Das ungelöste Weltgeldproblem und das Gold
18.04.2022 | Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Als immer mehr Nationen dazu übergingen, ihre US-Dollar gegen Gold bei der US-Zentralbank einzutauschen, sahen sich die Vereinigten Staaten von Amerika gezwungen, die Goldeinlösbarkeit des US-Dollar aufzukündigen. Ansonsten hätte ihnen die Zahlungsunfähigkeit in Gold gedroht. Im Grunde griffen die Amerikaner damit zu einem monetären Enteignungsakt: Die US-Dollar-Besitzer bekamen ihr Gold nicht mehr zurück. Dadurch machte die US-Regierung nicht nur aus dem US-Dollar eine Fiat-Währung, die Ablösung des US-Dollar vom Gold machte auch alle anderen Währungen zu Fiat-Geld, und ein weltweites Fiat-Geldsystem wurde so aus der Taufe gehoben.Der große Vorteil
Der US-Dollar ist jedoch auch nach Ende seiner Goldeinlösbarkeit die Weltleitwährung geblieben. Das verschafft den Vereinigten Staaten von Amerika einen ganz großen Vorteil: Wenn die Welt in den Besitz von US-Dollar kommen möchte, müssen sie sie sich sprichwörtlich verdienen. Das können sie, indem sie beispielsweise ihre eigene Währung im Devisenmarkt anbieten und US-Dollar nachfragen. Das übt tendenziell einen Aufwertungsdruck auf die US-amerikanische Währung aus.
Eine weitere Möglichkeit ist, sich die US-Dollar per Kredit zu beschaffen. Doch das ist in der Regel nur begrenzt möglich, und die Attraktivität dieser Finanzierungsform wird von unvorhersehbaren Zins- und Wechselkurssituationen bestimmt.
Quelle: Refinitiv; Graphik Degussa. *Exporte minus Importe, geteilt durch das Bruttoinlandsprodukt (BIP). Periode: Q1 1960 bis Q4 2021.
Ausländer gelangen in den Besitz von US-Dollar daher vor allem, indem sie mehr Waren und Dienste in die USA exportieren als sie von dort importieren. Und genau das ist seit Ende des Systems von Bretton Woods geschehen: Das Handelsbilanzdefizit der USA ist im Zeitablauf immer weiter angestiegen (absolut und in Prozent des US-Wirtschaftsleistung).
Zudem halten die Ausländer ihre Ersparnisse vielfach und gern in US-Dollar. Das Ausland ermöglicht es den Amerikanern auf diese Weise, mehr zu konsumieren und/oder investieren, als sie es ohne den Reservestatus des Greenback könnten. Für Amerika ist der US-Dollar-Reservestatus also von allergrößtem Vorteil, der ihnen vom Rest der Welt (vermutlich vielfach auch zähneknirschend) gewährt wird.
Übrigens: Dass sich die US-Handelsbilanz mit dem Ende des Systems von Bretton Woods (I) Anfang der 1970er Jahre erst defizitär wurde, ist kein Zufall. In einem goldgedeckten Geldsystem sind die Handelsbilanzen der Länder tendenziell ausgeglichen. Der Grund: Importiert ein Land mehr als es exportiert, verliert es Gold an das Ausland. Die Schrumpfung der heimischen Geldmenge verbilligt die Güterpreise und erhöht ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit.
Das Ausland importiert daraufhin mehr Güter, und das Handelsdefizit geht zurück. Zudem nimmt die heimische Gold- beziehungsweise Geldmenge wieder zu. Dieser ausgleichende Mechanismus des Goldgeldes auf die Handelsströme ist im heutigen ungedeckten Geldsystem nicht mehr wirksam.
Ein latentes Problem wird akut(er)
Der russische Angriff auf die Ukraine und die Reaktion des Westens darauf haben weitreichende Konsequenzen für das US-Dollar-dominierte Weltgeld- und -kreditsystem. Die “finanziellen Sanktionen”, die der Westen auf Drängen der US-Administration gegenüber Russland verhängt hat, sind geeignet, die US-Dollar-Dominanz zu schwächen, die Verwendung westlicher Währungen im internationalen Handel und für Anlagezwecke aus Sicht einer ganzen Reihe von Ländern (wie China, Indien, Brasilien und anderen) zu entmutigen. Warum?
Nun, Länder, die (außen-)politisch sich nicht auf Linie mit der US-Regierung wähnen, müssen befürchten, dass sie vom Zahlungssystem des Westens abgekoppelt beziehungsweise ihre Guthaben in US-Dollar oder Euro- wohlmöglich - wie jüngst die russischen Währungsreserven - eingefroren werden könnten.
Je tiefer die geopolitische Spaltung der Weltgemeinschaft ausfällt, desto wahrscheinlicher ist es daher auch, dass die US-Dollar-Dominanz in den internationalen Handels- und Finanzierungsgeschäften in Frage gestellt wird, dass vor allem einige Zentralbanken versucht sind, den US-Dollar als Währungsreserve zu meiden. Die Frage, die sich an dieser Stelle aufdrängt, lautet: Was wären die Alternativen?
Eine Alternative bestünde darin, dass die Handelspartner ihre eigenen Währungen direkt einsetzen. So haben jüngst zum Beispiel Russland und Indien bereits angedacht, ihren bilateralen Handel in Rubel beziehungsweise in Rupien abwickeln zu wollen. Erfolgt der grenzüberschreitende Güterhandel in einer Weise, dass kein Land Export- oder Importüberschüsse erzielt, bleiben also die jeweiligen Handelsbilanzen ausgeglichen, gelangt keines der Länder in den Besitz von Fremdwährung, beziehungsweise kein Land benötigt zur Bezahlung Fremdwährung. Das aber liefe de facto auf eine Handelsbeschränkung hinaus, die die Wohlstandseffekte der grenzüberschreitenden Arbeitsteilung ausbremst.
Im Grunde stellen sich hier sogar all die Probleme, die unter dem Begriff "Devisenknappheit" weithin bekannt sind: Die Marktakteure verfügen nicht über ausreichende Fremdwährungsbeträge, um Importgüter bezahlen zu können, und die eigene Währung ist beim Tauschpartner nicht oder nur begrenzt akzeptiert. Unter diesen Bedingungen lässt sich - wenn eine chronische Auslandsverschuldung vermieden werden soll - nur ein Naturaltausch beziehungsweise “Barter” durchführen: Außenhandel ist dann möglich, wenn Güter gegen Güter direkt getauscht werden. Das ist keine überzeugende Lösung des Problems.