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"Wokismus"

04.12.2021  |  Vertrauliche Mitteilungen
In der westlichen Welt geht seit Jahren das sogenannte Gespenst des "Wokismus“ um, wobei "Wokismus“ die eingedeutschte Form des englischen "wokeness“ ist. "Woke“ (eine von "awake“, dem Aufwachen abgeleitete Wortkreation) bezeichnet eine gesteigerte Form der politischen Korrektheit, bei der es in letzter Konsequenz um nicht weniger als das gewünschte Auslöschen von als ungerecht, ungehörig oder diskriminierend empfundenen Personen geht.

Die Anfänge des "Wokismus“ fanden sich in den USA, wobei diese Gedankengänge recht schnell auch in anderen westlichen Gesellschaften Verbreitung fanden, wo sie von Menschen zelebriert werden, die sich selbst als besonders "gut“ empfinden.

Erste Kritik am "Wokismus“, bei dem es in letzter Konsequenz vor allem um ein gezieltes Diffamieren Andersdenkender geht, keimte unter den US-amerikanischen Konservativen und Rechtspopulisten. Rasch entbrannte ein regelrechter Kulturkampf, der vor allem an den Universitäten und über die Medien ausgetragen wurde und der die Polarisierung noch verschärfte.

Mittlerweile kommt die immer lauter vorgetragene Kritik am "Wokismus“ auch aus dem liberalen und (zunehmend!) dem linken politischen Lager. In einem Leitartikel sah sich der "Economist“ bereits zu einer Warnung sowohl vor der "populistischen Rechten“ als auch vor „illiberal Progressiven“ genötigt, die "vorgeben, eine Blaupause für die Befreiung unterdrückter Gruppen zu besitzen“. Tatsächlich, so die Zeitung weiter, gehe es bei beiden Extremen um die Unterdrückung des Individuums.

Die sich oft elitär wähnenden "Wokisten“ versuchen der Umwelt ihre Orthodoxie aufzuzwingen. Sie bestehen auf der Durchsetzung der von ihnen gewünschten Verhaltens- und Sprachregeln, sie verlangen eine regelrechte "Bekehrung“ Andersdenkender und einen aktiven "Kampf“ gegen die von ihnen entund aufgedeckten Unbotmäßigkeiten wo immer diese anzutreffen sind.

Wer sich dem nicht widerspruchslos fügt, läuft z.B. Gefahr, von seinem Arbeitsplatz gedrängt zu werden. Bücher, die nicht das Hohelied der entsprechend definierten politischen Korrektheit anstimmen, werden geächtet. An manchen amerikanischen Universitäten wird bereits eine Art Bekenntnis zum "Wokismus“ als Einstellungsvoraussetzung gefordert. Wer dies nicht abzugeben bereit ist, hat dort in Forschung und Lehre nichts mehr zu suchen - unabhängig von jeder wissenschaftlichen Qualifikation.

Die US-Historikerin Anne Applebaum (deren Arbeiten über die jüngere Geschichte Osteuropas mehrfach ausgezeichnet wurden) fühlt sich durch den um sich greifenden "Wokismus“ in der US-Gesellschaft inzwischen an die Sowjetisierung Mittelosteuropas nach 1945 und das aktuell autoritäre Klima in Erdogans Türkei erinnert. Die Furcht vor "woken“ Kommilitonen oder Bürokollegen oder inzwischen gar vor dem Internet-Mob führt zu einem zunehmenden Stillschweigen und entsprechender Anpassung, meint sie. Auf der Strecke bleiben laut Applebaum jede geistige Kreativität und innovative Aufmüpfigkeit, die oft Motor des Fortschritts seien.

Wenn man den Verdacht dieser neuen Puritaner erregt, fährt sie fort, läuten zunächst keine Telefone mehr, mit den Betroffenen wird kaum mehr gesprochen, sie gelten als regelrecht toxisch: "Auch wer nicht gefeuert, bestraft oder für irgendetwas schuldig gesprochen wird, kann dann seinen Beruf nicht mehr normal ausüben.“ Einen Ausweg gebe es dann kaum mehr, denn auch "Entschuldigungen” würden praktisch nicht mehr akzeptiert.

Den Mitgliedern eines neuen, revolutionären Wohlfahrtsausschusses gleich glauben diese neuen Gutmenschen, daß sie nur Bestes bewirken würden - sie denken, das Arbeitsklima zu harmonisieren, die ethnische und sexuelle Gleichheit zu fördern und damit zur Schaffung einer wieder ungeteilten Gesellschaft beizutragen.

Tatsächlich bewirken sie im Regelfall das Gegenteil. Sie fördern eine Welt des Denunziantentums, der Ausgrenzung, der Tadelsucht, ritualisierter Entschuldigungen und des Gruppenzwangs. Noch ist der "Wokismus“ nicht in allen westlichen Gesellschaften so stark verbreitet wie inzwischen in den USA. Aber seine negativen Begleiterscheinungen wie Denunziantentum, Aussperrung und Gruppenzwänge sind nach Auffassung von immer mehr kritischen Beobachtern auch in Deutschland längst (wieder) zu spüren!

Vielleicht bewirkt der "Wokismus“ ja auch hierzulande, daß manche Wörter komplett aus der deutschen Sprache gestrichen und daß keine homophoben Witze mehr erzählt werden und daß in den öffentlichrechtlichen Medien und Universitäten exzessiv gegendert wird. Doch berücksichtigt man die vorstehend beschriebenen Nebenerscheinungen, muß die Frage gestattet bleiben, ob die Welt damit wirklich "besser“ würde...


© Vertrauliche Mitteilungen
Auszug aus den "Vertrauliche Mitteilungen", Nr. 4468



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