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Der europäische Wiederaufstieg

27.08.2020  |  John Mauldin
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Erholung wird einige Jahre dauern. Die Welt wird neu bepreist. Bis Ende August erwarte ich, dass mehr als 100.000 kleine Unternehmen (und einige große) permanent geschlossen sein werden. Es wird diese Unternehmer mehr Zeit und Geld kosten, als Sie denken, einen neuen Spielplan in einem vollkommen anderen Geschäftsumfeld aufzustellen. Und das bringt uns zu Europa. Auch dort gibt es Herausforderungen.


Zu weit aus dem Fenster gelehnt

Die Menschen träumten von einem "vereinten Europa" seit Ende des Zweiten Weltkrieges, und das aus gutem Grund. Der Kontinent ist so variabel (geografisch, linguistisch und kulturell), dass er lange (2.000 Jahre lang) anfällig für unproduktive und gelegentlich zerstörerische Konflikte war. Niemand mochte diesen Teil, doch die Frage war, wie man zeitgleich konsistente Wirtschaftspolitik und nationale Autonomie unter einen Hut bringen könnte.

Die Europäische Union war ein Versuch dessen. Das kleinere Währungsabkommen der Eurozone war ein weiterer. Beide haben Vor- und Nachteile, wobei vor allem die griechische Schuldenkrise in den Vordergrund tritt. Und kürzlich war Italien im Rampenlicht. Das Kernproblem: Es ist schwer, gemeinsame Politik und/oder eine gemeinsame Währung ohne eine zentrale Autorität aufrechtzuerhalten, die gemeinsame Schulden ausgeben kann. Und um dies zu tun, braucht die zentrale Autorität Besteuerungsmacht.

Das war zu viel für viele im Vereinigten Königreich. Deshalb hat man dort die Euro-Währung nicht übernommen und verließ letztlich die EU vollständig. Einige Mitglieder waren auch nicht sonderlich begeistert. Viele Beobachter, einschließlich mir selbst, waren skeptisch, ob die Währungsunion in einer Welt, in der Dezentralisierung der dominante Trend war, zusammenhalten könnte.

Dann kam COVID-19. Nun scheint sich alles verändert zu haben, doch anfangs war dies nicht der Fall. Damals, im März/April (was nun wie Schnee von gestern erscheint), traf der Virus Italien und Spanien sehr hart. Mitglieder der "Offenen-Grenzen"-Allianz begannen stattdessen die Grenzen zu schließen, medizinische Ausrüstung zu horten und andere zu beschuldigen. Es war eine hässliche Zeit. Diskussionen über eine Spaltung der EU wurden häufiger.

Zu diesem Zeitpunkt begannen amerikanische Medien stärker über unsere eigenen Ausbrüche zu sprechen und wir ignorierten Europa größtenteils. Die europäischen Staatsoberhäupter, die realisierten, dass die US-Schwäche eine weltweite Rezession garantieren würde, erkannten eine existentielle Bedrohung ihrer vom Export abhängenden Wirtschaften. Hardliner wurden plötzlich flexibel.

Das konnten sie ebenfalls tun, weil sie das Virus etwas unter Kontrolle bekamen. Dies taten sie auf verschiedene Arten, doch größtenteils durch längere und striktere Quarantänen als in den USA (wobei Schweden die offensichtliche Ausnahme ist). Das forderte einen schrecklichen Tribut. Europa ist nicht virenfrei. Das tägliche Leben ist noch nicht zum Normalzustand zurückgekehrt.

Teile Spaniens verzeichnen Ausbrüche, was das Vereinigte Königreich und Deutschland dazu brachten, Reisebeschränkungen auszusprechen. Doch die EU-Länder händelten die Pandemie allgemein besser als die USA und erholen sich nun schneller. Wir können die Gründe dafür debattieren, doch die politische Struktur und der kulturelle Zusammenhalt scheint Teil davon zu sein. Wie es oftmals in einer Familie der Fall sein kann, bringen Krisen eine andernfalls gestörte Gruppe zusammen.


Gemeinsame Lösung

Deutschland und Frankreich sind die zwei größten Wirtschaften und Top-Exporteure der EU. Mit selbstverursachten Quarantäne-Schäden und weltweiter Rezession betraten beide diesen Frühling mit ernsthaftem Wirtschaftsschaden. Angela Merkel und Emmanuel Macron realisierten, dass die einzig machbare Lösung drastische Schritte vieler EU-Mitglieder voraussetzen würde, denen andere Länder - vor allem Deutschland - zuvor widersprochen hatten.

Stoppen wir hier und gehen etwas ins Detail. In den USA sind wir es gewohnt, dass der Kongress durch Mehrheitswahl Gesetzesentwürfe verabschiedet. Die EU operiert vielmehr basierend auf dem Konsens. Nichts Großes passiert, wenn nicht jedes Regierungsmitglied zustimmt. Das macht das Treffen von Vereinbarungen zwar schwieriger, doch diese haben dann mehr "Zustimmung", sobald sie gemacht wurden.

Im Mai stimmten Macron und Merkel also zu, dass die EU deutliche Schulden machen und hart getroffenen Ländern Zuschüsse zur Verfügung stellen sollte. Das war teilweise Selbstschutz. Ihre eigenen Wirtschaften brauchen diese anderen Länder, damit diese französische und deutsche Waren kaufen.

Verstehen Sie, dass sich Italien ohne Hilfe auf dem besten Weg befand, die EU zu verlassen. Es gibt (noch immer) eine deutliche Anti-EU-Bewegung in Italien. Warum sollte man Teil einer Währungsunion sein, die die eigene Nation kollabieren lässt? Das ist keine unvernünftige Frage, vor allem, wenn man eher dazu neigt, ein EU-Skeptiker zu sein.

Merkel, Macron und andere Staatsoberhäupter erkennen die Gefahr. Die EU half Griechenland, auch wenn sie Athen in eine fünf Jahre lange Rezession schickte. Der Gedanke eines Landes, das die EU verlässt, war undenkbar. Brexit war der Weckruf für die EU-Führerschaft.


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