2020: Welt weiter im Umbruch
17.12.2019 | Folker Hellmeyer
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Fortschritt und Prosperität basieren darauf, dass sich Menschen in Gruppen zusammenfanden (von Sippe zu Stamm, zu staatlichen Gebilden etc.). Die letzte positive Entwicklungsstufe dieses Zusammenfindens mit Arbeitsteilung stellt der Multilateralismus dar. Wer diesem Multilateralismus entgegen wirkt, wirkt damit gegen Fortschritt und Prosperität auf dieser Welt.Exkurs: Klimapolitik:
Nur ein geeintes multilaterales Vorgehen eröffnet Lösungen bezüglich des Klimas. Prosperität ist elementar, die im Rahmen des Multilateralismus leichter erreichbar ist, denn Klimapolitik muss man sich auch leisten können.
© Max Roser (OUR WORLD IN DATA)
Konjunkturrückblick 2019
Im Jahresverlauf 2019 verlor die globale Konjunkturlage maßgeblich wegen exogener Risiken im Rahmen der US-Geo- und Handelspolitik an Dynamik. So wurden die Wachstumsprognosen des IWF von 10/2018 bis 10/2019 für das Jahr 2019 sukzessive von 3,7% auf 3,0% reduziert. Die durch die US-Politik geschürte Risikoaversion belastete insbesondere den globalen Investitionsgütersektor, in dem Deutschland und die Eurozone stark aufgestellt sind. Entsprechend war das BIP der Eurozone und Deutschlands durch die Schwäche dieses Sektors stark belastet.
Katalysatoren der zunehmenden realwirtschaftlichen Risikoaversion waren die verschärften Aktionen der USA im Handelskrieg mit China. Hoffnungswerte auf Entspannung entwickelten nur kurzfristig Traktion.
Das Thema Brexit stand medial weiter im Fokus. Die Folgen für die Real- und die Finanzwirtschaft waren unausgeprägt. Der Abschied der Briten ist diskontiert. Die fragile Lage im Nahen Osten in der Auseinandersetzung Iran/Saudi-Arabien schürte ansatzweise Risikoaversion. Das Thema Nordkorea bleibt ungelöst. Es war aber kaum auf dem Radarschirm der relevanten Marktthemen zu sehen. Der Disput um die und in der Ukraine blieb zunächst ungelöst. Dieser eingefrorene Konflikt hatte keine wesentlichen Auswirkungen. Aktuelle Entwicklungen erlauben Zuversicht.
Wie sieht die Risikolage für die Weltwirtschaft zum Jahresende 2019 aus?
- Dominant ist und bleibt der US-Handelskrieg gegen China.
- Latent wabert das Risikocluster im Nahen Osten im Disput Saudi-Arabien/Iran.
Der OECD-Frühindikator (LEI) sank für den Raum der OECD im Jahresverlauf auf gut 99 Punkte und bewegt sich unterhalb der Marke von 100 (= durchschnittliches Wachstum). Der Index spiegelt den belastenden Einfluss der US-Politik auf die globale Wirtschaft.
© OECD
Konjunkturausblick 2020: Temporäre Entspannung
Die endogenen Kräfte der Weltwirtschaft blieben bisher ausgeprägt. Das globale Wachstum per 2019 mit 3% (IWF-Prognose) darf als Ausdruck einer erheblichen Widerstandskraft in der Weltwirtschaft im Hinblick auf die Anfechtungen durch die US-Aggression interpretiert werden. Diese unterschwellige Resilienz wird auch 2020 das ökonomische Gesamtbild prägen.
Die Hintergründe für diese Entwicklung der Widerstandskraft liegen in der Stärkung der Dienstleistungssektoren in den aufstrebenden Länder. Damit entkoppeln sich diese Länder zunehmend von der direkten Abhängigkeit des Konjunkturzyklus der Industrienationen. Auch nehmen die Wirtschaftsverkehre zwischen den aufstrebenden Ländern merklich zu. Der Konjunkturzyklus der westlich geprägten Industrienationen verliert an Dominanz in der Determinierung des globalen Konjunkturzyklus. Der Zyklus der aufstrebenden Länder wird sukzessive bedeutender.
Einer der weiteren Hintergründe dieser Widerstandskraft hängt mit der Kreativität der global organisierten Realwirtschaft zusammen. Werden Lieferketten durch Sanktionspolitik gestört oder zerstört, ergibt sich hoher Handelsdruck, der zu pragmatischen und zügigen Lösungen führt. Laut der Handelskammer der EU in China stellten große europäische Unternehmen angesichts des Handelskriegs zwischen den USA und China ihre Lieferketten um. Einige Firmen hätten statt in der Volksrepublik anderswo investiert, aber etwa genauso viele hätten ihre Investitionen in China verstärkt. Die Teilnehmer der Wirtschaft sind grundsätzlich agiler als die Politik in der Problembewältigung.
Zum Ende des Jahres 2019 ergeben sich bezüglich des kommenden Jahres Hoffnungswerte auf eine temporäre Entspannung in der Auseinandersetzung der USA mit China. Im letzten halben Jahr war die US-Konjunkturlage zunehmend von der US-Geo- und Handelspolitik in Mitleidenschaft gezogen worden. Die Dynamikverluste der US-Wirtschaft sind partiell sogar markant. So sank beispielsweise die Kapazitätsauslastung der US-Industrie seit November 2018 von 79,6% auf zuletzt 76,7% und markierte den tiefsten Wert seit September 2017.
2020 ist ein US-Wahljahr. Kein amtierender Präsident, der sich der Wiederwahl stellt, hat ein Interesse an einer Konjunkturschwäche, da sie Wahlchancen mindert. Vor diesem Hintergrund ist im kommenden Jahr eine temporäre Entspannung der von den USA generierten Konflikte insbesondere im Sektor der Handelspolitik wahrscheinlich. Eine derartige Konstellation würde auf Sicht Risikoaversion in der Realwirtschaft minimieren und leicht erhöhte Wachstumspfade auf globaler Ebene auslösen.
Zusätzlich ergibt sich im globalen Investitionsgüterzyklus nach 18 Monaten ausgeprägter und zunehmender Schwäche Aufholpotential, denn Maschinen nutzen sich im Zeitverlauf ab und generieren höhere Instandhaltungskosten. Im Investitionsgütersektor sind positive Impulse spätestens im 2. Halbjahr 2020 in hohem Maße wahrscheinlich.
Zusammenfassend ergibt sich damit ein besseres Wachstumsbild per 2020 als im Jahr 2019. Daraus leitet sich eine BIP-Prognose per 2020 bei 3,4% ab.