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Warum steht der Goldpreis nicht höher?

02.10.2022  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
Die Frage, warum der Goldpreis nicht höher steht, ist berechtigt. Wir versuchen sie kurz und knapp zu beantworten - und vertreten die Auffassung, dass der Goldpreis "unterbewertet" ist.

Weltweit herrscht Hochinflation. Die Realzinsen liegen tief im Negativbereich. Der Ukraine-Krieg bedroht die weltweite Sicherheitslage, die geopolitischen Risiken nehmen zu. Die Wolken am Konjunkturhimmel werden immer dunkler. Und dennoch steht der Goldpreis derzeit bei nur "nur" 1.650 USD/oz - und liegt damit etwa 20 Prozent unter seinem bisherigen Rekordniveau aus dem Sommer 2020 und vermutlich auch deutlich unter dem Preis, den man in solch einer Situation erwarten würde. Was sind die Gründe?

Möglicherweise ist das Vertrauen der Menschen in die Fähigkeit des Wirtschafts- und Finanzsystems, die aktuellen Krisen zu überwinden, doch größer als das derjenigen, die mit wachsender Sorge die aktuellen Geschehnisse beobachten. Das wiederum könnte bedeuten, dass die Goldnachfrage für Versicherungs- und Absicherungszwecke nicht ausreicht, um den Goldpreis auf ein deutlich höheres Preisniveau zu befördern.

Denkbar ist auch, dass die Goldnachfrage zusehends durch ein Goldangebot bedient wird, das keine beziehungsweise keine vollumfängliche physische Entsprechung hat. Beispiele dafür sind Positionen, die Investoren im Gold-Future, -Options- und -Swap-Markt eingehen; damit eingeschlossen sind auch Gold-Zertifikate. Durch die Verwendung von derartigen Papiergold-Instrumenten wird es möglich, dass sich die Goldpreisbildung von den Verhältnissen im physischen Markt abkoppelt - beziehungsweise dass eine steigende Goldnachfrage nicht oder nur in geringem Maße auf den (physischen) Goldpreis durchschlägt.

Ebenso könnten auch veränderte Markt- und Transaktionsstrukturen eine Rolle spielen. Zu denken ist hier zum Beispiel an die Möglichkeit, Gold-ETFs als Collateral für Gold-Future-Shorts einzusetzen, die im Zuge der Wertpapierleihe verfügbar gemacht werden. Auf diese Weise lassen sich mitunter beträchtliche Gold-Future-Shorts aufbauen, ohne dass dabei eine entsprechende Nachfrage auf dem Markt für physisches Gold in Erscheinung tritt. Auch hier wäre das Ergebnis: Der Goldpreis entkoppelt sich von den physischen Verhältnissen im Goldmarkt.

Dass der Goldpreis ab Mai 2022 nachgegeben hat, mag insbesondere dadurch zu erklären sein, dass die negativen US-Realzinsen ihren Tiefpunkt verlassen haben (Abb. 1). In der Hoffnung, dass das den Anfangspunkt für eine "Normalisierung der Zinsen" markiert hat, könnten Investoren ihre Nachfrage nach Gold für Absicherungszwecke eingeschränkt haben, und der Goldpreis hat (etwas) nachgegeben.

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Quelle: Refinitiv; Berechnungen Degussa.


Der gegenwärtig Goldpreis lässt nicht darauf schließen, dass er seine Verbindung zur aktuellen makroökonomischen Variablen vollends verloren hätte.¹ Vielmehr spricht einiges dafür, dass der aktuelle Goldpreis nach wie vor stark "unterbewertet" zu sein scheint. Wann sich diese Unterbewertung auflöst in Form eines steigenden Goldpreises lässt sich zwar nicht mit Sicherheit sagen. Aber Investoren, die einen langen Atem haben, sollten sich von der aktuellen Goldpreisbewertung nicht verunsichern lassen, sondern Kurs halten: die aktuellen Preise zum Aufund Ausbau von physischen Goldpositionen nutzen.


© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH



¹ Siehe hierzu Degussa Marktreport, US-Dollar, Zins und Gold. Was häufig übersehen wird, 1. September 2022.


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