Negativzinsen sind der Untergang
18.08.2019 | Prof. Dr. Thorsten Polleit
Die Politik des Negativzinses beruht auf einer falschen Zinstheorie. Sie verursacht große Schäden: Sie unterwandert die freie Marktwirtschaft und damit den Wohlstand der Nationen.
Wer gehofft hat, es könnte nicht noch schlimmer kommen mit der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB), der sieht sich getäuscht. Der Rat der EZB hat auf seiner letzten Sitzung am 25. Juli 2019 die Leitzinsen zwar unverändert gehalten: Der Hauptrefinanzierungszins wurde bei 0,0%, der Einlagenzins bei -0,40% belassen. Doch gleichzeitig hat EZB-Präsident Mario Draghi den Boden bereitet, um die Zinsen in den kommenden Monaten noch weiter abzusenken. Was ist der Grund?
Die Inflation falle "zu niedrig” aus, so der EZB-Rat, und die Wirtschaft sei zu schwach. Mit eben dieser Einschätzung wurde den Märkten signalisiert, dass sie mit einer baldigen Leitzinssenkung zu rechnen haben. Es ist nun sehr wahrscheinlich geworden, dass der Einlagenzins auf der nächsten EZB-Sitzung im September um 0,2 Prozentpunkte auf -0,60% abgesenkt wird; und sogar der Hauptrefinanzierungszins könnte auf -0,20% fallen. Der fortgesetzte Weg in die Negativzinswelt hat allerdings ganz dramatische Folgen.
Das Wesen des Zinses
Das wird einsichtig, wenn man sich klarmacht, was der Zins eigentlich ist. Kurzgesprochen steht er für den Wertabschlag, den ein gegenwärtig verfügbares Gut gegenüber einem erst künftig verfügbaren Gut (unter sonst gleichen Umständen) erleidet. Der "reine" Zins - oder besser: "Urzins" - ist dabei immer und überall positiv. Er kann im freien Markt nicht verschwinden, kann nicht auf Null geschweige denn unter die Nulllinie fallen. Der positive Urzins lässt sich aus dem menschlichen Handeln und Werten nicht wegdenken.
Nun gibt es allerdings die Theorie, der "neue natürliche Zins" - der "volkswirtschaftliche Urzins" - sei negativ geworden. Und obwohl das eine falsche Theorie ist, hat sie bereits Eingang in die Geldpolitik gefunden - denn sie ist für Regierungen und etablierte Interessengruppen höchst attraktiv: Wenn die Zentralbank den Zins in den Negativbereich zwingt, wird das Neuverschulden gewinnträchtig, und strauchelnde Staaten und Euro-Banken können sich auf Kosten der Gläubiger gesunden.
Dass viele Marktzinsen sich mittlerweile im Negativbereich befinden, ist kein Beweis für die Richtigkeit der "neuen Zinstheorie". Denn die Marktzinsen sind manipuliert. Sie werden von den Zentralbanken diktiert, nicht nur die Kurz-, sondern auch die Langfristzinsen: Die Geldbehörden kaufen Schuldpapiere und erhöhen dadurch deren Kurse und senken die Renditen. Das ist der Grund, warum viele Zinsen negativ sind, und er ist nicht "natürlich": Die Zentralbanken haben das angerichtet.
Negativzins für alle
Ist es denkbar, dass bald auch Konsum-, Hausbau- und Unternehmenskredite mit einem Negativzins angeboten werden? Ja durchaus. Um zu verdeutlichen, wie das gehen kann, nehmen wir an, die Euro-Banken bekommen Kredit bei der EZB für minus 2% pro Jahr: Sie leihen sich 100 Euro und zahlen nach einem Jahr 98 Euro zurück. So erzielen die Banken mühelos einen Gewinn von 2 Euro. Die EZB wird aber Kredite zu Minuszinsen nur unter der Bedingung vergeben, dass die Banken das Geld weiterverleihen.
Um in unserem Beispiel zu bleiben: Die Bank beschafft sich 100 Euro für 1 Jahr zu minus 2% pro Jahr bei der EZB. Sie verleiht das Geld an Konsumenten zu einem Zins von, sagen wir, minus 1 Prozent (sie verleiht also 100 Euro und erhält nach einem Jahr 99 Euro zurück). Insgesamt gesehen macht die Bank einen Gewinn von 1 Euro: Sie verdient durch die Kreditaufnahme bei der EZB 2 Euro, notgedrungen verliert sie im Kreditgeschäft 1 Euro. Eine irre Welt! Für den Wohlstand der Volkswirtschaften bedeutet das nichts Gutes.
Weg in die Planwirtschaft
Wenn jedermann plötzlich einen Kredit mit Negativzinsen bekommen kann, dann ist zu erwarten, dass die Kreditnachfrage außer Rand und Bank gerät. Daher muss die EZB zur Kreditrationierung greifen: Sie bestimmt vorab, wieviel neue Kredite es geben soll, und danach teilt sie diese Kreditmenge zu. Nicht mehr der Kreditmarkt entscheidet, wer wann welchen Kredit zu welchen Konditionen bekommt, sondern diese Entscheidungen trifft die EZB.
Nach welchen Kriterien sollen die Kredite zugeteilt werden? Sollen alle, die Kredit nachfragen, etwas bekommen? Oder sollen beschäftigungsintensive Wirtschaftssektoren bevorzugt werden? Oder sollen die Kredite nur an Zukunftsbranchen gehen? Oder sollen schwächelnde Industriezweige mit zusätzlichen Krediten gestützt werden? Oder soll der Süden Europas mehr als der Norden bekommen? Diese Fragen lassen bereits erkennen: Mit der Negativzinspolitik hält die Planwirtschaft Einzug.
Wer gehofft hat, es könnte nicht noch schlimmer kommen mit der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB), der sieht sich getäuscht. Der Rat der EZB hat auf seiner letzten Sitzung am 25. Juli 2019 die Leitzinsen zwar unverändert gehalten: Der Hauptrefinanzierungszins wurde bei 0,0%, der Einlagenzins bei -0,40% belassen. Doch gleichzeitig hat EZB-Präsident Mario Draghi den Boden bereitet, um die Zinsen in den kommenden Monaten noch weiter abzusenken. Was ist der Grund?
Die Inflation falle "zu niedrig” aus, so der EZB-Rat, und die Wirtschaft sei zu schwach. Mit eben dieser Einschätzung wurde den Märkten signalisiert, dass sie mit einer baldigen Leitzinssenkung zu rechnen haben. Es ist nun sehr wahrscheinlich geworden, dass der Einlagenzins auf der nächsten EZB-Sitzung im September um 0,2 Prozentpunkte auf -0,60% abgesenkt wird; und sogar der Hauptrefinanzierungszins könnte auf -0,20% fallen. Der fortgesetzte Weg in die Negativzinswelt hat allerdings ganz dramatische Folgen.
Das Wesen des Zinses
Das wird einsichtig, wenn man sich klarmacht, was der Zins eigentlich ist. Kurzgesprochen steht er für den Wertabschlag, den ein gegenwärtig verfügbares Gut gegenüber einem erst künftig verfügbaren Gut (unter sonst gleichen Umständen) erleidet. Der "reine" Zins - oder besser: "Urzins" - ist dabei immer und überall positiv. Er kann im freien Markt nicht verschwinden, kann nicht auf Null geschweige denn unter die Nulllinie fallen. Der positive Urzins lässt sich aus dem menschlichen Handeln und Werten nicht wegdenken.
Nun gibt es allerdings die Theorie, der "neue natürliche Zins" - der "volkswirtschaftliche Urzins" - sei negativ geworden. Und obwohl das eine falsche Theorie ist, hat sie bereits Eingang in die Geldpolitik gefunden - denn sie ist für Regierungen und etablierte Interessengruppen höchst attraktiv: Wenn die Zentralbank den Zins in den Negativbereich zwingt, wird das Neuverschulden gewinnträchtig, und strauchelnde Staaten und Euro-Banken können sich auf Kosten der Gläubiger gesunden.
Dass viele Marktzinsen sich mittlerweile im Negativbereich befinden, ist kein Beweis für die Richtigkeit der "neuen Zinstheorie". Denn die Marktzinsen sind manipuliert. Sie werden von den Zentralbanken diktiert, nicht nur die Kurz-, sondern auch die Langfristzinsen: Die Geldbehörden kaufen Schuldpapiere und erhöhen dadurch deren Kurse und senken die Renditen. Das ist der Grund, warum viele Zinsen negativ sind, und er ist nicht "natürlich": Die Zentralbanken haben das angerichtet.
Negativzins für alle
Ist es denkbar, dass bald auch Konsum-, Hausbau- und Unternehmenskredite mit einem Negativzins angeboten werden? Ja durchaus. Um zu verdeutlichen, wie das gehen kann, nehmen wir an, die Euro-Banken bekommen Kredit bei der EZB für minus 2% pro Jahr: Sie leihen sich 100 Euro und zahlen nach einem Jahr 98 Euro zurück. So erzielen die Banken mühelos einen Gewinn von 2 Euro. Die EZB wird aber Kredite zu Minuszinsen nur unter der Bedingung vergeben, dass die Banken das Geld weiterverleihen.
Um in unserem Beispiel zu bleiben: Die Bank beschafft sich 100 Euro für 1 Jahr zu minus 2% pro Jahr bei der EZB. Sie verleiht das Geld an Konsumenten zu einem Zins von, sagen wir, minus 1 Prozent (sie verleiht also 100 Euro und erhält nach einem Jahr 99 Euro zurück). Insgesamt gesehen macht die Bank einen Gewinn von 1 Euro: Sie verdient durch die Kreditaufnahme bei der EZB 2 Euro, notgedrungen verliert sie im Kreditgeschäft 1 Euro. Eine irre Welt! Für den Wohlstand der Volkswirtschaften bedeutet das nichts Gutes.
Weg in die Planwirtschaft
Wenn jedermann plötzlich einen Kredit mit Negativzinsen bekommen kann, dann ist zu erwarten, dass die Kreditnachfrage außer Rand und Bank gerät. Daher muss die EZB zur Kreditrationierung greifen: Sie bestimmt vorab, wieviel neue Kredite es geben soll, und danach teilt sie diese Kreditmenge zu. Nicht mehr der Kreditmarkt entscheidet, wer wann welchen Kredit zu welchen Konditionen bekommt, sondern diese Entscheidungen trifft die EZB.
Nach welchen Kriterien sollen die Kredite zugeteilt werden? Sollen alle, die Kredit nachfragen, etwas bekommen? Oder sollen beschäftigungsintensive Wirtschaftssektoren bevorzugt werden? Oder sollen die Kredite nur an Zukunftsbranchen gehen? Oder sollen schwächelnde Industriezweige mit zusätzlichen Krediten gestützt werden? Oder soll der Süden Europas mehr als der Norden bekommen? Diese Fragen lassen bereits erkennen: Mit der Negativzinspolitik hält die Planwirtschaft Einzug.