Auf Silber und Gold setzen
12.03.2023 | Prof. Dr. Thorsten Polleit
Das Gold-Silber-Preisverhältnis ist eine vielbeachtete Größe bei Edelmetallanlegern. Wir analysieren ihren Informationsgehalt und erörtern die von ihr ableitbaren Handlungsempfehlungen.
Strukturbruch
Das Gold-Silber-Preisverhältnis ist für Edelmetallanleger eine viel beachtete Größe. Mit ihr wird versucht, die relative Vorteilhaftigkeit von Gold gegenüber Silber festzustellen. Als Daumenregel gilt: Ist beispielsweise das Gold-Silber-Preisverhältnis sehr hoch, ist Gold teuer im Vergleich zum Silber, man sollte Gold verkaufen und Silber kaufen.
Derartige Empfehlungen, die vom Gold-Silber-Preisverhältnis abgeleitet werden, unterstellen jedoch dass es zwischen dem Gold- und Silberpreis ein mehr oder weniger festes Verhältnis gibt, und dass Abweichungen von diesem Verhältnis früher oder später wieder korrigiert werden. Dass es nicht ganz so einfach ist, wird nachfolgend aufgezeigt. Und vor diesem Hintergrund wird dann erläutert, wie sich das Gold-Silber-Preisverhältnis sinnvoll interpretieren lässt.
Währungshistorisch betrachtet gab es Zeiten, in denen das Preisverhältnis zwischen Gold und Silber fixiert war. Beispielsweise wurde im US-amerikanischen Münzgesetz ("Coinage Act") vom 2. April 1792 bestimmt, dass der US-Dollar in Gewicht Feinsilber und Feingold definiert sei. Ein Preisverhältnis von 15 Gran Feinsilber zu 1 Gran Feingold wurde gesetzt. Das Silber-Gold-Tauschverhältnis lag folglich bei 15 : 1. Doch schon bald wertete der Marktpreis des Silbers gegenüber dem Gold ab. Das führte 1834 zu einer Gesetzesänderung: Fortan wurde das Austauschverhältnis zwischen Silber und Gold auf 15,625 : 1 gesetzt. 1873 wurde der US-Dollar nur noch in Feingold definiert, das Silber demonetisiert.
Man kann natürlich auf die Idee kommen, dass es ein konstantes Austauschverhältnis zwischen Silber und Gold gibt beziehungsweise geben sollte – weil beispielsweise die relativen Angebotsmengen das nahelegen, oder weil es in der Vergangenheit lange Zeit ein bestimmtes Austauschverhältnis gegeben hat. Doch die subjektive Wertlehre, die in der Ökonomik eine ganz zentrale Rolle spielt, nimmt eine andere Sicht ein.
Ihr zufolge ist der Wert, den eine Person einem Gut beimisst, stets subjektiv; und derartige Wert(-urteile) unterliegen Änderungen (weil beispielsweise sich die Geschmäcker ändern, neue Produkte auf dem Markt angeboten werden). So gesehen ist ein historisch beobachtbares konstantes Austauschverhältnis zwischen Gütern (wie Silber und Gold), selbst wenn es lange Zeit Bestand hatte, kein Garant, dass es auch künftig Bestand haben muss beziehungsweise haben wird.
Vor allem ist mit Blick auf Abb. 1 zu berücksichtigen, dass der Goldpreis bis Anfang der 1970er Jahre fixiert war. Das heißt, Veränderungen im Gold-Silber-Preisverhältnis waren ausschließlich durch Veränderungen des Silberpreises verursacht. Spätestens seit dem 15. August 1971, dem Tag, an dem der US-Dollarpreis des Goldes quasi endgültig freigegeben wurde, ging das Gold-Silber-Preisverhältnis in die Höhe:
Der Goldpreis stieg im Durchschnitt stärker als der Silberpreis. Wir haben es hier folglich mit zwei ganz unterschiedlichen "Regimen" zu tun: Vor 1971 wurde nur der Silberpreis frei im Markt bestimmt, danach waren Silber- und auch Goldpreis Ergebnis von Angebot- und Nachfrage. Daher ist nicht verwunderlich, dass das Gold-Silberpreisverhältnis in den frühen 1970er Jahren einen deutlich zu erkennenden "Strukturbruch" erfahren hat.
Empfehlung
Wie bereits gesagt, eine Handlungsempfehlung, die häufig aus der Betrachtung des Gold-Silber-Preisverhältnisses abgeleitet wird, lautet: Verkaufe Gold und kaufe Silber, wenn das Gold-Silber-Preisverhältnis sehr (außergewöhnlich) hoch ist, und kaufe Gold und verkaufe Silber, wenn das Gold-Silber-Preisverhältnis vergleichsweise niedrig ist. Eine derartige Empfehlung beruht auf der Idee, dass das Gold-Silber-Preisverhältnis in verlässlicher Weise um einen Trend schwankt (man spricht auch vom "Mean-Reversion-Effect"). Doch wie sieht der Trend aus? In Abb. 2 lassen sich zwei Trendverläufe identifizieren: ein seit dem Ende der 1970er Jahre steigender Trend und kein Trend seit Anfang der 1990er Jahre.
Ein Trend bedeutet, dass sich Abweichungen vom Mittelwert früher oder später wieder korrigieren. In der gesamten Periode von 1979 bis 2023 ist ein (leicht) steigender Trend des Gold-Silber-Preisverhältnisses zu beobachten. Er besagt, dass der Goldpreis im Durchschnitt stärker angestiegen ist als der Silberpreis. Das heißt, der Mittelwert, auf den die Schwankungen des Gold-Silber-Preisverhältnisses immer wieder zurückkehrten, stieg im Zeitablauf an. Betrachtet man hingegen die Zeit ab 1991 bis heute, verliert sich der positive Aufwärtstrend des Gold-Silber-Preisverhältnisses, der Mittelwert, auf den die Abweichungen zurückkehren, ist folglich konstant (bei etwa 68).
Welchen Trendverlauf man nun für das Gold-Silber-Preisverhältnis annimmt, ist sehr bedeutsam für die resultierenden Handlungsempfehlungen. Würde man als Anleger davon ausgehen, dass das Gold-Silber-Preisverhältnis keinen Trend hat (und damit einen im Zeitablauf konstanten Mittelwert), obwohl es sich tatsächlich durch einen aufwärtsgerichteten Trend auszeichnet, kann es zu fehlerhaften Urteilen kommen. Beispielsweise könnte man eine Überbewertung von Gold relativ zu Silber diagnostizieren, wo keine ist; gleichermaßen liefe man Gefahr, eine Unterbewertung von Silber relativ zu Gold zu unterschätzen.
Eine weitere Schwierigkeit, verlässliche Handlungsempfehlungen aus dem Gold-Silber-Preisverhältnis abzuleiten, besteht im Folgenden: Veränderungen des Gold-Silber-Preisverhältnisses können unterschiedliche Gründe haben. Das Gold-Silber-Preisverhältnis kann beispielsweise steigen, weil der Goldpreis stärker zulegt als der Silberpreis. In diesem Falle wäre man gut beraten, Gold und nicht Silber zu halten. Das Gold-Silber-Preisverhältnis kann jedoch auch steigen, weil der Goldpreis weniger stark fällt als der Silberpreis. Hier täte man gut daran, gar keine Edelmetalle, sondern nur Kasse zu halten. (Optionsstrategien, die sich in diesen Situationen verfolgen lassen, sollen hier nicht erörtert werden.)
Strukturbruch
Das Gold-Silber-Preisverhältnis ist für Edelmetallanleger eine viel beachtete Größe. Mit ihr wird versucht, die relative Vorteilhaftigkeit von Gold gegenüber Silber festzustellen. Als Daumenregel gilt: Ist beispielsweise das Gold-Silber-Preisverhältnis sehr hoch, ist Gold teuer im Vergleich zum Silber, man sollte Gold verkaufen und Silber kaufen.
Derartige Empfehlungen, die vom Gold-Silber-Preisverhältnis abgeleitet werden, unterstellen jedoch dass es zwischen dem Gold- und Silberpreis ein mehr oder weniger festes Verhältnis gibt, und dass Abweichungen von diesem Verhältnis früher oder später wieder korrigiert werden. Dass es nicht ganz so einfach ist, wird nachfolgend aufgezeigt. Und vor diesem Hintergrund wird dann erläutert, wie sich das Gold-Silber-Preisverhältnis sinnvoll interpretieren lässt.
Quelle: Refinitiv; Kalkulation Degussa. *Preise in US-Dollar pro Feinunze. Jahresdaten.
Währungshistorisch betrachtet gab es Zeiten, in denen das Preisverhältnis zwischen Gold und Silber fixiert war. Beispielsweise wurde im US-amerikanischen Münzgesetz ("Coinage Act") vom 2. April 1792 bestimmt, dass der US-Dollar in Gewicht Feinsilber und Feingold definiert sei. Ein Preisverhältnis von 15 Gran Feinsilber zu 1 Gran Feingold wurde gesetzt. Das Silber-Gold-Tauschverhältnis lag folglich bei 15 : 1. Doch schon bald wertete der Marktpreis des Silbers gegenüber dem Gold ab. Das führte 1834 zu einer Gesetzesänderung: Fortan wurde das Austauschverhältnis zwischen Silber und Gold auf 15,625 : 1 gesetzt. 1873 wurde der US-Dollar nur noch in Feingold definiert, das Silber demonetisiert.
Man kann natürlich auf die Idee kommen, dass es ein konstantes Austauschverhältnis zwischen Silber und Gold gibt beziehungsweise geben sollte – weil beispielsweise die relativen Angebotsmengen das nahelegen, oder weil es in der Vergangenheit lange Zeit ein bestimmtes Austauschverhältnis gegeben hat. Doch die subjektive Wertlehre, die in der Ökonomik eine ganz zentrale Rolle spielt, nimmt eine andere Sicht ein.
Ihr zufolge ist der Wert, den eine Person einem Gut beimisst, stets subjektiv; und derartige Wert(-urteile) unterliegen Änderungen (weil beispielsweise sich die Geschmäcker ändern, neue Produkte auf dem Markt angeboten werden). So gesehen ist ein historisch beobachtbares konstantes Austauschverhältnis zwischen Gütern (wie Silber und Gold), selbst wenn es lange Zeit Bestand hatte, kein Garant, dass es auch künftig Bestand haben muss beziehungsweise haben wird.
Vor allem ist mit Blick auf Abb. 1 zu berücksichtigen, dass der Goldpreis bis Anfang der 1970er Jahre fixiert war. Das heißt, Veränderungen im Gold-Silber-Preisverhältnis waren ausschließlich durch Veränderungen des Silberpreises verursacht. Spätestens seit dem 15. August 1971, dem Tag, an dem der US-Dollarpreis des Goldes quasi endgültig freigegeben wurde, ging das Gold-Silber-Preisverhältnis in die Höhe:
Der Goldpreis stieg im Durchschnitt stärker als der Silberpreis. Wir haben es hier folglich mit zwei ganz unterschiedlichen "Regimen" zu tun: Vor 1971 wurde nur der Silberpreis frei im Markt bestimmt, danach waren Silber- und auch Goldpreis Ergebnis von Angebot- und Nachfrage. Daher ist nicht verwunderlich, dass das Gold-Silberpreisverhältnis in den frühen 1970er Jahren einen deutlich zu erkennenden "Strukturbruch" erfahren hat.
Empfehlung
Wie bereits gesagt, eine Handlungsempfehlung, die häufig aus der Betrachtung des Gold-Silber-Preisverhältnisses abgeleitet wird, lautet: Verkaufe Gold und kaufe Silber, wenn das Gold-Silber-Preisverhältnis sehr (außergewöhnlich) hoch ist, und kaufe Gold und verkaufe Silber, wenn das Gold-Silber-Preisverhältnis vergleichsweise niedrig ist. Eine derartige Empfehlung beruht auf der Idee, dass das Gold-Silber-Preisverhältnis in verlässlicher Weise um einen Trend schwankt (man spricht auch vom "Mean-Reversion-Effect"). Doch wie sieht der Trend aus? In Abb. 2 lassen sich zwei Trendverläufe identifizieren: ein seit dem Ende der 1970er Jahre steigender Trend und kein Trend seit Anfang der 1990er Jahre.
Quelle: Refinitiv; Kalkulation Degussa. *Preise in US-Dollar pro Feinunze.
Ein Trend bedeutet, dass sich Abweichungen vom Mittelwert früher oder später wieder korrigieren. In der gesamten Periode von 1979 bis 2023 ist ein (leicht) steigender Trend des Gold-Silber-Preisverhältnisses zu beobachten. Er besagt, dass der Goldpreis im Durchschnitt stärker angestiegen ist als der Silberpreis. Das heißt, der Mittelwert, auf den die Schwankungen des Gold-Silber-Preisverhältnisses immer wieder zurückkehrten, stieg im Zeitablauf an. Betrachtet man hingegen die Zeit ab 1991 bis heute, verliert sich der positive Aufwärtstrend des Gold-Silber-Preisverhältnisses, der Mittelwert, auf den die Abweichungen zurückkehren, ist folglich konstant (bei etwa 68).
Welchen Trendverlauf man nun für das Gold-Silber-Preisverhältnis annimmt, ist sehr bedeutsam für die resultierenden Handlungsempfehlungen. Würde man als Anleger davon ausgehen, dass das Gold-Silber-Preisverhältnis keinen Trend hat (und damit einen im Zeitablauf konstanten Mittelwert), obwohl es sich tatsächlich durch einen aufwärtsgerichteten Trend auszeichnet, kann es zu fehlerhaften Urteilen kommen. Beispielsweise könnte man eine Überbewertung von Gold relativ zu Silber diagnostizieren, wo keine ist; gleichermaßen liefe man Gefahr, eine Unterbewertung von Silber relativ zu Gold zu unterschätzen.
Eine weitere Schwierigkeit, verlässliche Handlungsempfehlungen aus dem Gold-Silber-Preisverhältnis abzuleiten, besteht im Folgenden: Veränderungen des Gold-Silber-Preisverhältnisses können unterschiedliche Gründe haben. Das Gold-Silber-Preisverhältnis kann beispielsweise steigen, weil der Goldpreis stärker zulegt als der Silberpreis. In diesem Falle wäre man gut beraten, Gold und nicht Silber zu halten. Das Gold-Silber-Preisverhältnis kann jedoch auch steigen, weil der Goldpreis weniger stark fällt als der Silberpreis. Hier täte man gut daran, gar keine Edelmetalle, sondern nur Kasse zu halten. (Optionsstrategien, die sich in diesen Situationen verfolgen lassen, sollen hier nicht erörtert werden.)