Wer genau hinsieht, der kann erste Anzeichen einer Währungskrise erkennen
03.10.2022 | Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Die Antwort lautet: Der US-Dollar ist nach wie vor die de facto Weltleitwährung. Er steht für die größte Volkswirtschaft der Welt, für die größten und liquidesten Finanzmarktsegmente, und er genießt (allen Unkenrufen zum Trotz) hohe Akzeptanz bei internationalen Finanzund Handelstransaktionen. Verständlich also, warum Investoren in Zeiten erhöhter Risiken auf "Dollar-Cash" setzen.Zum muss man in Rechnung stellen, dass Wechselkurse zwischen Währungen im wahrsten Sinne des Wortes relativ sind. Beispielsweise kann eine Währung A gegenüber der Währung B aufwerten, obwohl es in beiden Währungsräumen "bergab" geht. Die Aufwertung von Währung A gegenüber Währung B signalisiert in diesem Falle lediglich, dass Anleger ganz offensichtlich etwas mehr Vertrauen in Währung A als Währung B haben. Und genau diese Interpretation drängt sich auf, wenn man eine Erklärung für die jüngste US-Dollar-Aufwertung sucht: Die Aufwertung des US-Dollar bedeutet keinesfalls, dass mit dem Greenback alles in Ordnung sei!
Der Blick auf das aktuelle US-Finanzmarktgeschehen zeigt, dass die "Turbulenzen" der letzten Tage und Wochen nicht sonderlich ausgeprägt waren - obwohl in den Finanzmarktmedien vermutlich ein anderer Eindruck vermittelt wird. Die Kursschwankungen an den Börsen waren zwar etwas erhöht, erreichten aber keine Krisenniveaus (Abb. 2 a); und die Anspannung im US-Kreditmarkt ist nach wie vor recht gering (Abb. 2 b).
Da diese Zeitreihen jedoch vergangenheitsbezogen sind, stellt sich sogleich die Frage: Sind die Finanzmärkte vielleicht immer noch zu optimistisch? Unterschätzen sie die Folgen der aktuellen Geschehnisse für die Stabilität der Währungen, einschließlich des US-Dollar und der Weltwirtschaft? Diese Fragen wären mit ja zu beantworten, wenn man die Zinserhöhungspolitik der Zentralbanken als eine weitreichende Zäsur interpretiert.
Quelle: Refinitiv; eigene Berechnungen. *Steigt (fällt) die Linie, wertet der US-Dollar auf (ab).
Ende des "Sicherheitsnetzes"?
Spätestens mit dem Platzen der "New Economy"-Hypes zu Beginn des 21. Jahrhunderts haben die Zentralbanken immer wieder Feuerwehr gespielt: Gab es Probleme in den Finanzmärkten, oder schwächelte die Konjunktur, haben die Zentralbanken die Zinsen gesenkt und die Kredit- und Geldmenge ausgedehnt. Diese Eingriffe waren inflationär. Allerdings zeigte sich die inflationäre Wirkung vor allem in steigenden Vermögenspreisen (also in "Vermögenspreisinflation"), weniger jedoch in der übermäßigen Verteuerung der Konsumgüterpreise.
Und weil die Konsumgüterpreisinflation relativ gezähmt blieb, konnten sich die Finanzmarktakteure darauf verlassen, dass die Zentralbanken bei Problemen einspringen, dass sie ein "Sicherheitsnetz" unter die Märkte und Konjunkturen aufspannen würden. Doch angesichts der Hochinflation, die mittlerweile nahezu überall zu einem großen Problem geworden ist, haben sich die Bedingungen für die Geldpolitik verändert:
Um ihre Glaubwürdigkeit nicht (ganz) zu verlieren, sehen sich die Zentralbankräte gedrängt, zu Maßnahmen zu greifen, um die Hochinflation zu reduzieren. Nun müssten sie eigentlich das Ziel der Inflationsverringerung bevorzugen gegenüber anderen Zielen - wie etwa der Stützung der Finanzmärkte und der Versorgung der Staaten mit billigem Kredit. So gesehen können sie eigentlich nicht mehr wie bisher Feuerwehr spielen, wenn die Aktien- und Bondmärkte einknicken, die Wirtschaft in die Rezession abrutscht.
Allerdings setzt die Erhöhung der Zinsen - und das zeigt sich bereits - die Finanzmärkte unter Druck (Aktien- und Anleihekurse fallen) und bei Konsumenten und Produzenten machen sich Rezessionssorgen breit. Die zentralen Fragen an dieser Stelle lauten: Werden die Zentralbanken tatsächlich bereit sein, im Fall der Fälle die Wirtschaft abstürzen zu lassen, um die Hochinflation zu beenden? Kann es ihnen gelingen, die Hochinflation zu verringern, ohne die Produktion und Beschäftigung merklich zu schädigen?
Hinter diesen Fragen verbirgt sich eine in der Volkswirtschaftslehre vielfach diskutierte Fragestellung: und zwar die nach dem "Trade off" zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit (bekannt als "Phillips-Kurve"). Einige Ökonomen meinen, dass die Zentralbank die Beschäftigung befördern kann, wenn sie für eine höhere Inflation sorgt. Andere Ökonomen hingegen verneinen das, gehen vielmehr davon aus, dass höhere Inflation die Arbeitslosigkeit ansteigen lässt. Entscheidend ist nun jedoch, dass es eine harte Restriktion gibt, der die Geldpolitik dies- und jenseits des Atlantiks unterworfen ist, und die ihren Handlungsspielraum einschränkt: die Verschuldungssituation.
Die Schuldenlasten in vielen Volkswirtschaften haben Rekordstände erreicht, und viele Schuldner werden sehr wahrscheinlich in Schieflage geraten, wenn die Zentralbanken die Zinsschraube weiter kräftig anziehen. So gesehen sind die Zentralbanken dabei, die nächste Kreditkrise heraufzubeschwören. Und die könnte sich nur allzu leicht in eine Pleitewelle allergrößten Ausmaßes auswachsen - mit Erschütterungen, die die weltweite ungedeckte Papier- und Kreditgeldpyramide zum Einsturz bringen. Was aber, wenn die Zentralbanken zurückschrecken, die Zinsen im notwendige Ausmaß anzuheben, und lieber Hochinflation zulassen?
Inflation in der Not
Aus dem Bestreben, eine Kreditkrise abzuwehren, wird dann sehr wahrscheinlich eine Währungskrise erwachsen. Denn die Märkte werden erkennen: Die Zentralbank ist bereit, die Kaufkraft des Geldes (noch stärker) herabzusetzen, um Rezession und Massenarbeitslosigkeit zu verhindern (dass sie also die Phillips-Kurve spielen werden). Das wiederum wird die Inflationserwartungen der Menschen beeinflussen: Die Marktakteure rechnen fortan damit, dass die Inflation hoch bleibt beziehungsweise weiter ansteigt.