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Einspruch Professor Harari: Der "freie Wille" lässt sich nicht so einfach vom Tisch wischen, verneinen

14.12.2022  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
Nachstehend ein - zugegebenermaßen - außergewöhnlicher Aufsatz. Aber ein wichtiger, ein notwendiger, wie wir denken, um die Idee der Freiheit des Individuums zu verteidigen; denn die Angriffe auf die Idee, dass der Mensch einen freien Willen hat, können - und müssen - abgewehrt werden.


I.

Yuval Noah Harari (* 1976), Professsor für Geschichte an der Hebrew University in Jerusalem, ist nicht nur Best-Selling-Author (“Sapiens: A Brief History of Humankind” (2014) und “Homo Deus: A brief History of Tomorrow” (2016)). Er ist auch bekannt als Top-Berater von Klaus Schwab (* 1938), Gründer des World Economic Forum (WEF).

In einem Interview sagte Harari jüngst: “Humans are now hackable animals. You know the whole idea that humans have this soul or spirit and they have free will. So, whatever I choose whether in the elec-tion, or whether in the supermarket, this is my free will. That’s over - free will.”

Die Aussage, dass der Mensch keinen freien Willen habe, dass es "vorbei" mit ihm sei, soll in diesem Aufsatz kritisch hinterfragt werden. Das erscheint mir wichtig zu sein, denn (1) scheint Harari eine der metaphysischen Grundannahmen, die der Königsberger Philosoph Immanuel Kant (1724-1804) als unverzichtbar ansieht für das Ideal der Aufklärung, der vernünftigen Autonomie, mal so eben vom Tisch wischen zu wollen.

Zudem ist es mir wichtig (2) herauszuarbeiten, dass das Menschenbild, das Harari stellvertretend für die moderne Sozial- und Wirtschaftswissenschaft angenommen hat und verbreitet, als erkenntnistheoretisch fehlerhaft (und auch als inhuman) herauszuarbeiten.

Ich will vor allem auch (3) die Gefahr deutlich machen, die von einem solchen Wissenschaftsbild des Menschen ausgeht: Dass es dazu verleitet, den Menschen als nach politischen Zielen steuer- und lenkbare Kreatur herabzuwürdigen, damit auch tyrannischen Machtphantasien Vorschub leistet.

Ideen wie der "Great Reset", die "Neue Weltordnung" oder auch der "Transhumanismus" entstammen letztlich genau solch einem Bild der menschlichen Natur in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften: die Freiheit des Individuums überwinden zu versuchen oder gar im Vorhinein zu verneinen, einem allmächtigen Staat den Boden zu bereiten.


II.

Hararis Mutmaßung basiert auf dem "Szientismus". Dieser Begriff steht für die Grundhaltung, die wissenschaftliche Methode der Naturwissenschaften auf die Sozial- und Wirtschaftswissenschaft, die Wissenschaft des handelnden Menschen zu übertragen.

Der Szientismus wendet mechanische Analogien an, um das Individuum zu studieren, und organische Analogien werden auf fiktive Kollektive, auf Gesellschaften angewandt. Er verneint dabei die Existenz eines individuellen Bewusstseins des Menschen und seinen freien Willen.

Die wissenschaftliche Methode bezeichnet das Vorgehen in der Wissenschaft, um Erkenntnisse über ein Erkenntnisobjekt zu erlangen.

In den Naturwissenschaften bildet man üblicherweise Hypothesen (wie "Wenn A, dann B" oder "Wenn A um x% steigt, verändert sich B um y%") und testet ihre Validität anhand von Daten (Beobachtungen, gewonnen aus historischen Datenzeitreihen beziehungsweise Laborversuchen).

Die Erkenntnis, an die der Naturwissenschaftler gelangen will, wird also in der Erfahrung gesucht, und die Erfahrung dient auch zur Beurteilung des Wahrheitsgehaltes der Hypothesen, die der Naturwissenschaftler aufstellt. Die zentrale (meist jedoch nicht gesondert hervorgehobene) Annahme, die dabei gemacht wird, ist die Gültigkeit des Determinismus: Ein Geschehen, eine Beobachtung lässt sich durch einen oder mehrere Faktoren kausal (ursächlich) erklären.

Das ist für sich genommen zunächst einmal unproblematisch. Alle Erfahrung, die wir in der realen Welt, in der Naturwissenschaft machen, unterliegen der (handlungslogischen) Kategorie der Kausalität (sie ist eine Bedingung der Möglichkeit objektivierter Erfahrung, wie Kant es ausdrücken würde). Und das Handeln des Menschen ist insofern determiniert, als dass es Ergebnis seiner "persönlichen Geschichte" (seiner Herkunft, seinen Talenten, seinen Erfahrungen etc.) ist.

Der Determinismus wird nun aber meist materialistisch interpretiert: Und zwar in dem Sinne, dass angenommen wird, beobachtbare Phänomene würden bestimmt durch materielle, "greifbare" Faktoren (physischer Art und/oder biologische und chemische Prozesse), "geistige" Erklärungsfaktoren werden hingegen als Erklärungsgrößen ausgeschlossen.

In der Naturwissenschaft ist die Anwendung des materialistischen Determinismus relativ unproblematisch. Hier beschäftigt man sich mit Atomen, Molekülen, Planeten, also Erkenntnisobjekten, die nicht handeln, die keine Ziele haben, die nicht wählen zwischen Handlungsalternativen, die keine Vorlieben haben, sondern die schlicht und einfach "reagieren" auf eine Ursache; denn sie haben kein "Bewusstsein", keinen freien Willen.


III.

Doch im Bereich des menschlichen Handelns ist die Anwendung des materialistischen Determinismus höchst problematisch. Denn hier gibt es, anders als in der Naturwissenschaft, keine (Handlungs-)Konstanten. Er ist kategorisch anders als die Naturwissenschaft. Warum?

Die Antwort ist im Satz "Der Mensch handelt" zu finden. Das ist ein Satz, der sich nicht widerspruchsfrei verneinen lässt und damit für das menschliche Erkenntnisvermögen "wahr" ist; er gilt a priori.


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