten sind.

Eine weitere denkwürdige Äußerung von Cheney in London 1999 war die Bemerkung, dass "der Mittlere Osten mit zwei Dritteln der Ölreserven der Welt und den geringsten Kosten letztlich der Hauptgewinn ist." Allerdings befand sich dieser "Ölgewinn" des Mittleren Ostens in staatlicher Hand, unzugänglich für eine Ausbeutung durch den privaten Markt und damit weitestgehend der Kontrolle von Cheneys Halliburton und seinen Freunden bei ExxonMobil, Chevron, Shell oder BP entzogen.

Cheneys Bemerkung, "Im Prinzip ist Öl immer noch eine Staatsindustrie", und keine private erhält neues Gewicht, wenn man weiß, dass Cheney auch an einem äußerst einflussreichen Bericht einer Denkfabrik mitwirkte, der im September 2000 während des ersten Wahlkampfs von Bush-Cheney erschien. Gemeinsam mit Don Rumsfeld, Paul Wolfowitz und vielen anderen, die später Mitglieder der neuen Regierung Bush wurden, veröffenlichte Cheney einen Grundsatzbericht mit dem Titel "Die Erneuerung der Verteidigung Amerikas" (Re-building America’s Defenses). Herausgeber war das "Projekt für das neue amerikanische Jahrhundert" (Project for the New American Century - PNAC).

Die PNAC-Gruppe um Cheney forderte den neuen US-Präsidenten in spe auf, einen geeigneten Vorwand für einen Krieg gegen den Irak zu finden, um ihn zu besetzen und die zweitgrößten Ölvorkommen des Mittleren Ostens unter die direkte Kontrolle der USA zu bringen. Der Bericht stellt ganz offen fest: "Obwohl der ungelöste Konflikt mit dem Irak die unmittelbare Rechtfertigung (sic) liefert, geht die Notwendigkeit einen substantiellen amerikanischen Truppenpräsenz am Golf über die Frage des Regimes von Saddam Hussein hinaus ..."

Cheney unterzeichnete im September 2000 ein Grundsatzdokument, in dem erklärt wurde, die Schlüsselfrage sei die "amerikanische Truppenpräsenz am Golf" und ein Regimewechsel im Irak - ganz unabhängig von den moralischen Qualitäten Saddam Husseins. Es war ein erster Schritt zur Verlegung von US-Truppen dahin, wo "letztlich der Hauptgewinn" lag.

Genau darauf hatte Cheney in seiner Londoner Rede von 1999 angespielt. Holt die Ölreserven des Mittleren Ostens aus den Händen unabhängiger Staaten und in die Hände derer, die von den USA kontrolliert werden. Die militärische Besetzung des Irak war der erste wichtige Schritt in dieser amerikanischen Strategie. Washingtons "Hauptgewinn" war allerdings die Kontrolle über die russischen Ölreserven.




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