Der US-Kreditzyklus: Eine Standortbestimmung
17.04.2023 | Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Doch nicht nur Banken, sondern auch andere Finanzinstitute waren und sind beteiligt an den Kreditbooms. Dazu gehören auch die sogenannten "Schattenbanken": Gemeint sind zum Beispiel Geldmarktfonds, Pensionsfonds, Hedge Funds, Asset Managers etc. Diese Institutionen kaufen mit dem Geld, das ihnen ihre Kunden überweisen, Schuldpapiere, Aktien, Derivate etc. Natürlich sind auch sie betroffen, wenn sich der Wind in den Kapitalmärkten dreht, wenn der Kreditboom platzt. Sie können sogar in sehr große Probleme geraten. Wenn der Boom in einen Bust umkippt, zehren die Kreditausfälle an den Rücklagen und dem Eigenkapital der Banken. Schattenbanken hingegen haben meist kaum Eigenkapital, das Verluste abfedern könnte, und Anleger erleiden Verluste.
Das Anlagekapital wird dann ganz besonders scheu. Der damit verbundene Anstieg der Kreditkosten vergrößert die Zahl der Haushalts- und Firmenpleiten. Im Extremfall setzt die einsetzende Banken- und Kreditkrise eine Abwärtsspirale in Gang, die in eine schwere Rezession-Depression münden kann – wenn die Zentralbank nicht einspringt und mit niedrigen Zinsen und einer Ausweitung von Kredit und Geld das Zusammensacken der Schuldenpyramide aufhält. Eine solche "Rettung" durch die Zentralbank mag zwar das ein oder andere Mal gelingen, aber fortgesetzt praktiziert nimmt natürlich die Gefahr einer Währungskrise zu.
Wie bereits in Abb. 2 deutlich wurde, ist das zyklische Hoch der Kreditvergabe vermutlich überschritten, und es ist damit zu rechnen, dass sich die Jahreszuwachsraten abschwächen.
Dabei ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass die Bankkreditvergabe üblicherweise mit einer gewissen Zeitverzögerung auf die veränderten Wirtschafts- und Finanzbedingungen reagiert: So können bereits in der Vergangenheit vereinbarte Kreditlinien nicht so ohne weiteres ausgesetzt werden, und so mancher Kreditnehmer erfährt erst im Zeitablauf, welche Bedeutung die Verteuerung der Kredite für sein Budget tatsächlich hat und schränkt dann seine Kreditnachfrage ein. So gesehen ist der volle Effekt der Fed-Zinserhöhungen auf die Bankkreditvergabe noch nicht vollumfänglich sichtbar.
Kreditausfall
Die mittlerweile merklich erhöhten Kreditzinsen werden sehr wahrscheinlich noch spürbar(er) in der Entwick-lung der Kreditmengen werden, sowohl angebots- als auch nachfrageseitig bedingt. Eine ganz große Unbekannte ist weiterhin, wie sich die wachsende Skepsis gegenüber dem US-Dollar als Weltreservewährung auf die Finanzierungskosten US-amerikanischer Schuldner auswirken wird.
Bislang hat die US-Wirtschaft, haben vor allem auch US-amerikanische Schuldner, ganz gewaltig davon profitiert, dass die Vereinigten Staaten von Amerika ein Kapitalimportland sind (quasi das Spiegelbild einer negativen Handelsbilanz): Das Ausland hat seit Jahr und Tag den Konsum und die Investitionen in den USA bereitwillig zu relativ geringen Kosten finanziert.
Quelle: Refinitiv; Graphik Degussa. *Kredite, die 120 Tage ("installment loans") beziehungsweise 180 Tage ("revolving loans") nicht bedient wurden, d. h. sich im Verzug befinden.
Noch liegen die Kreditausfälle bei US-Bankkrediten auf relativ niedrigen Niveaus (Abb. 5). Aber sie steigen nun an. Das ist eine wichtige Beobachtung. Denn Kredit und Misskredit liegen nie weit auseinander. Vor allem wenn ganze Volkswirtschaften, wenn Konsum und Investitionen, wenn Berufe und Karrieren, wenn Wohlstand und Umverteilung auf Kredit aufgebaut sind, haftet ihnen unweigerlich der Zweifel, die Sorge vor der Entzauberung, der Ernüchterung und des Zusammenbruchs an.
So manches Mal kann die ausbrechende Sorge der Menschen vor dem Unausweichlichem wieder beruhigt und zurückgedrängt werden – indem etwa die Zentralbank die Zinsen wieder absenkt beziehungsweise auf noch niedrigere Niveaus schleust und dort hält. Doch diese Umgehungswege der Krise sind begrenzt. Der österreichische Ökonom Fritz Machlup (1902–1983) schrieb dazu:
"Die Prosperität kann eine Zeitlang andauern. Sie dauert so lange, als es möglich ist, die Schaffung zusätzlicher Kaufkraft immer weiter fortzusetzen. Eines Tages muß es sich dann zeigen, daß es mit der Ausdehnung des Notenbankkredits nicht mehr weiter gehen kann, sei es dadurch, daß die Bevölkerung das sich entwertende Geld ablehnt, sei es, daß das Bewußtsein von der übermäßigen Inanspruchnahme von Kredit dem allzu großen Optimismus ein Ende setzt. Was dann nachfolgt, wissen alle. Es ist die Krise mit ihrer Katastrophenstimmung, mit den Verlusten, Schleuderverkäufen, Konkursen und dem Offenbarwerden einer furchtbaren Verarmung."
So gesehen kann den Anleger sehr wohl ein gewisses Unwohlsein beschleichen, wenn er den aktuellen US-Kreditzyklus vor Augen hat: Die Zeichen stehen mindestens auf eine Abschwächung der Konjunktur, eine Verschlechterung der Kreditqualität. Das muss nicht notwendigerweise gleich eine große Kreditkrise nach sich ziehen – zumal man ja davon ausgehen muss, dass die US-Zentralbank mit aller Macht gegen einen Konjunktureinbruch und ein Zusammenbruch des Finanzsystems vorgehen, die Zinsen wieder absenken und die Kredit- und Geldmengen (komme was da wolle) ausdehnen würde.
So gesehen ist das naheliegende Ergebnis, das der Anleger aus der Standortbestimmung im aktuellen US-Kreditzyklus gewinnen kann: Der Geldwertverlust, der Kaufkraftschwund des Geldes ist und bleibt eine der zentralen Herausforderungen für den Kapitalanleger.
© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH