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Das Bankenproblem des Euroraums

16.04.2018  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Im Januar 2018 betrug die Bilanzsumme aller Euro-Banken mehr als 30 Billionen Euro (Abb. 3 a) und entsprach damit etwa 291 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) des Euroraums (Abb. 3 b). Zum Vergleich: Der US-Bankenapparat hatte zur gleichen Zeit ein Volumen von 16,7 Billionen US-Dollar und belief sich auf 84 Prozent des US-BIPs. Seit Mitte 2012 ist die Bilanz der Euro-Geschäftsbanken zwar etwas geschrumpft, die der Europäischen Zentralbank (EZB) jedoch stark gestiegen, so dass die gesamte Bilanz des Euro-Bankensektors weiter angewachsen ist.

Die EZB hat durch ihre Kreditgewährung an Staaten (durch Wertpapierkäufe) und Banken (durch direkte Kreditgewährungen) die "Finanzierungslücke" geschlossen, die sich durch den Rückgang des privaten Kreditangebots aufgetan hat. Zu dem Rückgang des Bilanzvolumens der Euro-Geschäftsbanken ist es gekommen, weil die Interbanken-Kreditgewährung abgenommen hat. Nach wie vor ist der Euro-Bankenapparat allerdings sehr groß, um nicht zu sagen: Er ist "überdimensioniert". Das hat Folgen. Schauen wir dazu auf die Risiken des Bankgeschäfts.


Risiken des Bankgeschäfts

Das Bankgeschäft hat vor allem zwei Risiken: das Liquiditätsrisiko und das Insolvenzrisiko. Das Liquiditätsrisiko ist die Gefahr, dass eine Bank ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommt. Im heutigen ungedeckten Geldsystem ist dieses Risiko jedoch unter Kontrolle: Die Zentralbanken können jede Bank, wenn es politisch gewollt ist, zahlungsfähig halten, indem sie neues Geld "aus dem Nichts" schaffen und es der strauchelnden Bank (per Kredit) zur Verfügung stellen.

Weitaus problematischer ist das Insolvenzrisiko. Es besteht darin, dass die Zahlungen, die eine Bank im Aktivgeschäft einnimmt, insgesamt nicht mehr ausreichen, um alle Verbindlichkeiten zu begleichen - beispielsweise, weil die Kreditnehmer der Banken nicht vollumfänglich zurückzahlen (und die Konkursmasse nicht ausreicht, den Kreditbetrag zu decken). Dann entstehen Verluste in den Bankbilanzen - und eine heikle Situation stellt sich ein.

Dazu muss man wissen, dass Banken nur einen Bruchteil ihrer Kredite mit Eigenkapital unterlegen. Geht zum Beispiel 1 Euro Eigenkapital verloren, muss eine Bank, wenn sie sich kein neues Eigenkapital beschaffen kann, ihr Kredit- und Geldmengenangebot um ein Vielfaches des verlorengegangenen Eigenkapitalbetrages einschränken. Wenn nicht nur eine Bank, sondern der Bankensektor insgesamt Eigenkapitalverluste erleidet, kann es eine "Kreditklemme" geben, die die Volkswirtschaft in eine Rezession führt.

Die Einsicht, dass viele Euro-Banken finanzielle Probleme haben, hat die Regierungen veranlasst, politisch gesteuerte Sanierungs- beziehungsweise Abwicklungsmöglichkeiten zu schaffen. Dazu wurde eine "Haftungshierarchie" beschlossen ("Bail-in"). Ihr zufolge werden bei Verlusten die Bankaktionäre als erste zur Kasse gebeten (Abb. 4). Reicht das nicht aus um die Verluste zu decken, werden nachrangige Schuldverschreibungen ("Subordinated Debt") gestrichen. Sollte das immer noch nicht ausreichen, wird vorrangiges Fremdkapital ("Senior Debt") gestrichen.

Schließlich werden große Spareinlagen ab 100.000 Euro ausgebucht. Das ist zwar eine vertretbare Verlustbeteiligung für die Banken-"Stakeholder". Sie kommt jedoch einer "Operation am offenen Herzen" gleich: Interpretieren die Investoren das Herabsetzen der Bankverbindlichkeiten nicht als "Einzelfall", sondern als "Regelfall", kann es leicht zu einer Vertrauenskrise kommen.

Zudem ist eine Entwertung der Bank-Verbindlichkeiten im großen Stile vermutlich gar nicht praktikabel. Das Eigenkapital der Banken ist schon jetzt knapp, und geht es verloren, wirkt das kontraktiv auf das Bankenkreditvolumen und die Bankengeldmenge. Und werden "zu viele" Schuldverschreibungen gestrichen, geraten Banken in Schwierigkeiten, ihre Kredite fristengerecht zu refinanzieren. Kurzum: Eine "Bankenschrumpfung" läuft Gefahr, eine deflationäre Spirale auszulösen.

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Quelle: Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2014/2015, S. 185. Abkürzungen: BRRD = Bank Recovery and Resolution Directive, ESM = Europäischer Stabilitätsmechanismus, SRM = Single Resolution Mechanism, SRF = Single Resolution Fund


Nimmt die Geldmenge ab, setzt ein Ausverkauf auf den Gütermärkten ein. Die Preise beginnen zu sinken. Sinkende Preise erhöhen die realen Schuldenlasten. Kreditausfälle nehmen zu. Die Verluste in den Bankbilanzen steigen, das Eigenkapital schwindet - und damit auch das Vertrauen in das Banksystem. Ein "Bank Run" von institutionellen und privaten Investoren ist die Folge. Eine Deflation könnte sich also leicht zu einer "existentiellen Krise" für den Euro und damit die Währungsgemeinschaft auswachsen.



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