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Die Inflation ist kein Tsunami, dem wir hilflos ausgeliefert sind, sie ist menschengemacht

30.04.2022  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
Ein Interview, dass Jörn Gleisner, Managing Director der financial relations, mit Thorsten Polleit, Chefvolkswirt der Degussa, am 12. April 2022 geführt hat.


Jörn Gleisner: Es ist geradezu beängstigend, wie die Inflation immer weiter in die Höhe steigt. In den USA betrug sie im Februar 2022 fast 8 Prozent, in Deutschland war sie im März 7,3 Prozent, in Spanien knapp 10 Prozent. Was ist der Grund, und wann hört das auf?

Thorsten Polleit: Güterpreisinflation ist das fortgesetzte Ansteigen der Güterpreise auf breiter Front. Solch eine Entwicklung ist nur möglich, wenn die Zentralbanken zu viel Geld in Umlauf bringen. Und genau das haben sie getan. Seit Ende 2019 hat die US-Zentralbank (Fed) die US-Geldmenge um 42 Prozent, die Europäische Zentralbank (EZB) die Geldmenge um 21 Prozent ausgeweitet. Dadurch wurde ein gewaltiger "Geldmengenüberhang" erzeugt, und der trifft nun auf einen "Preisschock": Die Lockdowns im Zuge der Corona-Krise haben die Güterknappheit verschärft, die "Grüne Politik" hat die Energie verteuert, dazu kommen die Folgen des Ukraine-Krieges, die die Energie- und Nahrungsmittelpreise weiter in die Höhe katapultieren.


Jörn Gleisner: Also Sie sagen, wenn ich das richtig verstehe, dass die Inflation nicht durch Corona oder den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine verursacht ist, sondern dass die Zentralbanken sie erzeugen?

Thorsten Polleit: Richtig, Inflation der Güterpreise hatte schon lange vor dem Ukraine-Krieg stark angezogen. Es gab schon heftige "Kostenschubfaktoren", die eine ganze Reihe von Güterpreisen verteuert hatten, bevor Russland seinen Angriffskrieg begann. Dass das aber zu steigender Inflation - also einem fortgesetzten Ansteigen der Güterpreise auf breiter Front ausarten kann -, liegt an der Geldmengenvermehrung der Zentralbanken. Ich will das anhand eines ganz einfachen Beispiels verdeutlichen.

Nehmen wir an, die Geldmenge in der Volkswirtschaft ist konstant. Plötzlich verdoppeln sich die Energiepreise. Um die gleiche Energiemenge konsumieren zu können, müssten die Menschen ihre Nachfrage nach anderen Gütern einschränken. Das Ergebnis wäre eine Verschiebung der relativen Güterpreise: Erhöhte Energiepreise wären begleitet von fallenden Preisen für die Güter, die nunmehr weniger oder gar nicht mehr nachfragt werden.

Eine Inflation - also ein Ansteigen der Güterpreise auf breiter Front und dauerhaft - tritt hier nicht ein. Güterpreisinflation ist, so sagte es der US-amerikanische Ökonom Milton Friedman prägnant, ein monetäres Phänomen. Und weil die Zentralbanken das Geldproduktionsmonopol innehaben, tragen sie die Verantwortung für die Inflation.


Jörn Gleisner: Gibt es Hoffnung, dass die Inflation wieder zurückgeht? Die US-Zentralbank hat ihren Leitzins am 16. März angehoben und weitere Zinserhöhungen in Aussicht gestellt. Auch in der EZB gibt es Anzeichen, dass sich etwas bewegt. Auch hier scheint man das Inflationsproblem zu erkennen, und dass man etwas dagegen tun muss.

Thorsten Polleit: Ich glaube nicht, dass die großen Zentralbanken die Zinsen so stark anheben, wie es erforderlich wäre, um das Geldmengenwachstum merklich abzubremsen und die Inflation in die Schranken zu weisen. Der US-Realzins - also der Nominalzins abzüglich der Inflation - bleibt auf absehbare Zeit im negativen Territorium. Die von der Fed in Aussicht gestellten Zinssteigerungen sind eher "kosmetischer" Art: Sie sollen auf den Finanzmärkten und in der Öffentlichkeit den Eindruck erwecken, dass man die Inflation "bekämpfen" wird.

Denn es ist höchst fraglich, ob die hochverschuldeten Volkswirtschaften "normale" Zinshöhen überhaupt verkraften können. Weltweit liegt der Schuldenstand bei etwa 300 Billion US-Dollar, das sind etwa 350 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung. Seit Jahr und Tag sind die Realzinsen in den USA und auch in Europa negativ. Steigende, positive Realzinsen würden die gewaltige Schuldenpyramide, die die Zentralbanken in den letzten Jahrzehnten mit aufgetürmt haben, ins Wanken, vielleicht sogar zum Einsturz bringen.

Zudem ist zu beachten, dass Inflation ein Mittel ist, durch das der Staat und auch einflussreiche verschuldete Gruppen sich ihrer Schuldenlast entledigen können. Wenn die Zentralbank die Zinsen niedrig hält, dann funktioniert das besonders gut: Der Realzins ist negativ, die Schuldner profitieren auf Kosten der Gläubiger.

Die leidvolle Währungsgeschichte ist voll von Beispielen, wie Staaten immer wieder die Inflation als Folge der Geldmengenvermehrung eingesetzt haben, um zahlungsfähig zu bleiben, wohlwissentlich, dass sie dadurch das Geld der Bevölkerung ruinieren. Die Inflation ist eben kein Tsunami, dem die Menschen hilflos ausgeliefert sind, sie ist vielmehr menschengemacht. Ich bin allerdings nicht zuversichtlich, dass die Zentralbanken die Inflation, die sie erzeugt haben, wirklich eingrenzen oder beseitigen werden.


Jörn Gleisner: Was aber sind die Folgen, wenn die Inflation in den kommenden Jahren hoch bleibt? Vermutlich bedeutet Inflation ja nicht nur eine Verteuerung der Güter des täglichen Bedarfs. Das für sich ist schon schlimm genug. Aber womit muss man noch rechnen, wirtschaftlich und politisch?

Thorsten Polleit: Inflation ist ein wirtschaftliches und gesellschaftliches Übel. Sie macht die Güter teurer, und das bedeutet im wahrsten Sinne des Wortes eine Verarmung vieler Menschen: Man muss länger arbeiten, um das gleiche konsumieren zu können. Oder man kann sich bestimmte Dinge nicht mehr leisten: Urlaub fällt aus, man muss in eine kleinere Wohnung umziehen. Die breite Bevölkerung leidet unter der Inflation, weil erfahrungsgemäß zeitlich die Anpassung von Löhnen und Renten und Transferzahlungen der Inflation hinterherhinkt.

Die Inflation schädigt aber auch viele Firmen, gefährdet Arbeitsplätze. Die Nachfrage nach Gütern geht zurück, weil die Menschen sie sich nicht mehr leisten können. Oder die Produktionskosten werden so hoch, dass es sich nicht mehr lohnt, bestimmte Güter zu produzieren. Diese Effekte treten in einer Inflationsphase nicht sofort, sondern erst nach und nach in Erscheinung.

Inflation betrifft nicht nur das Wirtschaften, sondern auch die Moral der Menschen. Weil die Inflation Härtefälle schafft - viele Menschen können ihren bisherigen Konsum nicht mehr bezahlen und rutschen in der sozialen Hierarchie ab -, kommt es zu Verbitterung und Zorn, die das gesellschaftliche Miteinander vergiften. Sündenböcke werden gesucht. Demagogen haben es da leicht, Schuldige an den Pranger zu stellen.


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