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Inflation wird für die Bevölkerung zum Dauerproblem

19.02.2022  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
W+M veröffentlicht ein Interview, das Jörn Gleisner, Managing Director für Investor Communication der financial relations, mit dem Chefvolkswirt der Degussa Thorsten Polleit Mitte Februar geführt hat.


Jörn Gleisner: Die Inflation ist weltweit stark angestiegen. Die US-Zentralbank (Fed) will nun aber im März die Zinsen erstmals anziehen. In der Europäischen Zentralbank (EZB) gibt es ebenfalls Bewegung, die Nullzinspolitik vielleicht doch früher als geplant zu beenden. Die Bank von England hat bereits ihren Leitzins im Dezember 2021 erhöht. Ist die Zinswende da?

Thorsten Polleit: So optimistisch bin ich nicht. Die Leitzinsen werden in den großen Volkswirtschaften zwar sehr wahrscheinlich in diesem Jahr angehoben. Aber nur ganz leicht. Der US-Leitzins liegt Ende 2022 vermutlich bei etwa 1 Prozent, und die EZB könnte den Einlagenzins von derzeit minus 0,5 Prozent auf 0 Prozent gebracht haben. Vielleicht ringt sie sich auch noch eine kleine Zinsanhebung ab.

Die übermäßige Geldmengenausweitung dies- und jenseits des Atlantiks, die die Kernursache der derzeitigen erhöhten Inflation ist, wird das aber nicht stark genug abbremsen. Die Realzinsen, die Nominalzinsen abzüglich der Inflation, bleiben negativ, so ist es zu befürchten. Die Kaufkraft des Geldes schwindet weiter. Das ist eine Zinsentwicklung, die, so meine ich, das Wort "Zinswende" nicht verdient.


Jörn Gleisner: Was veranlasst Sie daran zu zweifeln, dass die Zentralbanken die Inflation, die nun ja wirklich für viele Menschen offen erkennbar und schmerzlich geworden ist, mit allen Mitteln bekämpfen werden?

Thorsten Polleit: Es sind vor allem vier Gründe. Erstens: Die weltweite Verschuldung ist mittlerweile so groß geworden, dass die Volkswirtschaften sich steigende Realzinsen sprichwörtlich gar nicht mehr leisten können, ohne die nächste Finanz- und Wirtschaftskrise vom Zaune zu brechen. Der Zinssteigerungsspielraum ist so gesehen äußerst gering.

Zweitens: Steigende Inflation kommt den Regierungen durchaus zupass: Mit ihr lassen sich die ausstehenden Schulden von Staaten und Banken in realer Rechnung entwerten. Drittens: Die Inflation füllt dem Staat die Kassen: Zumindest anfänglich steigen zum Beispiel Mehrwert- und Kapitalertragssteuereinnahmen, über kurz oder lang auch die Einkommenssteuereinnahmen, wenn die Löhne an die steigende Inflation angepasst werden.

Denn dann kommt es zur "kalten Progression": Die reale Steuerlast der Besteuerten steigt, der Staat reibt sich die Hände, ist der Gewinner. Und viertens: Der politisch initiierte Umbau der Volkswirtschaften, weg von fossilen Brennstoffen, hin zu erneuerbaren Energien, die Liebäugelei mit einer Art "Post-Wachstumsökonomie", das beständige Zurückdrängen der Reste der freien Marktwirtschaft verursachen gewaltige volkswirtschaftliche Kosten, die, wenn die Bevölkerungen ihr ganzes Ausmaß erkennen, vermutlich keine Zustimmung finden würden.

Eine inflationäre Geldpolitik hilft den Regierungspolitikern, die wahren Kosten des Umbaus vor den Augen der Öffentlichkeit zu verbergen - im Grunde wird derzeit so verfahren wie bei einer Kriegsfinanzierung.

Dadurch treten anfänglich die Inflationskosten nicht oder kaum in Erscheinung. Später ändert sich das jedoch, wird das ganze Ausmaß des Inflationsschadens sichtbar. Dann jedoch ist die Kaufkraft des Geldes unwiderruflich herabgesetzt. Ich befürchte, die Zentralbankräte verwehren bei diesem Vorhaben nicht ihre Mitarbeit, und eine echte Zinswende bleibt aus.


Jörn Gleisner: Haben es die Zentralbanken denn überhaupt noch in der Hand, die Inflation zu beeinflussen? Auf die steigenden Energiepreise, die Güterpreissteigerungen, die aus den Problemen in den internationalen Lieferketten rühren, können sie doch gar nicht einwirken!

Thorsten Polleit: Das ist in der Tat eine sehr wichtige Frage. Um sie zu beantworten, muss man sich zunächst vor Augen führen, was Inflation eigentlich ist, und welche Ursache sie hat. Inflation - genauer: Güterpreisinflation - bedeutet ein fortgesetztes Ansteigen der Güterpreise auf breiter Front, also nicht nur ein einmaliges, sondern ein dauerhaftes Ansteigen. Wie kann das passieren?

Es gibt Ökonomen, die erklären Inflation als nicht-monetäres Phänomen. Sie meinen, steigende Energiepreise oder ein Nachfrageüberhang könne Inflation verursachen. Ihnen stehen Ökonomen gegenüber, die Inflation als monetäres Phänomen interpretieren. Danach kommt es, vereinfacht gesagt, zur Inflation, wenn die Zentralbank die Geldmenge übermäßig ausweitet, wenn die Geldmenge schneller anwächst als das Güterangebot zunimmt.

Derzeit sind beide Erklärungen bedeutsam. Die Folge der politisch diktierten Lockdown-Krise bewirkt eine Verteuerung der Güterproduktion und verstärkte Knappheit. Zudem löst die "Grüne Politik" einen Energiepreisschock aus. Zusammengenommen bewirkt das einen gewaltige Aufwärtsdruck auf die Güterpreise. Dass das nun aber nach und nach alle Güterpreise im Zeitablauf in die Höhe katapultiert, liegt an dem gewaltigen Geldmengenüberhang, für den die Zentralbanken gesorgt haben. So hat die Fed seit Ende 2019 die Geldmenge M2 um 40 Prozent erhöht, die EZB die Geldmenge M3 um knapp 20 Prozent.

Ohne eine solche Geldmengenvermehrung gäbe es das derzeitige Inflationsproblem nicht. Denn die steigenden Güterpreise würden die realen Einkommen der Menschen herabsetzen. Das heißt: Um beispielsweise die gleiche Energiemenge konsumieren zu können, müssten sie ihre Nachfrage nach anderen Gütern entsprechend reduzieren. Das Ergebnis wäre eine Verschiebung der relativen Güterpreise, nicht aber Güterpreisinflation, also das fortgesetzte Ansteigen aller Güterpreise. So gesehen sei noch einmal betont, dass es die Zentralbanken sind, die verantwortlich sind für die jetzt steigende Inflation, die zunehmende Kaufkraftentwertung des Geldes.


Jörn Gleisner: Es gibt das Wort "grüne Inflation". Damit soll wohl zum einen ausgesagt werden, dass die steigenden Güterpreise durch die erhöhten Kosten zur Schonung der Umwelt zu erklären sind, zum anderen soll die Akzeptanz für höhere Inflation erzeugt werden. Liege ich mit dieser Interpretation richtig?

Thorsten Polleit: Ja, das sehe ich auch so. Mit dem Verweis auf "grüne Inflation" will man von der wahren Ursache der Inflation ablenken - dass es also der Staat mit seiner Zentralbank ist, der die steigenden Güterpreise verursacht. Die Verteuerung der Güterproduktion (etwa durch Vorgabe von Emissionskontingenten) und damit des Güterkonsums ist - vor allem hier in Europa - politisch gewollt und herbeigeführt. Das ist für sich genommen keine Inflation, sondern vielmehr ein Preissteigerungseffekt, der die realen Einkommen der Menschen herabsetzt, der sie sprichwörtlich ärmer macht - damit sie weniger konsumieren und reisen und entsprechend weniger Ressourcen verbrauchen.


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