US-Dollar, Zins und Gold - was häufig übersehen wird
05.09.2022 | Prof. Dr. Thorsten Polleit
"Stets findet Überraschung statt / Da, wo man`s nicht erwartet hat." - Wilhelm Busch
Von Anfang 2020 bis April 2021 stieg der Goldpreis unter Schwankungen stark an (er erreicht am 7. August 2020 seinen bisherigen Tageshöchstpreis von 2.039,1 USD/oz, ein Plus von 34 Prozent), während der Außenwert des US-Dollar um zehn Prozent nachgab (Abb. 1).
Eine Marktreaktion, die nicht verwundert: Gilt doch als Daumenregel "schwacher US-Dollar, steigender Goldpreis". Dann jedoch setzte eine merkliche Aufwertung des US-Dollar-Außenwertes ein, und der Goldpreis entwickelte sich tendenziell seitwärts. Er ging also nicht zurück - was man erwartet hätte (gemäß der Regel "starker US-Dollar, fallender Goldpreis"). Ganz offensichtlich war der Goldpreis (USD/oz) weniger abhängig von Veränderungen des US-Dollar-Außenwertes, als man vielleicht hätte vermuten können.
Quelle: Refinitiv; Graphik Degussa. Tagesdaten.
Die Aufwertung des US-Dollar-Außenwertes hat vor allem seit dem 24. Februar 2022 - dem Kriegsbeginn in der Ukraine - an Fahrt aufgenommen, während der Goldpreis nachgegeben hat. Damit zeigte sich einmal wieder: Wenn es internationale Krisen gibt, die Anspannung in den Finanzmärkten zunimmt, dann ist der US-Dollar aus Sicht der Investoren immer noch die erste Wahl unter den ungedeckten Währungen der Welt; der Greenback hat dann auch gegenüber dem gelben Metall die Nase vorn. Die Goldpreisbewegungen der letzten zwei Jahre sind jedoch nicht allein durch die Außenwertveränderungen des US-Dollar zu erklären. Vielmehr spielt insbesondere auch der Zins eine sehr wichtige Rolle.
Das Ansteigen der US-Zinsen in den letzten Monaten hat dem Goldpreis unübersehbar zu schaffen gemacht. Wie Abb. 2 zeigt, war vor allem das Ansteigen des US-Kurzfristzinses (der besonders eng am US-Leitzins hängt, und der von März 2022 von 0,00–0,25 bis Juli 2022 auf 2,25–2,50 Prozentpunkte erhöht wurde) seit dem Frühjahr 2022 mit einem merklichen Rückgang des Goldpreises verbunden.
Eine solche negative Verbindung zwischen Goldpreis und Zins ist einsichtig: Steigt der Zins, wird das Halten von Gold teurer - denn dem Anleger entgehen Zinsen, die er mit dem Investieren in zinstragende Papier hätte erzielen könnte. Anders gesagt: Steigende Zinsen erhöhen die Opportunitätskosten der Goldhaltung.
Quelle: Refinitiv; Graphik Degussa.
Allerdings sollte auch hier nicht übersehen werden: Trotz der steigenden Zinsen im Betrachtungszeitraum ist der Goldpreis in der Tendenz nicht gesunken, sondern er hat sich - unter erheblichen Schwankungen - seitwärts entwickelt. So gesehen hat sich in den letzten gut zwei Jahren nicht nur die Verbindung zwischen US-Dollar-Außenwert und Goldpreis, sondern auch die zwischen US-Zins und Goldpreis gelockert - und zwar dahingehend, dass der Goldpreis weniger empfindlich auf Veränderungen dieser beiden Größen reagiert hat.
Statistisch gesprochen würde man sagen: Die Korrelation des Goldpreises mit US-Dollar-Außenwert und US-Zinsen hat im betrachteten Zeitfenster gegenüber früheren Perioden abgenommen. So gesehen ist der Goldpreis "autonomer" geworden.
Was sind die Gründe für diesen Befund? Einer der möglichen Gründe ist vermutlich (und vor allem) die Tatsache, dass das Gold bereits stark unterbewertet ist. Dies zeigt eine einfache Schätzgleichung, die den Goldpreis in Abhängigkeit von monetären Größen zu erklären versucht (Abb. 3). Am aktuellen Rand signalisiert die Schätzung einen "fairen" oder "gleichgewichtigen" Goldpreis in einer Bandbreite von 2.300 USD/oz oben und einer Bandbreite von 1.760 USD/oz unten.
Diese Einschätzung deutet an, dass der aktuelle Marktpreis von etwa 1.700 USD/oz "günstig" ist. Hat man also Vertrauen, dass die Schätzgleichung den "gleichgewichtigen" Goldpreis zumindest näherungsweise richtig beziffert, kommt man zum Ergebnis: Gold lässt sich aktuell zu einem günstigen Preis kaufen, und es ist vor allem auch damit zu rechnen, dass diese Unterbewertung früher oder später wettgemacht wird.
Quelle: Refinitiv; Berechnungen Degussa. Schätzperiode: Januar 2000 bis Juli 2022; aktueller Goldpreis vom 29. August 2022. * Graue Fläche: Standardfehler. ** Werte über der Nulllinie zeigen "Überbewertung", Werte unter der Nulllinie "Unterbewertung" an.