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Erschütterungen am Finanzmarkt - Uniper und Gedanken - „GDP now“

01.07.2022  |  Folker Hellmeyer
Der Euro eröffnet heute gegenüber dem USD bei 1,0461 (05:30 Uhr), nachdem der Tiefstkurs der letzten 24 Handelsstunden bei 1,0383 im europäischen Geschäft markiert wurde. Der USD stellt sich gegenüber dem JPY auf 135,24. In der Folge notiert EUR-JPY bei 141,52. EUR-CHF oszilliert bei 0,9997.

Die Finanzmärkte werden von weiteren Erschütterungen heimgesucht. Gestern litten die Aktienmärkte, allen voran in Europa, unter der Erkenntnis, dass Eskalation weiter dominiert.

Die Causa Uniper im Kontext der Ukraine-Krise war eine der Katalysatoren. Das Unternehmen Uniper, das im Besitz des finnischen Fortum-Konzerns liegt, weil deutsche Investoren die E.on- Abspaltung nicht in die Bücher nehmen wollte (zu wenig grün), hatte Alarm geschlagen und um Staatshilfe gebeten. Uniper ist mit seinen Kraftwerkskapazitäten in Höhe von 33 Gigawatt einer der größten Stromversorger der Welt (Deutschland 10 Gigawatt). Uniper ist aber auch einer der größten Flüssiggashändler weltweit (strategische Bedeutung) und baut jetzt auf Bitten der Bundesregierung LNG-Terminals an der Nordseeküste.

Kommentar: Nichts gegen finnische Investoren, aber hier wird deutlich, wie fahrlässig in Deutschland mit tragenden Strukturen umgegangen wurde. Aristoteles (Struktur) gegen flüchtigen Zeitgeist – Wer flüchtigen Zeitgeist lebt, legt die Axt an Strukturen.

Was lässt sich aus diesem Dilemma hinsichtlich der Rolle Unipers für Deutschlands Energieversorgung ableiten? Wir werden zahlen (zukünftige Generationen sagen „Merci“) - „whatever it takes“!

Es geht aber um mehr. Erkennbar ist an der Causa Uniper, dass es für deutsche Verbraucher und Unternehmen teuer wird, voraussichtlich sehr teuer oder existentiell teuer, es sei denn wir kehren zur Kunst der Diplomatie zurück. Das ist aber derzeit nicht erkennbar.

Die Risiken für den Standort Deutschland waren seit 1949 niemals größer als derzeit. Das Bewusstsein dafür ist meines Erachtens in der Gesellschaft weiter unausgeprägt. Wer die Axt an den Lebensbaum (Kapitalstock) anlegt, sollte sich der Konsequenzen bewusst sein. Kein Land der Welt, unter welchen Umständen auch immer, kann von einem Drittland erwarten, sich selbst zu ruinieren. In den USA heißt es „America first“, wie heißt es in Deutschland und Europa?

Wir stehen erst am Anfang der Krise und sie nimmt bereits dramatische Formen an. Eine IFO- Studie belegt unsere Abhängigkeiten, von denen wir uns nicht lösen können, weil wir kein Rohstoffland sind. Rohstoffländer sind zu großen Teilen nicht Teil des Westens und haben andere Kulturen. Als Folge der anderen Kulturen (Kulturhintergründe global: Konfuzianismus, Hinduismus, Buddhismus, Islam, christliche Orthodoxie, calvinistische Kultur, katholische Kultur, protestantische Kultur) haben sie auch regelmäßig eine andere Moral und daraus abgeleitet auch häufig andere politische Systeme.

Sollte Deutschland oder der Westen unsere Moral und Kultur im Außenverkehr über die der anderen Länder stellen (Diskriminierung? Regelbasierung? UN Charta/Souveränität), um internationale Wirtschaft zu leben, wohlwissend, dass der westliche Anteil am Welt-BIP (aktuell circa 34% Basis KKP) rückläufig ist? Sind wir überhaupt konsequent, wenn günstiges „autoritäres“ russisches Gas durch teureres „noch autoritäres“ LNG aus beispielsweise Katar ersetzt werden soll?


Schauen wir auf die IFO-Studie. Deutschland ist bei vielen Schlüsseltechnologien unabänderlich von importierten Rohstoffen abhängig. Laut der Studie bestehe dringender Handlungsbedarf für krisensichere Lieferketten bei neun Mineralien. Es seien Kobalt, Bor, Silizium, Graphit, Magnesium, Lithium, Niob, seltene Erden und Titan. Es seien mehr Bezugsquellen nötig, um die Lieferketten widerstandsfähiger zu machen. Bei sieben der neun kritischen Rohstoffe ist China einer der größten Anbieter am Weltmarkt.

Kommentar: Viele dieser Rohstoffe kommen aus Ländern, die nicht nach Maßgaben der westlichen Moral handeln und die auch Kriege führen (u.a. Saudi-Arabien). Wollen wir Deutschland jetzt dichtmachen und Verantwortung für die eigene Bevölkerung negieren? Was ist los in Deutschland? Wie wäre es mit einer Portion Realpolitik und Demut bezüglich des Anspruchs, Schaden von uns abzuwenden und ihn nicht durch aktives Handeln zu generieren.

Die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft VBW hat eine Studie bei der Prognos AG über die Folgen eines Stopps der Erdgasimporte in Auftrag gegeben. Das Resultat ist niederschmetternd. Das BIP würde um 193 Mrd. EUR schrumpfen und die Zahl der Arbeitslosen um 5,6 Millionen steigen. Mehr gibt es nicht zu sagen.



„GDP now“: Es trifft nicht nur uns

Zuletzt tönten die Fed-Granden, dass die US-Wirtschaft widerstandsfähig sei. Dieses Bild lässt sich kaum aufrecht erhalten. Es knackt im ökonomischen US-Wirtschaftsgebälk. Laut neuester Prognose der Federal Reserve Atlanta wird sich das US-BIP im 2. Quartal auf -1,0%% nach zuvor -1,6% im 1. Quartal stellen. Der IWF hatte gerade die Wachstumsprognose der USA von 3,6% auf 2,9% revidiert. Um wieviel muss denn jetzt die US-Wirtschaft im 2. Halbjahr wachsen, um diese Ziele des IWF zu erreichen?

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Datenpotpourri der letzten 24 Handelsstunden:

China: Chinas Öffnung nach Lockdown belebt Wirtschaft markant

Nachdem die vom staatlichen NBS ermittelten Einkaufsmanagerindices per Berichtsmonat Juni bereits nachhaltig positiv überraschten (NBS Composite Index 54,1 nach zuvor 48,4, höchster Indexstand seit Mai 2021), setzte der von Caixin (privater Provider) berechnete Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe den nächsten unerwarteten positiven Akzent mit einem Anstieg per Juni von zuvor 48,1 auf 51,7 Punkte (Prognose 50,1). Auch hier wurde der höchste Indexwert seit Mai 2021 markiert. Die Nichtteilnahme bei den Sanktionen gegen Russland bietet China Versorgungssicherheit, einen günstigen Zugriff auf elementare Rohstoffe und Raum für Zinssenkungen, da Inflation kein ernstes Problem darstellt (CPI 2,1%)..


Eurozone: Arbeitslosenrate mit neuem Allzeittief

Die Arbeitslosenrate sank per Mai von zuvor 6,7% (revidiert von 6,8%) auf 6,6% und markierte einen neuen
historischen Tiefstwert.

Deutschland: Die Importpreise nahmen per Berichtsmonat Mai im Monatsvergleich um 0,9% (Prognose 1,6%) nach zuvor 1,8% und im Jahresvergleich um 30,6% (Prognose 31,5%) nach zuvor 31,7% zu.

Deutschland: Die Einzelhandelsumsätze legten per Mai im Monatsvergleich um 0,6% (Prognose 0,5%) nach zuvor -5,4% zu. Im Jahresvergleich kam es zu einem Rückgang um 3,6% (Prognose -2,0%) nach zuvor -0,4%.

Deutschland: Die Arbeitslosenrate in der saisonal bereinigten Fassung stieg per Juni von zuvor 5,0% auf 5,3%. Die Zahl der Arbeitslosen nahm um 133.000 zu. Hintergrund sind laut BA Flüchtlinge aus der Ukraine, denen ein bevorzugter Zugang zum Arbeitsmarkt gewährt wurde.

Frankreich: Die Verbraucherpreise stiegen per Juni im Jahresvergleich um 6,5% (Prognose 6,3%) nach zuvor 5,8%.


USA: Daten überwiegend schwächer als erwartet

Die persönlichen Einkommen legten per Mai im Monatsvergleich um 0,5% (Prognose 0,5%) nach zuvor 0,5% (revidiert von 0,4%) zu, während die privaten Konsumausgaben um 0,4% sanken (Vormonat revidiert von 0,7% auf 0,3%).

Die Arbeitslosenerstanträge stellten sich in der Berichtswoche per 25. Juni auf 231.000 (Prognose 228.000) nach zuvor 233.000 (revidiert von 229.000).

Der Einkaufsmanagerindex aus Chicago sank per Berichtsmonat Juni von zuvor 60,3 auf 56,0 Zähler (Prognose 58,0).


Russland: Devisenreserven legen leicht zu, negative BIP-Dynamik, PMI positiv

Die Devisenreserven stellten sich in der Berichtswoche per 24. Juni auf 586,1 nach zuvor 582,3 Mrd. USD.

Das BIP sank per Mai im Jahresvergleich um 4,3% nach zuvor -2,8% (revidiert von -3,0%).

Der Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe stellte sich per Berichtsmonat Juni auf 50,9 nach zuvor 50,8.


Brasilien: Arbeitslosenrate auf tiefstem Niveau seit 2016

Die Arbeitslosenrate sank per Berichtsmonat Mai von zuvor 10,5% auf 9,8% (Prognose 10,2%) und markierte den tiefsten Stand seit Januar 2016. Brasilien nimmt nicht an den Russlandsanktionen teil.


Japan: Durchwachsenes Bild

Die Arbeitslosenrate stieg per Berichtsmonat Mai von zuvor 2,5% auf 2,6% (Prognose 2,5%). Die Verbraucherpreise nahmen per Juni im Jahresvergleich um 2,3% nach zuvor 2,4% zu.

Der von der Jibun Bank ermittelte Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe wurde per Juni im finalen Wert bei 52,7 Punkten bestätigt.

Japans Tankan-Indices per 2. Quartal 2022:
Große Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes:
Lage: 9 (Prognose 13) nach zuvor 14 Punkten
Ausblick: 10 (Prognose 14) nach zuvor 9 Punkten Kleine Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes:
Lage: -4 (Prognose -6) nach zuvor -4 Punkten
Ausblick: -5 (Prognose -5) nach zuvor -5 Punkten Große Dienstleistungsunternehmen:
Lage: 13 (Prognose 14) nach zuvor 9 Punkten
Ausblick: 13 (Prognose 17) nach zuvor 7 Punkten Kleine Dienstleistungsunternehmen:
Lage: -1 (Prognose -2) nach zuvor -6 Punkten
Ausblick: -5 (Prognose -1) nach zuvor -10 Punkten

Asien: PMIs für das Verarbeitende Gewerbe per Juni
Indien: 53,9 nach zuvor 54,6
Vietnam: 54,0 nach zuvor 54,7
Malaysia: 50,4 nach zuvor 50,1
Taiwan: 49,8 nach zuvor 50,0
Südkorea: 51,3 nach zuvor 51,8
Indonesien: 50,2 nach zuvor 50,8
Myanmar: 48,2 nach zuvor 49,9

Zusammenfassend ergibt sich ein Szenario, das den USD gegenüber dem EUR favorisiert. Ein Überschreiten des Widerstandsniveaus bei 1.0870 – 1.0900 neutralisiert den positiven Bias des USD.

Viel Erfolg!


© Folker Hellmeyer
Chefvolkswirt der Netfonds Gruppe



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