Wer genau hinsieht, der kann erste Anzeichen einer Währungskrise erkennen
03.10.2022 | Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Denn damit die politisch angestrebte Wirkung der Inflation anhält (wie zum Beispiel die nominalen Schulden zu entwerten, Einkommen und Vermögen umzuverteilen), muss die Zentralbank auf "Überraschungsinflation" setzen. Das jedoch ist ein gefährliches Spiel, es führt nur allzu leicht zu immer höherer Inflation, im Extremfall zu Hyperinflation.Das Fiatgeldsystem beruht bekanntlich auf einer fortgesetzten Kredit- und Geldmengenvermehrung, bereitgestellt zu künstlich niedrigen Zinsen. Zinserhöhungen bringen den Boom, den die Ausgabe von neuem Kredit und neuem Geld bei niedrig gedrückten Zinsen in Gang gesetzt haben, zu Fall, lassen ihn in einen Bust umschlagen. Die jüngsten Zinsanhebungen der Zentralbanken arbeiten in genau diese Richtung. Sie bremsen die Kredit- und Geldmengenausweitung.
Die damit verbundene Verteuerung der Kredit- und Kapitalkosten lässt so manche Investition floppen. Arbeitsplätze gehen verloren. Kredite fallen aus. Banken geraten in Probleme. Es ist sicherlich nicht übertrieben zu sagen, dass die nächste Kreditkrise alles bisher Dagewesene sprengen könnte angesichts der gewaltigen Schuldenlasten in vielen Volkswirtschaften.
Aus einer Kreditkrise kann nun allzu leicht eine Währungskrise werden. Denn in der Not der Stunde ist es wahrscheinlich, dass Regierende und Regierte im Ausweiten der Geldmenge zur Bezahlung offener Rechnung die Politik des vergleichsweise kleinsten Übels erblicken. Insbesondere wenn die Staaten vor dem Bankrott stehen, ist zu befürchten, dass die Zentralbankräte sich spätestens in dieser "Notlage" vollends politisch einspannen lassen - und die Löcher in den Staatshaushalten mit neu geschaffenem Geld finanzieren, auch wenn das nachfolgend die Güterpreisinflation immer stärker anheizt. Die Währungsgeschichte zumindest stützt eine solche Einschätzung.
Dass viele Währungen gegenüber dem US-Dollar abwerten, teilweise sogar sehr drastisch, kann also durchaus als Anzeichen für eine heraufziehende Währungskrise interpretiert werden. In der ersten Stufe knicken die "Peripherie-Währungen" des weltweiten "US-Dollar-Devisenstandards" gegenüber dem Greenback ein. In einer zweiten Stufe kommt dann der US-Dollar selbst in schwieriges Fahrwasser. Und wenn irgendwann der US-Dollar so richtig in Misskredit gerät, ist das Chaos perfekt.
Die Stunde der Edelmetalle wäre da, allen voran für physisches Gold und Silber. Nicht nur Private würden die Edelmetalle als Zahlungs- und Wertaufbewahrungsmittel verstärkt nachfragen, auch die Zentralbanken wären sehr wahrscheinlich auf der Käuferseite.
Inflation im Kartell
Wäre aber nicht auch eine andere Entwicklungslinie denkbar? Dass nämlich die Zentralbanken sich koordinieren, mehr oder weniger im Gleichschritt an ihrer inflationären Geldpolitik festhalten? Das ist durchaus denkbar. Beispielsweise indem die US-Zentralbank mit ihren Zinserhöhungen pausiert, während die übrigen Zentralbanken ihre Leitzinsen noch etwas weiter anheben.
Eine derart koordinierte Geldpolitik der Zentralbanken liefe auf ein "Inflationskartell" hinaus: Die beteiligten Zentralbanken einigen sich auf die gleiche erhöhte Inflation und setzen sie durch. Doch ein solches Kartell erwiese sich vermutlich als instabil: Es gibt Anreize für die Zentralbanken, die mit weniger Inflation auskommen, aus der Kartellvereinbarung auszuscheren.
Ungeachtet der Möglichkeit, an einer Kartellbildung teilzunehmen, gibt es für die Fed in jedem Falle Grenzen, die ihrem Handlungsspielraum gesetzt sind. Wie voranstehend angemerkt, bestimmt die US-Zentralbank in entscheidender Weise die Zins- und Finanzmarktkonditionen nahezu rund um die Welt. Und ihre Zinsanhebungen haben zu einer erheblichen Aufwertung des US-Dollar-Außenwertes geführt. Das setzt nicht nur US-amerikanischen Exporteuren zu, schmälert deren Gewinne. Die steigenden Zinsen bringen vor allem auch andere Volkswirtschaften unter Druck, führen dort zu einem Nachfrage- und Konjunkturrückgang, der wiederum negative Auswirkungen auf die US-Wirtschaftslage haben kann.
Will die US-Zentralbank verhindern, dass die Weltkonjunktur in die Knie geht, dass das weltweite Fiatgeldsystem aus den Fugen gerät, kann sie ihre Kreditkonditionen nicht ausschließlich mit Blick auf die heimischen Verhältnisse setzen, sondern sie muss auch die Situationen in den anderen Währungsräumen (mit-)berücksichtigen. Und das bedeutet: Inflationieren beispielsweise die Zentralbanken in den anderen Währungsräumen stärker als die US-Zentralbank, muss auch die Fed inflationärer sein, als sie es andernfalls wäre. Genau dieser Zustand scheint derzeit akut zu werden: Die Zentralbanken in Europa und Japan und China können den Zinshöhen der Fed schon jetzt kaum mehr folgen.
Die Vermutung, dass die Fed nicht weiter im Alleingang zinspolitisch voranschreiten wird, wird zusehends plausibler - der Verfall von EUR, JPY, GPP und CNY gegenüber USD legt das nahe. Vermutlich wird schon das Verlangsamen der Zinserhöhungspolitik, ganz zu schweigen von ihrer Beendigung, die Finanzmärkte auf eine Fortsetzung des bereits Dekaden währenden inflationären Geldpolitikregimes wetten lassen. Die markante Aufwertung des Greenback käme zum Ende, nicht aber notwendigerweise auch die sich anbahnende Währungskrise: Ein solcher Kurswechsel der Fed wäre das Menetekel, dass alle bedeutenden Währungen im Zuge einer gleichgerichteten Inflationspolitik unter die Räder kommen.
Es bleibt folglich die Befürchtung, dass die Entwertung von US-Dollar, Euro & Co nicht nur eine der zentralen Herausforderung für die Kapitalanlage ist, sondern es auf absehbare Zeit auch bleiben wird; dass die Wahrscheinlichkeit für einen "Great Reset" der Kaufkraft des Geldes mit jedem weiteren Tag zunimmt.
Quelle: Refinitiv; eigene Berechnungen. *Steigt (fällt) die Linie, wertet der US-Dollar auf (ab). Ab Januar 2006 neue Datenserie.
Seit Herbst 2011 wertet der US-Dollar gegenüber seinen Handelspartnerwährungen auf, während der Goldpreis (USD/oz) in dieser Zeit (wenn auch unter starken Schwankungen) in etwa gleichgeblieben ist (Abb. 3).
Ganz offensichtlich war der US-Dollar aus Sicht der Investoren kein perfekter Ersatz für das Gold, zumindest was die Wertaufbewahrungsfunktion anbelangt - denn ansonsten hätte man einen fallenden Goldpreis erwarten müssen. Eine Interpretation, die sich auf gute Gründe stützen kann: Das Gold verfügt über Eigenschaften, die keine der Fiatwährungen besitzt. Vor allem kann das Gold nicht beliebig, quasi auf Knopfdruck, vermehrt werden. Das Gold trägt zudem kein Zahlungsausfallrisiko, seine Verfügbarkeit ist auch nicht an die offiziellen Öffnungszeiten der Börsen gebunden. Und vor allem: Das Gold ist das Grundgeld der Menschheit, es ist seit Jahrtausenden erprobtes Geld.
© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH