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Trotz Zinssteigerungen: Die "finanzielle Repression" geht weiter

29.04.2022  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Was Zinssenkungen bewirken

Im heute überall vorherrschenden Fiat-Geldsystem bildet sich der Zins nicht frei durch Angebot und Nachfrage. Vielmehr muss man von einer "gehemmten" Zinsbildung sprechen. Die Zentralbanken diktieren nicht nur den Kurzfristzins, sie haben mittlerweile durch Schuldpapierkäufe auch den Langfristzins mehr oder weniger fest im Griff. Ihr Einfluss auf die Zinssätze ist also sehr groß. Im Grunde können sie den Zins auf diesem Weg auf die Nachkommastelle vorgeben.

Das Fiat-Geld wird (vorzugsweise) erzeugt, indem die Zentralbanken, in enger Kooperation mit den Geschäftsbanken, die Kreditvergabe ausweiten, ohne dass dafür eine entsprechende Ersparnis (Konsumverzicht) vorhanden wäre. Es handelt sich um "Geldschaffen aus dem Nichts". Das künstliche Kreditangebot senkt den Marktzins ab - und zwar unter das Niveau, das sich einstellen würde, wenn es kein künstliches Kreditangebot gäbe. Das wiederum sorgt für einen Konjunkturanschub. Die Ersparnis geht zurück, Konsum und Investitionen legen zu.

Dabei verändert sich die volkswirtschaftliche Produktions- und Beschäftigungsstruktur: Knappe Ressourcen werden zusehends in langfristige, zeitintensive Projekte, weniger in die konsumgüternahe Produktion investiert. Erfolg der Investitionen und Fortbestand des Konjunkturaufschwungs ("Boom") hängen nun davon ab, dass der Zins niedrig bleibt, beziehungsweise dass er auf noch niedrigere Niveaus fällt.

Solange der Boom voranschreitet, scheint alles gut und richtig zu funktionieren: Den Firmen scheint alles zu gelingen, sie machen Gewinne; die Kreditaufnahme ist ohne große Probleme jederzeit möglich; die Arbeitnehmer können auf höhere Löhne und ein erhöhtes Arbeitsplatzangebot hoffen; die Steuereinahmen sprudeln; die Kurse auf den Aktienmärkten erklimmen neue Höchststände.

Allerdings steigen dabei auch die Schulden weiter an, absolut und im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung. So werden vielfach Konsumausgaben “auf Pump” finanziert, die im Kern Kapitalverzehr und keine Kapitalbildung bedeuteten, und insbesondere der Staat verschuldet sich in der Regel sehr kräftig, um seine Ausgaben zu finanzieren, die in der Regel nur einen geringen oder gar keinen Beitrag zum Produktivitätszuwachs der Volkswirtschaft leisten. Die Erträge von so mancher Unternehmensinvestition bleiben hinter der Kreditverschuldung zurück und tragen ebenfalls dazu bei, die allgemeine Verschuldungslage der Volkswirtschaft zu verschlechtern.


Was Zinssteigerungen bewirken

Was passiert, wenn die Zentralbank die Zinsen anhebt, liegt vor dem Hintergrund des Gesagten gewissermaßen auf der Hand. Bei steigenden Zinsen verringern die Menschen ihren Konsum und sparen mehr aus ihrem laufenden Einkommen. Die Unternehmen bemerken, dass die Gewinne geringer als erhofft ausfallen, neue Investitionen sich wider Erwarten doch nicht rechnen, dass sie "floppen". Projekte werden gestoppt, liquidiert, und Arbeitsplätze, die im Boom geschaffen wurden, werden wieder abgebaut. Mit anderen Worten: Der Boom kippt in einen Bust um. Eine Umwidmung und Neubewertung der Produktionsfaktoren - Werkzeuge, Maschinen, Arbeit etc. - wird daraufhin erforderlich.

Dabei wird offenkundig, dass einige dieser Faktoren verschwendet wurden, also in Produktionswege gelenkt wurden, die sich nicht realisieren ließen und deren Restverwertung denkbar gering ist ("Bauruinen"). Arbeitskräfte sind davon natürlich ebenfalls betroffen: Menschliche Fähigkeiten und Fertigkeiten werden nunmehr nicht mehr im bisherigen Umfang gebraucht, und Arbeitnehmer müssen sich umorientieren und umlernen. Weil all das Zeit braucht, läuft die Neuausrichtung der Volkswirtschaft, die ein Bust erzwingt, üblicherweise nicht ohne eine Rezession und Arbeitslosigkeit ab. In einer verschuldeten Volkswirtschaft wird das mitunter besonders schmerzhaft.

Wer durch Arbeitslosigkeit sein Einkommen verliert, der hat beispielsweise Probleme, seinen Schuldendienst auf das Eigenheim zu leisten. Firmen, deren Gewinne ausbleiben, geraten gleichermaßen in Bedrängnis, ihren Zins- und Tilgungsleistungen nachkommen zu können. Zahlungsverzögerungen und -ausfälle kommen bei den Banken an. Sie müssen Rückstellungen beziehungsweise Wertberichtigungen vornehmen. Reicht ihre Risikovorsorge nicht aus, die Verluste zu decken, wird ihre dünne Eigenkapitaldecke angegriffen. Die Banken werden daraufhin vorsichtiger und zurückhaltender bei der Kreditvergabe, und der Zustrom von neuen Krediten und neuem Geld in die Volkswirtschaft ebbt ab.

Das wiederum setzt die Vermögenspreise unter Druck: Aktien- und Anleihekurse, aber vor allem auch Immobilien- und Grundstückspreise geben nach. Die Werte für die Sicherheiten, die der Kreditvergabe der Banken zugrunde liegen, schwinden dahin. Banken fordern daraufhin Kreditnehmer auf, zusätzliche Sicherheiten zu stellen. Können die Kreditnehmer das nicht leisten, droht die Kreditkündigung, und wohlmöglich steht der Bankrott der Schuldner steht ins Haus. Das bisherige Inflationsregime schlägt so letztlich in ein Deflationsregime um - in dem die Güterpreise auf breiter Front nachgeben. Eine solche Entwicklung bringt - wenn es keine "Gegenkräfte" gibt - das Fiat-Geldsystem zu Fall.


Chronisch negative Realzinsen

Im letzten Jahrzehnt ist es geschehen, was viele Anleger sich vermutlich nicht hätten vorstellen können: Die Realzinsen (also die Nominalzinsen abzüglich der Inflation) sind negativ gewesen. Das heißt, nicht nur (zinsloses) Bargeld, sondern auch Sicht-, Termin- und Sparguthaben bei Banken sowie kurzlaufende Schuldpapiere (hoher Kreditqualität) haben den Anleger ärmer gemacht. Das Sparen wurde zum Verlustgeschäft. Dem gegenüber standen die Gewinner: Schuldner wurde es ermöglicht, ihre Verbindlichkeiten mit wertgemindertem Geld zurückzuzahlen. Vor allem die Staaten konnten sich so "gesunden" auf Kosten ihrer Gläubiger - und das sind in der Regel vor allem ihre Bürger.

Die Kreditschulden der letzten Jahre wurden auf negativen Realzinsen aufgebaut. Zum einen wurden fällige Kredite durch neue Kredite ersetzt, die einen negativen Realzins tragen. Zum anderen wurden zusätzliche Kredite aufgenommen, ebenfalls ausgestattet mit negativen Realzinsen. Das hat dazu beigetragen, dass der Verschuldungsaufbau insbesondere der Staaten relativ zur Wirtschaftsleistung der Volkswirtschaft verlangsamt wurde. [Das liegt an der sogenannten "Schuldendynamik": Wenn der Zins negativ ist, zu dem sich der Staat verschuldet, sinkt seine Schuldenlast pro Bruttoinlandsprodukt im Zeitablauf, selbst wenn die Wirtschaft ein Nullwachstum hat.]

Verständlich also, dass die Staaten sehr wenig Interesse an einem geldpolitischen Kurswechsel haben, der die Zinskosten erhöht und die Inflation herabdrückt - denn niedrige Inflation, verbunden mit hoher Inflation, kommt den Staatsfinanzen wie gerufen: Es entschuldet die Staaten fast geräuschlos auf Kosten der Gläubiger und Geldhalter. Die Zentralbanken haben den Staaten diese geradezu paradiesischen Bedingungen beschert, vor allem indem sie bereitwillig deren Schuldpapiere in großen Beträgen aufgekauft haben.

Ein "Ausstieg" aus dieser Praxis ist natürlich nicht ohne Probleme zu haben. Die damit verbundene Zinssteigerung würde den "Bust-Effekt", wie er vorangehend geschildert wurde, merklich verschärfen.


Das Regime negativer Realzinsen

Man sollte nicht der Täuschung unterliegen, die Realzinsen - also die Nominalzinsen abzüglich der Inflation - wären ganz plötzlich und unerwartet negativ. Sie sind es seit vielen Jahren! Spätestens mit dem Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 sorgen die Zentralbanken für chronisch negative Realzinsen (siehe die beiden nachstehenden Abbildungen). Die heimliche Entschuldung der Schuldner durch den negativen Realzins wird also schon seit geraumer Zeit praktiziert.


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