Zwischen Skylla und Charybdis: Inflation und Rezession
11.11.2022 | Prof. Dr. Thorsten Polleit
Die Hochinflation ist gekommen, um zu bleiben - und sehr wahrscheinlich gibt es bald auch noch Rezession. Anleger sollten weiter auf physisches Gold und Silber setzen; vor allem auch weil deren Preise beträchtliches Aufwärtspotential haben.
Das Dilemma
Odysseus und seine Mitstreiter mussten, so die Sage, auf ihrem Weg in die Heimat eine Meeresenge passieren. Auf der einen Seite lauerte Skylla, ein grässliches Meeresungeheuer, das alle, die ihm zu nahekamen, verschlang.
Auf der anderen Seite war Charybdis, ein gestaltloses Scheusal, das ein paar Mal am Tag das Meerwasser und mit ihm alles, was sich darin befand, einsog und es anschließend wieder ausspukte. Dem Rat der Göttin Kirke folgend, meidet Odysseus Charybdis, gerät dabei aber unweigerlich so nahe an Skylla heran, dass sie sechs seiner Gefährten tötet und frisst. Odysseus und die anderen überleben. Und die Moral? Manchmal kommt man nicht ungeschoren davon, und man muss versuchen, das kleinere Übel zu wählen; man entkommt im Leben manchmal leider doch nicht allen Heimsuchungen.
Das ist vermutlich auch eine Sorge, die viele Investoren derzeit umtreibt. Sie fragen sich: Lässt sich die Hochinflation in die Knie zwingen, ohne dass die Zentralbanken eine Rezession herbeiführen? Ist es vielleicht doch möglich, Hochinflation und gleichzeitig Wirtschaftswachstum zu haben? Gerade in Zeiten der Hochinflation wird es umso wichtiger für viele Menschen, dass die Konjunktur weiterläuft, dass Betriebe weiter produzieren, dass Arbeitsplätze und Einkommen erhalten bleiben. Die hartnäckige Hochinflation, so erfahren immer mehr Menschen am eigenen Leib, ist aber nicht nur ein wirtschaftliches, sondern auch ein schmerzliches soziales und moralisches Problem für die Volkswirtschaften.
Um die einleitend genannten Fragen zu beantworten, muss man sich zunächst über die besondere Wirkung der Inflation Klarheit verschaffen. Inflation - also das fortgesetzte Ansteigen der Güterpreise auf breiter Front - ist ein höchst kompliziertes Phänomen, das in all seinen Ausprägungen nicht immer bekannt und voll verstanden wird. Denkt man über Inflation nach, so steht am Anfang die folgende Einsicht: Inflation wirkt auf das Handeln und Wirtschaften der Menschen ein, indem sie die Preissignale verfälscht, die Menschen über die wahren Knappheitsverhältnisse täuscht, sie zu irrtümlichen Handlungen verleitet.
Erstes Beispiel: Inflation treibt die Güterpreise auf breiter Front in die Höhe. Wenn die Preise der Güter, die ein Unternehmer erzeugt, in die Höhe klettern, wertet er das üblicherweise als ein Signal, dass seine Güter ganz offensichtlich stark nachgefragt werden, und dass es lohnend für ihn ist, die Produktion seiner Erzeugnisse auszuweiten. Doch wenn es Inflation gibt, macht nicht nur er diese Erfahrung und reagiert in dieser Weise, allen anderen Unternehmern geht es genauso. Das wirkt meist das "belebend" auf die Konjunktur: Die Produktion steigt, die Beschäftigung nimmt zu, die Gewinne sprudeln und die Löhne ziehen an. Doch das ist nur vorübergehend so, wie das zweite Beispiel verdeutlicht.
Zweites Beispiel: Nur wenn die Inflation überraschend kommt, erzeugt sie die voranstehend beschriebene "belebende Wirkung". Nehmen wir an, die Menschen haben ihre Lohn-, Miet- und Kreditverträge abgeschlossen mit der Erwartung, dass die künftige Inflation bei, sagen wir, 2 Prozent pro Jahr liegt. Tritt genau das ein, werden also die Erwartungen erfüllt, wird keiner der Vertragsparteien besser oder schlechter gestellt. Wenn die Inflation jedoch unerwartet höher ausfällt, sagen wir, 5 Prozent pro Jahr erreicht, gibt es Gewinner und Verlierer. Beispielsweise gewinnt der Schuldner auf Kosten der Gläubiger. Er kann seine Schulden mit einem Geld zurückzahlen, das weniger Kaufkraft hat als das Geld, das er sich geliehen hat.
Wenn die Menschen von der Inflation überrascht wurden, dann werden sie allerdings daraus ihre Schlüsse ziehen. Gelangen sie zur Auffassung, dass die überraschend hohe Inflation eine einmalige Sache war, die sich nicht wiederholt, dass also die Inflation wieder zur bisher erwarteten Höhe zurückkehrt, wird es keine grundlegende Erwartungsänderung geben, und folglich bleiben weitergehende Preiseffekte bei den Gütern aus. Das Bild ändert sich jedoch, wenn die Menschen davon ausgehen, dass die Inflation hoch bleibt, beziehungsweise dass Regierung und Zentralbank die Wirtschaft mit inflationären Effekten in Gang halten wollen.
Erwarten die Menschen, dass die Inflation fortan höher ausfällt als bislang von der Zentralbank versprochen, passen sie ihre Verträge an, legen ihnen eine höhere Inflation zugrunde - beispielsweise eine Inflation von 5 Prozent anstatt bisher 2 Prozent. Haben sich die Inflationserwartungen nach oben angepasst, und entspricht sie der tatsächlichen künftigen Inflation, verliert die Inflation von 5 Prozent ihre Anschubwirkung. Der bisherige Konjunkturaufschwung, der durch die "Überraschungsinflation" angetrieben wurde, ebbt ab, kippt womöglich in eine Rezession um. Die erhöhte Inflation hat keine wirtschaftsbelebende Wirkung mehr.
Wollen aber Regierung und Zentralbank die Wirtschaft (künstlich) in Gang halten, müssen sie erneut zu "Überraschungsinflation" greifen - also dafür sorgen, dass die tatsächliche Inflation höher ausfällt als die erwartete Inflation. Doch die Menschen werden auf den erneuten "Inflationsbetrug" wieder reagieren, indem sie ihrerseits ihre Inflationserwartungen in die Höhe schrauben und entsprechend ihre Verträge neu aushandeln.
Schreiten Regierung und Zentralbank auf diesem Wege fort, wird die Überraschungsinflation immer höher ausfallen müssen, damit die politisch gewollten Belebungswirkungen für die Konjunktur aufrechterhalten werden. Auf diese Weise wird jedoch der Weg in die Hyperinflation geebnet.
Politische Folgen der Inflation
Steigende Inflation ist aus vielen Gründen problematisch für eine Volkswirtschaft. So erschwert sie die Wirtschaftsrechnung mit Geld. Inflation bedeutet nämlich nicht nur steigende Güterpreise, sondern Inflation verzerrt vor allem auch das Verhältnis der Güterpreise zueinander. Das führt zu Fehlkalkulationen und Fehlinvestitionen, durch die Firmen ihr knappes Kapital sprichwörtlich in den Sand setzen.
Hinzu kommen praktische, zusätzliche Kosten. Bei steigender, hoher Inflation müssen Preiskalkulationen häufiger durchgeführt und Preislisten auf den neusten Stand gebracht werden. Es muss auch mehr Aufwand betrieben werden, um die Kassenhaltung zu optimieren: Umschichtungen von Geld in andere Vermögensbestände sind erforderlich, um die Kosten der Geldentwertung zu verringern.
Und natürlich sind die sozialen und politischen Kosten der Inflation beträchtlich. Menschen mit unteren und mittleren Einkommen leiden in der Regel besonders stark unter der Inflation. Ihre Lohn- und Einkommenserhöhungen hinken hinter den Preissteigerungen hinterher. Ersparnisse verlieren an Kaufkraft. Die Menschen werden ärmer. Sie können ihren bisherigen Konsum nicht mehr finanzieren beziehungsweise müssen ihr Erspartes angreifen.
Eine fortgesetzte Hochinflation bringt vielen Menschen in Existenznöte. Politiker ergreifen meist die sich ihnen bietende Chance, als vermeintliche "Retter" in Erscheinung zu treten und Hilfszahlungen zu verabreichen (Wohngeld, Heizkostenzuschüsse etc.). Die Menschen werden so zusehends abhängig gemacht von staatlichen Zuwendungen.
Doch wie finanzieren die Regierungen die zusätzlichen Auszahlungen? Vorzugsweise durch Kredite: Neue Staatsanleihen werden ausgegeben, von Geschäftsbanken und/oder Zentralbanken gekauft und mit neu geschaffenem Geld bezahlt. Zwar verfügt der Staat dadurch über die gewünschten Auszahlungsbeträge, aber die damit verbundene Ausweitung der Geldmenge verschärft das Inflationsproblem.
Eine sich selbst verstärkende Spirale entsteht: steigender Bedarf für Unterstützungszahlungen, steigende Staatsverschuldung, steigende Geldmenge, steigende Inflation, und so weiter. Das lässt bereits erahnen: Je mehr Menschen abhängig sind von staatlichen Zuwendungen, die mit Schulden finanziert werden, desto schwieriger wird es, die Inflation in den Griff zu bekommen, sie abzustellen.
"Nachher ist sogar ein Narr klug." - Homer
Das Dilemma
Odysseus und seine Mitstreiter mussten, so die Sage, auf ihrem Weg in die Heimat eine Meeresenge passieren. Auf der einen Seite lauerte Skylla, ein grässliches Meeresungeheuer, das alle, die ihm zu nahekamen, verschlang.
Auf der anderen Seite war Charybdis, ein gestaltloses Scheusal, das ein paar Mal am Tag das Meerwasser und mit ihm alles, was sich darin befand, einsog und es anschließend wieder ausspukte. Dem Rat der Göttin Kirke folgend, meidet Odysseus Charybdis, gerät dabei aber unweigerlich so nahe an Skylla heran, dass sie sechs seiner Gefährten tötet und frisst. Odysseus und die anderen überleben. Und die Moral? Manchmal kommt man nicht ungeschoren davon, und man muss versuchen, das kleinere Übel zu wählen; man entkommt im Leben manchmal leider doch nicht allen Heimsuchungen.
Das ist vermutlich auch eine Sorge, die viele Investoren derzeit umtreibt. Sie fragen sich: Lässt sich die Hochinflation in die Knie zwingen, ohne dass die Zentralbanken eine Rezession herbeiführen? Ist es vielleicht doch möglich, Hochinflation und gleichzeitig Wirtschaftswachstum zu haben? Gerade in Zeiten der Hochinflation wird es umso wichtiger für viele Menschen, dass die Konjunktur weiterläuft, dass Betriebe weiter produzieren, dass Arbeitsplätze und Einkommen erhalten bleiben. Die hartnäckige Hochinflation, so erfahren immer mehr Menschen am eigenen Leib, ist aber nicht nur ein wirtschaftliches, sondern auch ein schmerzliches soziales und moralisches Problem für die Volkswirtschaften.
Um die einleitend genannten Fragen zu beantworten, muss man sich zunächst über die besondere Wirkung der Inflation Klarheit verschaffen. Inflation - also das fortgesetzte Ansteigen der Güterpreise auf breiter Front - ist ein höchst kompliziertes Phänomen, das in all seinen Ausprägungen nicht immer bekannt und voll verstanden wird. Denkt man über Inflation nach, so steht am Anfang die folgende Einsicht: Inflation wirkt auf das Handeln und Wirtschaften der Menschen ein, indem sie die Preissignale verfälscht, die Menschen über die wahren Knappheitsverhältnisse täuscht, sie zu irrtümlichen Handlungen verleitet.
Erstes Beispiel: Inflation treibt die Güterpreise auf breiter Front in die Höhe. Wenn die Preise der Güter, die ein Unternehmer erzeugt, in die Höhe klettern, wertet er das üblicherweise als ein Signal, dass seine Güter ganz offensichtlich stark nachgefragt werden, und dass es lohnend für ihn ist, die Produktion seiner Erzeugnisse auszuweiten. Doch wenn es Inflation gibt, macht nicht nur er diese Erfahrung und reagiert in dieser Weise, allen anderen Unternehmern geht es genauso. Das wirkt meist das "belebend" auf die Konjunktur: Die Produktion steigt, die Beschäftigung nimmt zu, die Gewinne sprudeln und die Löhne ziehen an. Doch das ist nur vorübergehend so, wie das zweite Beispiel verdeutlicht.
Zweites Beispiel: Nur wenn die Inflation überraschend kommt, erzeugt sie die voranstehend beschriebene "belebende Wirkung". Nehmen wir an, die Menschen haben ihre Lohn-, Miet- und Kreditverträge abgeschlossen mit der Erwartung, dass die künftige Inflation bei, sagen wir, 2 Prozent pro Jahr liegt. Tritt genau das ein, werden also die Erwartungen erfüllt, wird keiner der Vertragsparteien besser oder schlechter gestellt. Wenn die Inflation jedoch unerwartet höher ausfällt, sagen wir, 5 Prozent pro Jahr erreicht, gibt es Gewinner und Verlierer. Beispielsweise gewinnt der Schuldner auf Kosten der Gläubiger. Er kann seine Schulden mit einem Geld zurückzahlen, das weniger Kaufkraft hat als das Geld, das er sich geliehen hat.
Wenn die Menschen von der Inflation überrascht wurden, dann werden sie allerdings daraus ihre Schlüsse ziehen. Gelangen sie zur Auffassung, dass die überraschend hohe Inflation eine einmalige Sache war, die sich nicht wiederholt, dass also die Inflation wieder zur bisher erwarteten Höhe zurückkehrt, wird es keine grundlegende Erwartungsänderung geben, und folglich bleiben weitergehende Preiseffekte bei den Gütern aus. Das Bild ändert sich jedoch, wenn die Menschen davon ausgehen, dass die Inflation hoch bleibt, beziehungsweise dass Regierung und Zentralbank die Wirtschaft mit inflationären Effekten in Gang halten wollen.
Erwarten die Menschen, dass die Inflation fortan höher ausfällt als bislang von der Zentralbank versprochen, passen sie ihre Verträge an, legen ihnen eine höhere Inflation zugrunde - beispielsweise eine Inflation von 5 Prozent anstatt bisher 2 Prozent. Haben sich die Inflationserwartungen nach oben angepasst, und entspricht sie der tatsächlichen künftigen Inflation, verliert die Inflation von 5 Prozent ihre Anschubwirkung. Der bisherige Konjunkturaufschwung, der durch die "Überraschungsinflation" angetrieben wurde, ebbt ab, kippt womöglich in eine Rezession um. Die erhöhte Inflation hat keine wirtschaftsbelebende Wirkung mehr.
Wollen aber Regierung und Zentralbank die Wirtschaft (künstlich) in Gang halten, müssen sie erneut zu "Überraschungsinflation" greifen - also dafür sorgen, dass die tatsächliche Inflation höher ausfällt als die erwartete Inflation. Doch die Menschen werden auf den erneuten "Inflationsbetrug" wieder reagieren, indem sie ihrerseits ihre Inflationserwartungen in die Höhe schrauben und entsprechend ihre Verträge neu aushandeln.
Schreiten Regierung und Zentralbank auf diesem Wege fort, wird die Überraschungsinflation immer höher ausfallen müssen, damit die politisch gewollten Belebungswirkungen für die Konjunktur aufrechterhalten werden. Auf diese Weise wird jedoch der Weg in die Hyperinflation geebnet.
Politische Folgen der Inflation
Steigende Inflation ist aus vielen Gründen problematisch für eine Volkswirtschaft. So erschwert sie die Wirtschaftsrechnung mit Geld. Inflation bedeutet nämlich nicht nur steigende Güterpreise, sondern Inflation verzerrt vor allem auch das Verhältnis der Güterpreise zueinander. Das führt zu Fehlkalkulationen und Fehlinvestitionen, durch die Firmen ihr knappes Kapital sprichwörtlich in den Sand setzen.
Hinzu kommen praktische, zusätzliche Kosten. Bei steigender, hoher Inflation müssen Preiskalkulationen häufiger durchgeführt und Preislisten auf den neusten Stand gebracht werden. Es muss auch mehr Aufwand betrieben werden, um die Kassenhaltung zu optimieren: Umschichtungen von Geld in andere Vermögensbestände sind erforderlich, um die Kosten der Geldentwertung zu verringern.
Und natürlich sind die sozialen und politischen Kosten der Inflation beträchtlich. Menschen mit unteren und mittleren Einkommen leiden in der Regel besonders stark unter der Inflation. Ihre Lohn- und Einkommenserhöhungen hinken hinter den Preissteigerungen hinterher. Ersparnisse verlieren an Kaufkraft. Die Menschen werden ärmer. Sie können ihren bisherigen Konsum nicht mehr finanzieren beziehungsweise müssen ihr Erspartes angreifen.
Eine fortgesetzte Hochinflation bringt vielen Menschen in Existenznöte. Politiker ergreifen meist die sich ihnen bietende Chance, als vermeintliche "Retter" in Erscheinung zu treten und Hilfszahlungen zu verabreichen (Wohngeld, Heizkostenzuschüsse etc.). Die Menschen werden so zusehends abhängig gemacht von staatlichen Zuwendungen.
Doch wie finanzieren die Regierungen die zusätzlichen Auszahlungen? Vorzugsweise durch Kredite: Neue Staatsanleihen werden ausgegeben, von Geschäftsbanken und/oder Zentralbanken gekauft und mit neu geschaffenem Geld bezahlt. Zwar verfügt der Staat dadurch über die gewünschten Auszahlungsbeträge, aber die damit verbundene Ausweitung der Geldmenge verschärft das Inflationsproblem.
Eine sich selbst verstärkende Spirale entsteht: steigender Bedarf für Unterstützungszahlungen, steigende Staatsverschuldung, steigende Geldmenge, steigende Inflation, und so weiter. Das lässt bereits erahnen: Je mehr Menschen abhängig sind von staatlichen Zuwendungen, die mit Schulden finanziert werden, desto schwieriger wird es, die Inflation in den Griff zu bekommen, sie abzustellen.