Der inflationäre Boom ist auf Sand gebaut
20.09.2022 | Prof. Dr. Thorsten Polleit
Ein Interview, das Peter Rohner von Finanz und Wirtschaft mit Thorsten Polleit geführt hat, und das am 7. September 2022 veröffentlicht wurde.
Peter Rohner: In den USA lässt die Inflation bereits wieder etwas nach, liegt der schlimmste Teil der Geldentwertung hinter uns?
Thorsten Polleit: Kurzfristig wird die sogenannte «offizielle Inflationsmessung» stark von den Energiepreisen beeinflusst. Aber die Energiepreise verursachen keine Inflation - verstanden als ein dauerhaftes Ansteigen der Güterpreise auf breiter Front. Sie bestimmen nicht den Trend der Inflation. Für Entwarnung gibt es dennoch keinen Grund. Die Inflation kommt in Wellen, und sie wird in den kommenden Jahren vermutlich noch sehr hoch bleiben.
Peter Rohner: Was heisst sehr hoch?
Thorsten Polleit: Der Trend der Teuerung wird durch den Geldüberhang bestimmt, den die Zentralbanken mit ihrer expansiven Geldpolitik geschaffen haben. Beispielsweise hat die US-Zentralbank die Geldmenge M2 seit Anfang 2020 um 40% erhöht. Das Bruttoinlandprodukt ist aber nicht so schnell gewachsen. Der resultierende Geldüberhang von geschätzten 15 bis 20% baut sich nun vor allem auch über hohe Inflationsraten ab. Vermutlich mit einer Jahresteuerung in dieser Höhe oder einer Rate von ungefähr 8 bis 9% über zwei Jahre.
Hinzu kommt der Preisauftrieb, den die fortgesetzte Geldmengenvermehrung mit sich bringen wird. Der Geldentwertungsdruck bleibt also beträchtlich und wird die Kaufkraft der Währung noch weiter reduzieren. Das ist nicht nur für die Konsumenten ein Problem, sondern auch für alle, die Anleihen halten, etwa Lebensversicherungen und Rentenfonds.
Peter Rohner: Die hohe Inflation ist demnach direkte Folge der expansiven Geldpolitik. Doch die hatten wir schon seit der Finanzkrise 2009.
Thorsten Polleit: Inflation ist immer ein monetäres Phänomen. Klar schlagen sich auch die steigenden Rohstoffpreise den offiziellen Inflationszahlen nieder. Aber dieser Kostenschub kann nur in einem erweiterten Geldmantel eine dauerhafte Wirkung erzielen. Das ist nur möglich, wenn die Geldmenge ausgeweitet wird, genauer: wenn sie zu stark ausgeweitet wird.
Peter Rohner: Weshalb war denn die Inflation bis 2020 eher rückläufig?
Thorsten Polleit: Diese Disinflation betraf nur Konsumgüterpreise. Vermögenspreise wurden spätestens seit dem Ende der 1980er Jahre schon aufgebläht, inflationiert: Aktien, Anleihen, Immobilien, Kunstwerke und vieles mehr sind massiv teurer geworden. Diese "Vermögenspreisinflation" wurde aber kaum diskutiert und problematisiert - obwohl sie den Geldwert genauso schädigt wie Konsumgüterpreisinflation. Aber jetzt ist die Inflation auf der Konsumebene angekommen, ist für alle erkennbar, und ist zu einem gesellschaftlichen Problem geworden.
Peter Rohner: In Frankreich beträgt die Inflation rund 6%, in Estland um die 20%, aber beide unterliegen der gleichen Geldpolitik. Wie erklären Sie sich das?
Thorsten Polleit: Die Volkswirtschaften unterscheiden sich, der Energiemix variiert, und die Industrien und Unternehmen sind unterschiedlich stark von den steigenden Rohstoffpreisen betroffen. Unterschiedliche Inflationsraten sind daher nicht verwunderlich. Das widerspricht aber nicht meiner Beurteilung, dass die Ausweitung der Geldmenge das Preisniveau in der Volkswirtschaft bestimmt, beziehungsweise das die hohe Inflation Folge der gewaltigen Geldmengenausweitung ist.
Peter Rohner: Das hiesse umgekehrt auch, dass die Straffung der Geldpolitik und der Rückbau der EZB-Bilanz nun das Problem beheben?
Thorsten Polleit: Es stimmt, dass die Bilanz der EZB nun nicht mehr wächst, aber es besteht immer noch ein ähnlich hoher Geldüberhang wie in den USA. Denn auch im Euroraum wurde die Geldmenge massiv ausgeweitet. Die Frage ist nun, wie weit die EZB in der Normalisierung ihrer Politik gehen wird. Ich vermute, dass sie früher oder später wieder Staatsanleihen kauft, und die Bilanz wieder wächst, weil einige Mitgliedstaaten keine höheren Zinsen vertragen. Ich befürchte, es gibt keinen Ausweg mehr aus der Monetisierung der Staatsschulden.
Peter Rohner: Und dafür opfert die Zentralbank die Preisstabilität ...
Thorsten Polleit: Die EZB ist offensichtlich bereit, alles zu unternehmen, damit die Finanzierungskosten für die Staaten so tief wie irgend möglich bleiben. Die massiven geldpolitischen Interventionen und die hohe Inflation sind so gesehen kein Betriebsunfall, sondern es ist die Folge der politischen Entscheidungen im EZB-Rat. Das oberste Ziel der EZB ist nicht mehr die Wahrung der Preisstabilität, sondern die Staaten über Wasser zu halten.
Peter Rohner: Das heisst, die Inflation geht nicht mehr zurück?
Thorsten Polleit: Sie wird bestimmt nicht mehr zurück auf 2% gehen, auch weil eine höhere Teuerungsrate den Regierungen als Schuldner zugutekommt, also politisch gewünscht ist. Die Notenbanken werden mit Anleihekäufen dafür sorgen, dass die Zinsen unter der Inflationsrate bleiben. Mit negativen Realzinsen entschulden sich dann die Staaten weiter auf Kosten der Allgemeinheit. Das nennt man auch Finanzrepression.
Die Zentralbanken sind keine Währungshüter, sie setzen vielmehr die Kaufkraft des Geldes systematisch herab. Auch in normalen Zeiten sorgt ihre Politik dafür, dass der Geldwert schwindet. Die Schweiz ist da privilegiert. Sie hat es geschafft, dass der Franken sich nicht so stark entwertet, und das hat positive Ergebnisse. Das sieht man am hohen Wohlstand der Schweizer.
Peter Rohner: Der Euro ist bereits sehr schwach. Aber auch der Dollar verliert mit der hohen Inflation an Kaufkraft. Welche Währung hat die besseren Karten?
Thorsten Polleit: Der US-Dollar ist aus Sicht vieler Investoren nach wie vor die relativ beste Wahl im aktuellen Umfeld. Er profitiert auch von den höheren Realzinsen. Ich war von Anfang an lange pessimistisch, was den Euro anbelangt - und lag damit auch immer wieder falsch. Aber jetzt könnte der Kurs in einem neuen Schub auf Allzeittiefs um etwa 0.85 $ pro Euro fallen.
Peter Rohner: In den USA lässt die Inflation bereits wieder etwas nach, liegt der schlimmste Teil der Geldentwertung hinter uns?
Thorsten Polleit: Kurzfristig wird die sogenannte «offizielle Inflationsmessung» stark von den Energiepreisen beeinflusst. Aber die Energiepreise verursachen keine Inflation - verstanden als ein dauerhaftes Ansteigen der Güterpreise auf breiter Front. Sie bestimmen nicht den Trend der Inflation. Für Entwarnung gibt es dennoch keinen Grund. Die Inflation kommt in Wellen, und sie wird in den kommenden Jahren vermutlich noch sehr hoch bleiben.
Peter Rohner: Was heisst sehr hoch?
Thorsten Polleit: Der Trend der Teuerung wird durch den Geldüberhang bestimmt, den die Zentralbanken mit ihrer expansiven Geldpolitik geschaffen haben. Beispielsweise hat die US-Zentralbank die Geldmenge M2 seit Anfang 2020 um 40% erhöht. Das Bruttoinlandprodukt ist aber nicht so schnell gewachsen. Der resultierende Geldüberhang von geschätzten 15 bis 20% baut sich nun vor allem auch über hohe Inflationsraten ab. Vermutlich mit einer Jahresteuerung in dieser Höhe oder einer Rate von ungefähr 8 bis 9% über zwei Jahre.
Hinzu kommt der Preisauftrieb, den die fortgesetzte Geldmengenvermehrung mit sich bringen wird. Der Geldentwertungsdruck bleibt also beträchtlich und wird die Kaufkraft der Währung noch weiter reduzieren. Das ist nicht nur für die Konsumenten ein Problem, sondern auch für alle, die Anleihen halten, etwa Lebensversicherungen und Rentenfonds.
Peter Rohner: Die hohe Inflation ist demnach direkte Folge der expansiven Geldpolitik. Doch die hatten wir schon seit der Finanzkrise 2009.
Thorsten Polleit: Inflation ist immer ein monetäres Phänomen. Klar schlagen sich auch die steigenden Rohstoffpreise den offiziellen Inflationszahlen nieder. Aber dieser Kostenschub kann nur in einem erweiterten Geldmantel eine dauerhafte Wirkung erzielen. Das ist nur möglich, wenn die Geldmenge ausgeweitet wird, genauer: wenn sie zu stark ausgeweitet wird.
Peter Rohner: Weshalb war denn die Inflation bis 2020 eher rückläufig?
Thorsten Polleit: Diese Disinflation betraf nur Konsumgüterpreise. Vermögenspreise wurden spätestens seit dem Ende der 1980er Jahre schon aufgebläht, inflationiert: Aktien, Anleihen, Immobilien, Kunstwerke und vieles mehr sind massiv teurer geworden. Diese "Vermögenspreisinflation" wurde aber kaum diskutiert und problematisiert - obwohl sie den Geldwert genauso schädigt wie Konsumgüterpreisinflation. Aber jetzt ist die Inflation auf der Konsumebene angekommen, ist für alle erkennbar, und ist zu einem gesellschaftlichen Problem geworden.
Peter Rohner: In Frankreich beträgt die Inflation rund 6%, in Estland um die 20%, aber beide unterliegen der gleichen Geldpolitik. Wie erklären Sie sich das?
Thorsten Polleit: Die Volkswirtschaften unterscheiden sich, der Energiemix variiert, und die Industrien und Unternehmen sind unterschiedlich stark von den steigenden Rohstoffpreisen betroffen. Unterschiedliche Inflationsraten sind daher nicht verwunderlich. Das widerspricht aber nicht meiner Beurteilung, dass die Ausweitung der Geldmenge das Preisniveau in der Volkswirtschaft bestimmt, beziehungsweise das die hohe Inflation Folge der gewaltigen Geldmengenausweitung ist.
Peter Rohner: Das hiesse umgekehrt auch, dass die Straffung der Geldpolitik und der Rückbau der EZB-Bilanz nun das Problem beheben?
Thorsten Polleit: Es stimmt, dass die Bilanz der EZB nun nicht mehr wächst, aber es besteht immer noch ein ähnlich hoher Geldüberhang wie in den USA. Denn auch im Euroraum wurde die Geldmenge massiv ausgeweitet. Die Frage ist nun, wie weit die EZB in der Normalisierung ihrer Politik gehen wird. Ich vermute, dass sie früher oder später wieder Staatsanleihen kauft, und die Bilanz wieder wächst, weil einige Mitgliedstaaten keine höheren Zinsen vertragen. Ich befürchte, es gibt keinen Ausweg mehr aus der Monetisierung der Staatsschulden.
Peter Rohner: Und dafür opfert die Zentralbank die Preisstabilität ...
Thorsten Polleit: Die EZB ist offensichtlich bereit, alles zu unternehmen, damit die Finanzierungskosten für die Staaten so tief wie irgend möglich bleiben. Die massiven geldpolitischen Interventionen und die hohe Inflation sind so gesehen kein Betriebsunfall, sondern es ist die Folge der politischen Entscheidungen im EZB-Rat. Das oberste Ziel der EZB ist nicht mehr die Wahrung der Preisstabilität, sondern die Staaten über Wasser zu halten.
Peter Rohner: Das heisst, die Inflation geht nicht mehr zurück?
Thorsten Polleit: Sie wird bestimmt nicht mehr zurück auf 2% gehen, auch weil eine höhere Teuerungsrate den Regierungen als Schuldner zugutekommt, also politisch gewünscht ist. Die Notenbanken werden mit Anleihekäufen dafür sorgen, dass die Zinsen unter der Inflationsrate bleiben. Mit negativen Realzinsen entschulden sich dann die Staaten weiter auf Kosten der Allgemeinheit. Das nennt man auch Finanzrepression.
Die Zentralbanken sind keine Währungshüter, sie setzen vielmehr die Kaufkraft des Geldes systematisch herab. Auch in normalen Zeiten sorgt ihre Politik dafür, dass der Geldwert schwindet. Die Schweiz ist da privilegiert. Sie hat es geschafft, dass der Franken sich nicht so stark entwertet, und das hat positive Ergebnisse. Das sieht man am hohen Wohlstand der Schweizer.
Peter Rohner: Der Euro ist bereits sehr schwach. Aber auch der Dollar verliert mit der hohen Inflation an Kaufkraft. Welche Währung hat die besseren Karten?
Thorsten Polleit: Der US-Dollar ist aus Sicht vieler Investoren nach wie vor die relativ beste Wahl im aktuellen Umfeld. Er profitiert auch von den höheren Realzinsen. Ich war von Anfang an lange pessimistisch, was den Euro anbelangt - und lag damit auch immer wieder falsch. Aber jetzt könnte der Kurs in einem neuen Schub auf Allzeittiefs um etwa 0.85 $ pro Euro fallen.