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Inflation ist keine Naturkatastrophe. Sie ist menschengemacht

18.02.2022  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
- Seite 2 -
Es geht um die Inflationserwartungen

"Geld ist ein scheues Reh", sagt eine Volksweisheit. Auch wenn die Güterpreisinflation in vielen Volkswirtschaften in den letzten Monaten gewaltig zugelegt hat, so ist doch das Vertrauen der breiten Bevölkerung in das Geld - ob US-Dollar, Euro & Co - nach wie vor recht hoch. (Von "Ausnahmen" wie die Türkische Lira sei an dieser Stelle abgesehen.) Woran liegt das? Vermutlich an der Erfahrung, die die Menschen in den letzten vier Dekaden gemacht haben: einer Zeit (vermeintlich) rückläufiger Konsumgüterpreisinflation.

Die Auffassung hat sich tief bei den meisten Menschen festgesetzt, die Inflation werde anhand von Konsumgüterpreisindizes "richtig" gemessen. Das hat dazu geführt, dass die Inflation von Vermögensgütern - wie die Preissteigerungen von Aktien, Anleihen, Grundstücken, Häusern etc. - in der Regel nicht als "echte Inflation" betrachtet werden, obwohl sie natürlich die Kaufkraft des Geldes genauso verringert wie die Inflation der Konsumgüterpreise.

Das verkürzte Inflationsverständnis, das heute vorherrschend ist, hat also die Vermögenspreisinflation für viele Menschen nicht als Inflation sichtbar werden lassen. Wenn man jedoch um die Vermögenspreisinflation weiß, gelangt man ganz bestimmt nicht zum Schluss, in den letzten Jahrzehnten sei die Inflation gefallen.

Das starke Ansteigen der Konsumgüterpreisinflation hat nun jedoch viele Menschen aufgeschreckt und aufgeweckt. Sie bemerken es in ihrem Tagesgeschäft, bei ihren Einkäufen, dass die Kaufkraft ihres Geldes dahinschwindet. Gleichzeitig liegen ihnen mehr denn je Hauptstrom-Ökonomen, Zentralbankräte und so mancher Politiker damit in den Ohren, dass die Inflation "nur" vorübergehend sei, sich bald zurückbilden werde. Vor allem stellen die Zentralbanken öffentlichkeitswirksam Zinserhöhungen in Aussicht. "Steuerung der Erwartungen" nennt man das: Die Zentralbankräte wollen auf keinen Fall, dass die Menschen Zweifel an den Versprechungen der Zentralbanken bekommen.

Denn was passiert, wenn die Menschen das Vertrauen verlieren, die Zentralbank werde die Inflation niedrig halten? Sie werden dann ihr Handeln anpassen, werden nicht mit 2 Prozent Inflation rechnen, wie von der Zentralbank versprochen, sondern mit, sagen wir, 5 Prozent. Die erhöhte Inflationserwartung geht in die Miet-, Kredit- und Lohnverträge ein und zeigt sich früher oder später in steigenden Monatsmietzahlungen und anziehenden Güterpreisen auf breiter Front. Die Volkswirtschaft arbeitet sich auf diese Weise quasi in ein Regime der erhöhten Inflation hinein. Die erhöhte Inflation wird, wenn die Zentralbank nichts gegen sie unternimmt, zum "Normalfall".

Die Kosten einer erhöhten Inflation sind beträchtlich. Beispielsweise erleiden Ersparnisse in Form von festen Zahlungsversprechen unvermeidlich Kaufkraftverluste. Geschäftsinhaber, Restaurants, Betriebe etc. müssen ihre Preislisten häufiger anpassen; Marktakteure müssen mehr Aufwand betreiben, um Preisvergleiche anzustellen; die mit Geld ausgeübte Wirtschaftsrechnung wird erschwert, das Risiko, unternehmerische Fehlentscheidungen zu treffen, steigt an; Produktion und Beschäftigung bleiben hinter ihren Möglichkeiten zurück.


Das Problem, eine Inflation zu stoppen

Doch damit nicht genug: Hat die Inflation erst einmal begonnen, in die Höhe zu klettern, lässt sie sich nur schwer wieder stoppen. Dazu muss man wissen, dass im heutigen Geldsystem, einem ungedeckten Papiergeld beziehungsweise auch Fiat-Geldsystem, die Inflation keine Naturkatastrophe, sondern dass sie - wie es Ludwig Erhard (1897-1977) einmal treffend sagte - stets das Ergebnis einer fehlerhaften oder mitunter auch verbrecherischen Politik ist.

Die Inflation ist im Kern eine Umverteilung von Einkommen und Vermögen, die dann (am besten) wirkt, wenn sie unerwartet daherkommt, wenn sie also die Marktakteure sprichwörtlich auf dem falschen Fuß trifft. Warum aber sollte die Zentralbank die Menschen mit einer Überraschungsinflation überziehen? Aus zumindest zwei Gründen ist das denkbar.

Der erste Grund: Der Hang zur Politik der Überraschungsinflation ist groß, wenn die Zentralbank zur Konjunkturbelebung eingesetzt wird. Wenn also mit niedrigen Zinsen und einer kräftigen Ausweitung der Geldmenge die Wirtschaftstätigkeit angeheizt werden soll. Ein derartiger "künstlicher Aufschwung" fällt sprichwörtlich in sich zusammen, sobald ihm die monetäre Droge entzogen wird. Und um genau das abzuwenden - um Rezession, Massenarbeitslosigkeit und Unternehmenspleiten zu umgehen -, sehen Regierende, aber auch Regierte nicht selten eine fortgesetzte Inflation, eine andauernde Überraschungsinflation als das vergleichsweise kleinste Übel an.

Der zweite Grund: Wenn der Staat überschuldet ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass, um seine Zahlungsunfähigkeit zu verhindern, die Zentralbank die elektronische Notenpresse anwirft, damit der Staat seine Ausgaben mit neu geschaffenem Geld finanzieren kann. Die Solvenz des Staates geht dann ganz offensichtlich vor Geldwertstabilität. Und die Möglichkeiten für den Staat, sich durch Inflation zu entschulden und zu finanzieren, sind dann besonders groß, wenn die Inflation von den Menschen nicht vorausgesehen wird, wenn sie überraschend daherkommt.

Beide Gründe liegen aktuell in vielen Volkswirtschaften der westlichen Welt vor. Das Kind ist sozusagen bereits in den Brunnen gefallen. Doch es gibt noch einen dritten Grund, der für die Fortsetzung der Inflation spricht: das politische Bestreben, die Volkswirtschaften um- und neuzubauen, sie zu "transformieren", sie einem "Great Reset" zu unterziehen.

Die damit verbundenen Kosten sind gewaltig - wie sich in der drastischen Verteuerung der Energieversorgung bereits andeutet. Die Regierungen werden daher weiterhin für hohe Haushaltsdefizite sorgen, um Subventionen zu zahlen, "soziale Härten" (die sie selbst verursachen) abzufedern etc. Das wird ohne eine Monetisierung der Staatsschulden durch die Zentralbanken, also die Ausgabe von neuem Geld in großem Stil nicht gehen, und (noch höhere) Güterpreisinflation wird die unausweichliche Folge sein.



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