Trotz Zinssteigerungen: Die "finanzielle Repression" geht weiter
29.04.2022 | Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Quelle: Refinitiv; Berechnungen Degussa.
*Real = Nominal minus Jahresveränderung der Konsumgüterpreise.
*Real = Nominal minus Jahresveränderung der Konsumgüterpreise.
Das Motiv der Zentralbanken
Das führt zur Kernfrage: Was ist das Motiv der Zentralbanken? Ihr Motiv ist sicherlich nicht, die Inflation (der Konsumgüterpreise) bei beziehungsweise unter der 2-Prozentmarke zu halten. Denn dann hätten sie längst schon reagiert und die Zinsen angehoben. Es ist vielmehr zu vermuten, dass sie eine höhere Inflation herbeiführen wollen, um das prekäre Verschuldungsproblem der Volkswirtschaften zu entschärfen. Wie bereits gesagt, das kann gelingen, wenn die Zinsen niedrig gehalten werden und die Inflation den Zins übersteigt. Dabei stellt sich aber ein Problem: Die Inflation darf nicht zu hoch werden, und sie muss überraschend kommen.
Wenn die Inflation zu hoch wird, dann fliehen die Menschen sprichwörtlich aus dem Geld, und das Geld droht seine Funktion zu verlieren. Das wollen die Regierungen natürlich nicht. Sie wollen vielmehr, dass die Inflation weiterhin ihren politischen Umverteilungszweck erfüllt, dass sie für die Geldverwender "akzeptabel" ist, dass sie von ihnen quasi zähneknirschend hingenommen wird. Vor allem muss die Inflation ein "Überraschungselement" haben: Sie muss überraschend eintreten, und/oder sie muss überraschend länger andauern.
Anders gesagt: Die Inflation muss eine fast Täuschung sein, muss die Menschen auf dem falschen Fuß erwischen, damit die Inflation die von ihr erhoffte Wirkung entfaltet: Geldhalter und Gläubiger enteignen und Schuldner, allen voran den Staat, bereichern.
Wenn man annimmt, dass die Zentralbanken die Politik der erhöhten Inflation bewusst im Dienste der Staaten verfolgen, gleichzeitig aber Sorge tragen wollen, dass die Inflation nicht außer Kontrolle gerät, müssen sie im aktuellen Umfeld nun aber "gegensteuern", beziehungsweise sie müssen den Eindruck erwecken, sie gehen gegen die Inflation vor. Doch wird damit eine echte Zinsverteuerung verbunden sein? Wird der Realzins aus dem Negativbereich, in dem er sich seit etwa 15 Jahren befindet, wieder in den Positivbereich gehoben? Zweifel sind anzumelden. Zumal die Verschuldung der Volkswirtschaften heute viel höher ist, die Zinsabhängigkeit der Volkswirtschaften viel größer ist als noch vor rund 15 Jahren.
Mögliche Szenarien
Es ist daher davon auszugehen, dass die anstehenden Zinsanhebungen der Zentralbanken begrenzt sein werden. Der Leitzins der US-Notenbank wird vermutlich die Marke von 3 Prozent nicht überschreiten; und die Europäische Zentralbank wird vermutlich auch nur in geringerem Umfang den Zins anheben, ungefähr auf 2 Prozent. Selbst wenn die Inflation der Konsumgüterpreise etwas nachgeben sollte in den kommenden ein bis zwei Jahren, so werden die Realzinsen sehr wahrscheinlich weiter im negativen Territorium verharren, der Geldwert weiterhin im Zeitablauf schwinden. Die "Außenwirkung" der Zinserhöhungen wird jedoch sein: Die Zentralbanken tun etwas gegen die unerwünschte Inflation.
Die "finanzielle Repression" wird solange weitergehen, wie die Menschen "stillhalten", es zu keiner Flucht aus dem Fiat-Geld, den in Fiat-Geld ausgewiesenen Sicht-, Termin- und Sparguthaben sowie Schuldpapieren kommt. Damit eine solche Flucht ausbleibt, ist es erforderlich, dass die Menschen weiterhin glauben und überzeugt sind, die Inflation sei nur vorübergehend, sei ungewollt, werde bekämpft und bald wieder auf akzeptable Niveaus absinken. Wer die Kommentare der Zentralbankräte hört und liest, der wird erkennen, dass sie eben dieses Ziel verfolgen: Die Menschen zu beruhigen, ihr Vertrauen in das ungedeckte Geld aufrechtzuerhalten, Zweifel daran zu zerstreuen.
Wenn die Menschen allerdings aufwachen, den Schwindel mit der Geldentwertung durchschauen und darauf konsequent reagieren, dann ist mit großen Erschütterungen im Finanz- und Wirtschaftssystem zu rechnen. Hochinflation ist dann unausweichlich, Hyperinflation ein mögliches Extremergebnis. Eine Flucht aus dem Geld kann dann nur noch durch eine stark rezessive Geldpolitik beendet werden - die jedoch nur allzu leicht einen Zusammensturz des Fiat-Geldsystems herbeiführen würde: Rezession, Massenarbeitslosigkeit, Kreditausfälle, Bankzusammenbrüche. Doch werden Regierende wie Regierte bereit sein, eine solches Ergebnis herbeizuführen, um den Geldwert vor dem Ruin zu bewahren?
Sehr wahrscheinlich nicht. Solange nämlich die Auffassung vorherrscht, mit Geld- und Schuldenpolitik ließen sich Krisen erfolgreich abwehren und überwinden, wird man sich eben dieser Instrumente bedienen wollen. Vor allem steht der Zeitgeist, die vorherrschende politische Ideologie, der Bereitschaft entgegen, eine Anpassungs- beziehungsweise Bereinigungskrise zuzulassen. Vielmehr gibt es in der westlichen Welt einen Konsens, die bestehenden wirtschaftlichen und politischen Strukturen zu bewahren, sie keinesfalls einer marktgetriebenen Erneuerung "auszusetzen". Es gilt, den sogenannten "Wohlfahrtsstaat", der vor allem finanziert ist mit immer mehr Schulden und immer mehr neu ausgegebenem Fiat-Geld, mit allen Mitteln zu verteidigen.
Auf diesem ideologischen Nährboden gedeihen auch die Umbaupläne derjenigen, die Wirtschaft und Gesellschaft im Zuge eines "Großen Neustarts", einer "Großen Transformation“ umzugestalten gedenken. Man mag über die Frage trefflich spekulieren: Können die Befürworter dieser Planvorhaben eine "ungeordnete" Krise des Fiat-Geldsystems und die damit verbundene Rezession der Volkswirtschaften gebrauchen oder nicht? Unbestritten ist: Der Erhalt des Fiat-Geldsystems ist für den Staat (und die Sonderinteressen, die ihn für ihre Zwecke einzuspannen suchen) ein ganz besonders wirksames Instrument, um das volkswirtschaftliche Geschehen zu steuern - die Keynesianer sprechen nicht umsonst an dieser Stelle seit je her unverblümt von "Globalsteuerung" -, und das er nicht leichtfertigt aufgibt.
Diese Überlegungen sprechen dafür, dass die Zentralbanken dies- und jenseits des Atlantiks (die ja letztlich die vorherrschende politische Ideologie unterstützen (müssen)) die Zinsschraube im aktuellen Zyklus nicht zu eng anziehen werden; dass sie eine existenzbedrohende Krise des Fiat-Geldsystems zu vermeiden suchen und dass sie vielmehr darauf bauen, eine Phase der erhöhten Inflation zuzulassen in der Hoffnung, dass die Inflation nicht völlig aus dem Ruder gerät.
Sie werden versuchen, die Zinssteigerungserwartungen in den Finanzmärkten wachzuhalten. Aber eine ernste "Inflationsbekämpfung" wird es sehr wahrscheinlich nicht geben; es erscheint vielmehr sehr wahrscheinlich, dass die Realzinsen im negativen Territorium verbleiben werden.
In einem Umfeld negativer Realzinsen empfehlen sich eine Reihe von "Assets" - wie Aktien, Häuser, Grundstücke, Kunst etc. Vor allem aber physisches Gold und Silber sind hier unverzichtbar.
Wir haben es bereits viele Male ausgesprochen: Physisches Gold ist Geld, ist das Grundgeld der Menschheit. Die Kaufkraft von physischem Gold und Silber kann durch die Zentralbankpolitik nicht entwertet werden, und physisches Gold und Silber tragen auch kein Zahlungsausfallrisiko wie Sicht-, Termin- und Spareinlagen bei Banken. Wenn die anstehenden Zinserhöhungen der Zentralbanken die Phase der finanziellen Repression nicht beenden, wie wir vermuten, ist der Anleger und Investor gut beraten, einen Teil des Anlagekapitals in Form von physischem Gold und Silber zu halten.
© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH