Dem Euro droht das "Yen-Desaster"
25.06.2022 | Prof. Dr. Thorsten Polleit
Die EZB stemmt sich gegen eine neue Eurokrise. Ihr Vorgehen weckt Erinnerungen an das Jahr 2012 - und das Vorgehen der japanischen Notenbank. Das bedeutet nichts Gutes für das Eurogeld.
Was haben sich die Räte der Europäischen Zentralbank (EZB) eigentlich gedacht, was passieren würde, wenn sie ihre Anleiheaufkäufe beenden? Es war doch klar, dass kein Investor, der bei Sinnen ist, italienische, spanische oder portugiesische Staatsanleihen zu Zinsen um die 1 Prozentpunkte kaufen würde. Dass die Euro-Anleiherenditen jetzt steigen, so werden die EZB-Räte sagen, sei ja durchaus in Ordnung.
Aber sie werden gleichzeitig auch anmerken, dass die Renditen für einige Euro-Staatsanleihen "zu stark" anziehen. Selbstverständlich wird es für ein Land wie Italien, das einen öffentlichen Schuldenberg in Höhe von etwa 151 Prozent des Bruttoinlandsproduktes hat, sehr teuer, wenn die 10-Jahresrendite für die Staatsschuld auf 4 oder mehr Prozent klettert.
Aber wo, bitte sehr, sollten denn die "richtigen" Zinshöhen für Italien und Spanien und auch alle anderen Euro-Staatsschuldpapiere liegen? Es ist bekanntermaßen die Aufgabe des Kapitalmarktes, auf eben diese Frage eine Antwort zu finden. Was das Angebot und die Nachfrage, an der sich die EZB fortan nicht mehr beteiligt, hervorbringen, mag zwar politisch nicht gewünscht sein, aber es ist keinesfalls falsch.
Wenn man als Investor nicht mehr damit rechnen kann, dass die EZB die Kurse für Euro-Schuldpapiere künstlich hochhält (und deren Rendite entsprechend in die Tiefe drückt), dann wird man solche Zahlungsversprechen nur noch unter der Bedingung besitzen wollen, dass man einen vergleichsweise hohen Zins dafür bekommt. Doch der Kapitalmarkt soll nicht das Sagen haben.
Am Mittwoch hat daher der EZB-Rat eine "Notfallsitzung" einberufen. Man will etwas dagegen tun, dass die Zinsen der Euro-Südländer immer weiter in Richtung Norden steigen. Es gilt vor allem, eine - so der "EZB-Sprech" - "Fragmentierung" der Kapitalmärkte zu verhindern. Dazu sollen zunächst die fällig werdenden Anleihebeträge aus dem Kaufprogramm („PEPP“) verwendet werden, um mit ihnen Anleihen aus Problemstaaten zu kaufen.
Erinnerungen werden wach: Im Juli 2012 sprach der damalige EZB-Präsident Mario Draghi die bekannten Worte "Whatever it takes to preserve the euro" (meine Übersetzung: "Ohne Rücksicht auf Verluste wird der Euro erhalten"). Jetzt ist es also wieder so weit. Doch jetzt wird es wirklich prekär: Die EZB wird vermutlich in so etwas wie eine "vollständige Zinskontrollpolitik" abgleiten.
Wenn eine Zentralbank (offen oder heimlich) eine Zinsobergrenze festlegt - und das ist es vermutlich, was den EZB-Räten vorschwebt -, dann ist das gleichbedeutend mit der Vorgabe eines Mindestkurses für Anleihen.
Liegt der verkündete Mindestkurs über dem markträumenden Kurs - und damit ist zu rechnen, andernfalls bräuchte man keinen solchen Mindestkurs -, stellt sich ein Angebotsüberhang am Anleihemarkt ein: Das Schuldenangebot steigt, während die Nachfrage nach Anleihen zurückgeht. Um zu verhindern, dass die Kurse nachgeben (und die Renditen steigen), muss die Zentralbank den Angebotsüberhang aufkaufen. Die Käufe bezahlt sie mit neu geschaffenem Geld, das die ausstehende Geldmenge erhöht.
Entscheidend für die resultierende monetäre Wirkung ist, von wem die Zentralbank die Anleihen kauft. Stammen sie aus Beständen der Geschäftsbanken, stellt sich "nur" eine Ausweitung der Basisgeldmenge ein: In den Bilanzen der Banken nehmen die Anleihebestände ab, und im Gegenzug steigen die Überschussreserven der Banken.
Werden hingegen die Anleihen, die die Zentralbank erwirbt, von Nichtbanken (wie zum Beispiel Versicherungen, Pensionskassen oder Privatanlegern) verkauft, nimmt die Basisgeldmenge im Bankensektor zu, und es steigen zudem auch die Geschäftsbankengeldmengen M1 bis M3. Die gleiche Wirkung stellt sich ein, wenn die Zentralbank neu ausgegebene Staatsschulden aufkauft, wenn sie also die öffentlichen Haushalte direkt mit dem Anwerfen der elektronischen Notenpresse finanziert.
Die Verkündung und Durchsetzung eines Mindestkurses für Anleihen kann eine schwer zu bremsende Inflationsdynamik entfalten. Je weiter der Mindestkurs der Anleihen über ihrem markträumenden Kurs liegt, je größer fällt das von der Zentralbank zu kaufende beziehungsweise zu monetisierende Schuldenvolumen aus.
Und je größer die dabei entstehende Geldmengenausweitung ist, desto stärker wird auch der markträumende Anleihekurs in die Knie gehen: Steigen die Geldmengen stark an, schwindet der Marktwert der Anleihen, und die Investoren verlangen eine höhere Rendite. Das wiederum vergrößert den Angebotsüberhang auf dem Anleihemarkt, der von der Zentralbank aufgekauft werden muss, um den Mindestkurs zu halten. Diese unheilvolle Dynamik verschärft sich, wenn die Schuldenaufnahme des Staates aus dem Ruder läuft.
Was haben sich die Räte der Europäischen Zentralbank (EZB) eigentlich gedacht, was passieren würde, wenn sie ihre Anleiheaufkäufe beenden? Es war doch klar, dass kein Investor, der bei Sinnen ist, italienische, spanische oder portugiesische Staatsanleihen zu Zinsen um die 1 Prozentpunkte kaufen würde. Dass die Euro-Anleiherenditen jetzt steigen, so werden die EZB-Räte sagen, sei ja durchaus in Ordnung.
Aber sie werden gleichzeitig auch anmerken, dass die Renditen für einige Euro-Staatsanleihen "zu stark" anziehen. Selbstverständlich wird es für ein Land wie Italien, das einen öffentlichen Schuldenberg in Höhe von etwa 151 Prozent des Bruttoinlandsproduktes hat, sehr teuer, wenn die 10-Jahresrendite für die Staatsschuld auf 4 oder mehr Prozent klettert.
Aber wo, bitte sehr, sollten denn die "richtigen" Zinshöhen für Italien und Spanien und auch alle anderen Euro-Staatsschuldpapiere liegen? Es ist bekanntermaßen die Aufgabe des Kapitalmarktes, auf eben diese Frage eine Antwort zu finden. Was das Angebot und die Nachfrage, an der sich die EZB fortan nicht mehr beteiligt, hervorbringen, mag zwar politisch nicht gewünscht sein, aber es ist keinesfalls falsch.
Wenn man als Investor nicht mehr damit rechnen kann, dass die EZB die Kurse für Euro-Schuldpapiere künstlich hochhält (und deren Rendite entsprechend in die Tiefe drückt), dann wird man solche Zahlungsversprechen nur noch unter der Bedingung besitzen wollen, dass man einen vergleichsweise hohen Zins dafür bekommt. Doch der Kapitalmarkt soll nicht das Sagen haben.
Am Mittwoch hat daher der EZB-Rat eine "Notfallsitzung" einberufen. Man will etwas dagegen tun, dass die Zinsen der Euro-Südländer immer weiter in Richtung Norden steigen. Es gilt vor allem, eine - so der "EZB-Sprech" - "Fragmentierung" der Kapitalmärkte zu verhindern. Dazu sollen zunächst die fällig werdenden Anleihebeträge aus dem Kaufprogramm („PEPP“) verwendet werden, um mit ihnen Anleihen aus Problemstaaten zu kaufen.
Erinnerungen werden wach: Im Juli 2012 sprach der damalige EZB-Präsident Mario Draghi die bekannten Worte "Whatever it takes to preserve the euro" (meine Übersetzung: "Ohne Rücksicht auf Verluste wird der Euro erhalten"). Jetzt ist es also wieder so weit. Doch jetzt wird es wirklich prekär: Die EZB wird vermutlich in so etwas wie eine "vollständige Zinskontrollpolitik" abgleiten.
Wenn eine Zentralbank (offen oder heimlich) eine Zinsobergrenze festlegt - und das ist es vermutlich, was den EZB-Räten vorschwebt -, dann ist das gleichbedeutend mit der Vorgabe eines Mindestkurses für Anleihen.
Liegt der verkündete Mindestkurs über dem markträumenden Kurs - und damit ist zu rechnen, andernfalls bräuchte man keinen solchen Mindestkurs -, stellt sich ein Angebotsüberhang am Anleihemarkt ein: Das Schuldenangebot steigt, während die Nachfrage nach Anleihen zurückgeht. Um zu verhindern, dass die Kurse nachgeben (und die Renditen steigen), muss die Zentralbank den Angebotsüberhang aufkaufen. Die Käufe bezahlt sie mit neu geschaffenem Geld, das die ausstehende Geldmenge erhöht.
Entscheidend für die resultierende monetäre Wirkung ist, von wem die Zentralbank die Anleihen kauft. Stammen sie aus Beständen der Geschäftsbanken, stellt sich "nur" eine Ausweitung der Basisgeldmenge ein: In den Bilanzen der Banken nehmen die Anleihebestände ab, und im Gegenzug steigen die Überschussreserven der Banken.
Werden hingegen die Anleihen, die die Zentralbank erwirbt, von Nichtbanken (wie zum Beispiel Versicherungen, Pensionskassen oder Privatanlegern) verkauft, nimmt die Basisgeldmenge im Bankensektor zu, und es steigen zudem auch die Geschäftsbankengeldmengen M1 bis M3. Die gleiche Wirkung stellt sich ein, wenn die Zentralbank neu ausgegebene Staatsschulden aufkauft, wenn sie also die öffentlichen Haushalte direkt mit dem Anwerfen der elektronischen Notenpresse finanziert.
Die Verkündung und Durchsetzung eines Mindestkurses für Anleihen kann eine schwer zu bremsende Inflationsdynamik entfalten. Je weiter der Mindestkurs der Anleihen über ihrem markträumenden Kurs liegt, je größer fällt das von der Zentralbank zu kaufende beziehungsweise zu monetisierende Schuldenvolumen aus.
Und je größer die dabei entstehende Geldmengenausweitung ist, desto stärker wird auch der markträumende Anleihekurs in die Knie gehen: Steigen die Geldmengen stark an, schwindet der Marktwert der Anleihen, und die Investoren verlangen eine höhere Rendite. Das wiederum vergrößert den Angebotsüberhang auf dem Anleihemarkt, der von der Zentralbank aufgekauft werden muss, um den Mindestkurs zu halten. Diese unheilvolle Dynamik verschärft sich, wenn die Schuldenaufnahme des Staates aus dem Ruder läuft.