Warum diese Inflation besonders gefährlich ist
30.05.2022 | Prof. Dr. Thorsten Polleit
Inflation bedeutet nicht nur Kaufkraftentwertung des Geldes und macht die breite Bevölkerung ärmer. Sie droht auch, wenn sie nicht gestoppt wird, die freie Wirtschaft und Gesellschaft des Westens in eine unfreie zu verformen.
Hohe Inflation
Die Inflation ist weltweit auf dem Vormarsch. In vielen Ländern hat sie bereits extreme Höhen erreicht. So lag die Inflation der Konsumgüterpreise in den USA im April 2022 bei 8,3 Prozent, im Euroraum bei 7,5 Prozent, in Deutschland bei 7,4 Prozent. Und ein baldiges Ende der Geldentwertung ist nicht in Sicht, Entwarnung lässt sich leider nicht geben. Dafür sprechen beispielsweise die extremen Steigerungsraten bei den Produzenten- und Großhandelspreisen, die bekanntlich erst mit einer zeitlichen Verzögerung die Endverbraucherpreise erreichen (Abb. 1).
Inflation ist ein äußerst komplexes Phänomen. Daher soll es im Folgenden etwas genauer beleuchtet und erklärt werden. Beginnen wir mit dem "negativen Preisschock", für den die Folgen der politisch diktierten Lockdown-Krise und der "grünen Politik" sorgen. Sie verschärfen die Knappheit in den Gütermärkten beziehungsweise führen zu einer Verteuerung der Güterproduktion. Verstärkt wird diese Entwicklung jüngst durch die Konsequenzen, die der Ukraine-Krieg und vor allem auch die "Zero-Covid"-Politik Chinas nach sich ziehen.
All das bewirkt ein Ansteigen des Preisniveaus in den Volkswirtschaften. Das senkt die realen Einkommen der Menschen ab: Man bekommt nunmehr weniger als bisher für seinen Lohn, für sein Geld. Der materielle Lebensstandard sinkt. Firmen sind davon ebenfalls betroffen. Ihre Kosten für die Erzeugung der Absatzgüter steigen. Und da viele Firmen meist nicht in der Lage sind, die gestiegenen Produktionskosten vollumfänglich auf die Absatzpreise überzuwälzen, geraten sie in Umsatz- und Gewinnprobleme. Die Nachfrage nach vielen Produkten schwindet, weil die Käufer nicht mehr die nötige Kaufkraft haben.
'Negativer Preisschock' versus Inflation
Dieser "negative Preisschock" wirkt im wahrsten Sinne des Wortes verarmend für die Menschen in den betroffenen Volkswirtschaften. Doch das ist leider noch nicht alles. Es kommt auch noch die Wirkung der übermäßigen Geldmengenvermehrung hinzu. Die Zentralbanken haben seit Ende 2019 die Geldmengen in vielen Volkswirtschaften drastisch ausgeweitet. So ist die Geldmenge M2 in den Vereinigten Staaten von Amerika um 43 Prozent gestiegen, im Euroraum die Geldmenge M3 um 21 Prozent. Das hat zu einem gewaltigen "Geldmengenüberhang" geführt, auf den nun der negative Preisschock nun trifft.
Eine kurze Erklärung der Inflation
In der Volkswirtschaftslehre gibt es zwei Erklärungen für die Inflation. Zum einen gibt es die nicht-monetäre Inflationstheorie. Ihr zufolge steigen die Güterpreise, wenn es zum Beispiel zu einer Energiepreisverteuerung oder zu starkem Lohnwachstum kommt ("Cost-Push-Inflation"); oder es stellt sich ein Nachfrageüberhang ein, der die Preise in die Höhe treibt ("Demand-Pull-Inflation"). Zum anderen gibt es die monetäre Inflationstheorie. Sie besagt, dass die Inflation - und damit ist ein fortlaufendes Ansteigen der Güterpreise auf breiter Front gemeint - ein monetäres Phänomen ist.
Aus dieser Sicht ist Inflation stets und überall die Folge der Geldmengenvermehrung. Und weil im heutigen Geldsystem die staatliche Zentralbank das Geldproduktionsmonopol innehat, ist es auch die staatliche Zentralbank, die für die Inflation verantwortlich ist. Beide Inflationstheorien - die nichtmonetäre und die monetäre - lassen sich allerdings durchaus für Erklärungszwecke miteinander verbinden. So kann ein Kostenschub (beispielsweise herbeigeführt durch einen Energiepreisanstieg) den Weg in die Inflation auslösen, wenn der Kostenschub auf lockere Geldpolitik trifft, die die Geldmenge übergebührlich stark ausweitet.
Allerdings bleibt es auch in diesem Beispiel dabei: Es ist letztlich die Geldmengenausweitung, die für Inflation - also für das chronische und andauernde Ansteigen der Güterpreise auf breiter Front - sorgt. Ohne dass die Geldmenge stark ausgeweitet wird, ist eine Inflation nicht denkbar.
Der Geldmengenüberhang bedeutet, dass Konsumenten und Firmen mehr Kasse halten als gewöhnlich. Diese "Überschusskasse" bauen sie erwartungsgemäß früher oder später wieder ab, indem sie Güter und Dienste nachfragen. In 2020 und 2021 hat die Geldmengenvermehrung die Konjunkturen unterstützt. Die steigende Güterproduktion, vor allem aber die steigenden Güterpreise reduzieren nun aber den Geldmengenüberhang. Das wirkt tendenziell konjunkturbremsend - und dieser Effekt beginnt sich auch bereits in einigen Wirtschaftsdaten zu zeigen.
Allerdings ist der Geldmengenüberhang nach wie vor so groß, dass die Inflationsraten vermutlich noch einige Zeit außergewöhnlich hoch bleiben werden. Selbst wenn also die Zentralbanken die Zinsen anheben, wird das bestenfalls die Inflation in der fernen Zukunft abmildern können, nicht aber die laufende und auch nicht die in den kommenden e/in, zwei oder drei Jahren zu erwartende Inflation. Denn die Zentralbanken werden es wohl nicht wagen, die ausstehende Geldmenge zu reduzieren, um auf diese Weise den Geldmengenüberhang zurückzustutzen.
Denn das würde absehbar eine schwere Rezession herbeiführen, für die es in der Öffentlichkeit vermutlich keine Akzeptanz gibt. Auch ist ein solches Szenario politisch nicht gewünscht. Wenn aber die Inflation hoch bleibt, sich nicht bald wieder in Richtung der 2-Prozentmarke entwickelt, dann kann der Fall eintreten, dass die Menschen ihre Inflationserwartungen irgendwann nach oben anpassen und (richtigerweise) mit einer dauerhaft hohen Inflation in der Zukunft rechnen. Das wiederum kann weitreichende Folgen für die Geldnachfrage und Rückwirkung auf die Inflation haben.
Nachlassende Geldnachfrage
Wenn die Menschen plötzlich erwarten (müssen), dass die künftige Inflation dauerhaft hoch bleiben wird, und zwar höher als sie bisher gedacht haben, dann verringern sie ihre Geldnachfrage. Das heißt, sie werden den Anteil der Geldhaltung an ihrem Gesamtportfolio (bestehend aus, sagen wir, Bankguthaben, Gold- und Silbermünzen, Aktienportfolio, Auto, Haus und Hof) vermindern wollen. Wie kann das geschehen? Indem sie beispielsweise Termin- und Spareinlagen auflösen und damit Aktien oder eine Immobilie erwerben.
Das Geld wird folglich verstärkt am Markt angeboten im Tausch gegen Aktien und Immobilien. Die Folge ist, dass die Geldpreise von Aktien und Immobilien steigen (beziehungswiese höher ausfallen, als sie ohne diese Transaktion ausfallen würden). Das bedeutet, dass die Kaufkraft des Geldes schwindet. Das Bestreben der Menschen, ihre Kassenhaltung zu reduzieren, löst folglich einen inflationären Schub aus, ohne dass die Geldmenge steigt. Das ist eine Entwicklung, die man als "Flucht aus dem Geld" bezeichnen kann. Hinter ihr verbirgt sich ein Prozess, in dem die Geldnachfrage beginnt, dem Geldangebot hinterherzuhinken.
Hohe Inflation
Die Inflation ist weltweit auf dem Vormarsch. In vielen Ländern hat sie bereits extreme Höhen erreicht. So lag die Inflation der Konsumgüterpreise in den USA im April 2022 bei 8,3 Prozent, im Euroraum bei 7,5 Prozent, in Deutschland bei 7,4 Prozent. Und ein baldiges Ende der Geldentwertung ist nicht in Sicht, Entwarnung lässt sich leider nicht geben. Dafür sprechen beispielsweise die extremen Steigerungsraten bei den Produzenten- und Großhandelspreisen, die bekanntlich erst mit einer zeitlichen Verzögerung die Endverbraucherpreise erreichen (Abb. 1).
Quelle: Refinitiv; eigene Berechnungen. Letzter Datenpunkt: April 2022.
Inflation ist ein äußerst komplexes Phänomen. Daher soll es im Folgenden etwas genauer beleuchtet und erklärt werden. Beginnen wir mit dem "negativen Preisschock", für den die Folgen der politisch diktierten Lockdown-Krise und der "grünen Politik" sorgen. Sie verschärfen die Knappheit in den Gütermärkten beziehungsweise führen zu einer Verteuerung der Güterproduktion. Verstärkt wird diese Entwicklung jüngst durch die Konsequenzen, die der Ukraine-Krieg und vor allem auch die "Zero-Covid"-Politik Chinas nach sich ziehen.
All das bewirkt ein Ansteigen des Preisniveaus in den Volkswirtschaften. Das senkt die realen Einkommen der Menschen ab: Man bekommt nunmehr weniger als bisher für seinen Lohn, für sein Geld. Der materielle Lebensstandard sinkt. Firmen sind davon ebenfalls betroffen. Ihre Kosten für die Erzeugung der Absatzgüter steigen. Und da viele Firmen meist nicht in der Lage sind, die gestiegenen Produktionskosten vollumfänglich auf die Absatzpreise überzuwälzen, geraten sie in Umsatz- und Gewinnprobleme. Die Nachfrage nach vielen Produkten schwindet, weil die Käufer nicht mehr die nötige Kaufkraft haben.
'Negativer Preisschock' versus Inflation
Dieser "negative Preisschock" wirkt im wahrsten Sinne des Wortes verarmend für die Menschen in den betroffenen Volkswirtschaften. Doch das ist leider noch nicht alles. Es kommt auch noch die Wirkung der übermäßigen Geldmengenvermehrung hinzu. Die Zentralbanken haben seit Ende 2019 die Geldmengen in vielen Volkswirtschaften drastisch ausgeweitet. So ist die Geldmenge M2 in den Vereinigten Staaten von Amerika um 43 Prozent gestiegen, im Euroraum die Geldmenge M3 um 21 Prozent. Das hat zu einem gewaltigen "Geldmengenüberhang" geführt, auf den nun der negative Preisschock nun trifft.
Eine kurze Erklärung der Inflation
In der Volkswirtschaftslehre gibt es zwei Erklärungen für die Inflation. Zum einen gibt es die nicht-monetäre Inflationstheorie. Ihr zufolge steigen die Güterpreise, wenn es zum Beispiel zu einer Energiepreisverteuerung oder zu starkem Lohnwachstum kommt ("Cost-Push-Inflation"); oder es stellt sich ein Nachfrageüberhang ein, der die Preise in die Höhe treibt ("Demand-Pull-Inflation"). Zum anderen gibt es die monetäre Inflationstheorie. Sie besagt, dass die Inflation - und damit ist ein fortlaufendes Ansteigen der Güterpreise auf breiter Front gemeint - ein monetäres Phänomen ist.
Aus dieser Sicht ist Inflation stets und überall die Folge der Geldmengenvermehrung. Und weil im heutigen Geldsystem die staatliche Zentralbank das Geldproduktionsmonopol innehat, ist es auch die staatliche Zentralbank, die für die Inflation verantwortlich ist. Beide Inflationstheorien - die nichtmonetäre und die monetäre - lassen sich allerdings durchaus für Erklärungszwecke miteinander verbinden. So kann ein Kostenschub (beispielsweise herbeigeführt durch einen Energiepreisanstieg) den Weg in die Inflation auslösen, wenn der Kostenschub auf lockere Geldpolitik trifft, die die Geldmenge übergebührlich stark ausweitet.
Allerdings bleibt es auch in diesem Beispiel dabei: Es ist letztlich die Geldmengenausweitung, die für Inflation - also für das chronische und andauernde Ansteigen der Güterpreise auf breiter Front - sorgt. Ohne dass die Geldmenge stark ausgeweitet wird, ist eine Inflation nicht denkbar.
Der Geldmengenüberhang bedeutet, dass Konsumenten und Firmen mehr Kasse halten als gewöhnlich. Diese "Überschusskasse" bauen sie erwartungsgemäß früher oder später wieder ab, indem sie Güter und Dienste nachfragen. In 2020 und 2021 hat die Geldmengenvermehrung die Konjunkturen unterstützt. Die steigende Güterproduktion, vor allem aber die steigenden Güterpreise reduzieren nun aber den Geldmengenüberhang. Das wirkt tendenziell konjunkturbremsend - und dieser Effekt beginnt sich auch bereits in einigen Wirtschaftsdaten zu zeigen.
Allerdings ist der Geldmengenüberhang nach wie vor so groß, dass die Inflationsraten vermutlich noch einige Zeit außergewöhnlich hoch bleiben werden. Selbst wenn also die Zentralbanken die Zinsen anheben, wird das bestenfalls die Inflation in der fernen Zukunft abmildern können, nicht aber die laufende und auch nicht die in den kommenden e/in, zwei oder drei Jahren zu erwartende Inflation. Denn die Zentralbanken werden es wohl nicht wagen, die ausstehende Geldmenge zu reduzieren, um auf diese Weise den Geldmengenüberhang zurückzustutzen.
Denn das würde absehbar eine schwere Rezession herbeiführen, für die es in der Öffentlichkeit vermutlich keine Akzeptanz gibt. Auch ist ein solches Szenario politisch nicht gewünscht. Wenn aber die Inflation hoch bleibt, sich nicht bald wieder in Richtung der 2-Prozentmarke entwickelt, dann kann der Fall eintreten, dass die Menschen ihre Inflationserwartungen irgendwann nach oben anpassen und (richtigerweise) mit einer dauerhaft hohen Inflation in der Zukunft rechnen. Das wiederum kann weitreichende Folgen für die Geldnachfrage und Rückwirkung auf die Inflation haben.
Nachlassende Geldnachfrage
Wenn die Menschen plötzlich erwarten (müssen), dass die künftige Inflation dauerhaft hoch bleiben wird, und zwar höher als sie bisher gedacht haben, dann verringern sie ihre Geldnachfrage. Das heißt, sie werden den Anteil der Geldhaltung an ihrem Gesamtportfolio (bestehend aus, sagen wir, Bankguthaben, Gold- und Silbermünzen, Aktienportfolio, Auto, Haus und Hof) vermindern wollen. Wie kann das geschehen? Indem sie beispielsweise Termin- und Spareinlagen auflösen und damit Aktien oder eine Immobilie erwerben.
Das Geld wird folglich verstärkt am Markt angeboten im Tausch gegen Aktien und Immobilien. Die Folge ist, dass die Geldpreise von Aktien und Immobilien steigen (beziehungswiese höher ausfallen, als sie ohne diese Transaktion ausfallen würden). Das bedeutet, dass die Kaufkraft des Geldes schwindet. Das Bestreben der Menschen, ihre Kassenhaltung zu reduzieren, löst folglich einen inflationären Schub aus, ohne dass die Geldmenge steigt. Das ist eine Entwicklung, die man als "Flucht aus dem Geld" bezeichnen kann. Hinter ihr verbirgt sich ein Prozess, in dem die Geldnachfrage beginnt, dem Geldangebot hinterherzuhinken.