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Märkte reagieren freundlich – EZB erhöht Leitzins – BoJ: Der andere Politikentwurf

16.06.2023  |  Folker Hellmeyer
Der Euro eröffnet heute gegenüber dem USD bei 1,0942 (05:32 Uhr), nachdem der Tiefstkurs der letzten 24 Handelsstunden bei 1,0804 im europäischen Geschäft markiert wurde. Der USD stellt sich gegenüber dem JPY auf 140,36. In der Folge notiert EUR-JPY bei 153,58. EUR-CHF oszilliert bei 0,9759.


Märkte reagieren freundlich

Die Finanzmärkte haben die Zinsentscheidungen der EZB und der Bank of Japan gut verdaut. Aktienmärkte konnten an Boden gewinnen, allen voran in den USA.

Das ist durchaus verständlich. Europa konnte nicht an der Nachrichtenfront punkten. Das IfW senkte die BIP-Prognose für Deutschland per 2023 von zuvor +0,5% auf -0,3%. Im kommenden Jahr soll das BIP dann um 1,8% zulegen (Prognose zuvor 1,4%). Laut Studie des IMK sprang die Wahrscheinlichkeit einer Sommerrezession in Deutschland per Juni von zuvor 37,9% auf 49,3%. Die Bundesländer warnen die Bundesregierung immer lauter vor einem Abwandern der Industriebetriebe wegen zu hoher Energiepreise.

Am Devisenmarkt gab es eine Fokussierung auf die verringerte Zinsdifferenz zwischen EUR und USA. Der EUR legte auf das höchste Niveau seit dem 12. Mai zu. Die Nachrichten- und Datenlage der Eurozone spielte offensichtlich keine Rolle.

Ebenso wird das strukturelle Energieproblem Europas nicht reflektiert. Das größte Gasfeld der Niederlande wird im Sommer geschlossen. Auch aus diesem Hintergrund legten die Erdgaspreise dynamisch zu. Die Divergenz zu den USA hat sich in der Folge zu Lasten Europas markant ausgeweitet.

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© Finanzen.net


EZB erhöht Leitzins um 0,25% auf 4,00%

Dieser Schritt war wohl vorbereitet und von den Finanzmarktteilnehmern erwartet worden. Selten war ein Zinsschritt besser vorbereitet. Frau Lagarde lieferte folgende Einlassungen: Die Inflation hätte sich verringert. Sie würde laut Projektionen jedoch zu lange hoch bleiben (2023 durchschnittlich bei 5,4%, 2024 bei 3,0% und 2025 bei 2,2%).

Kommentar: Die Einschätzung der Inflationslage ist verständlich. Es gibt massive Unterschiede beispielsweise zu den USA und Japan. Die USA und Japan haben keinen identischen Inflationsdruck aus dem Energiesektor. Japan hält sich nur verbal an Energiesanktionen und importiert weiter aus den russischen Sachalin Feldern. In den USA ist das Thema der Lohnsteigerungen unproblematisch. Der Lohndruck liegt bei nur circa 2%. Die Eurozone hat hohen Lohndruck und prohibitiv hohe Energiepreise (Gas und Strom).

Die bisherigen Zinserhöhungen wirkten sich stark auf die Finanzierungsbedingen aus, die die Inflation bremsten und sich in der Wirtschaft auswirkten. Die BIP-Prognosen wurden per 2023 auf 0,9% und per 2024 auf 1,5% reduziert.

Kommentar: Es entsteht der Eindruck, dass die EZB die Wirtschaft markant bremsen will. Hat man sich im EZB-Rat die Frage gestellt, wo die Preise gemacht werden, ob mit der Beschädigung der Konjunktur Europas die Ziele erreicht werden können? Rohstoffpreise hängen an der Weltkonjunktur, nicht primär an der Konjunktur der Eurozone. Europäische Energiepreise korrelieren mit politischen Entscheidungen innerhalb der EU (deswegen Divergenz zu USA und Japan), die den Inflationsdruck erhöhten. Aus dieser Konstellation generiert sich auch ein großer Teil des Lohndrucks. "Food for thought!"

In diesem Kontext bot die Ministerpräsidentenkonferenz bemerkenswerte Einsichten. Die Bundesländer warnen die Bundesregierung immer lauter vor einem Abwandern der Industriebetriebe wegen zu hoher Energiepreise – das sind sehr späte Erkenntnisse. Unser Report scheint dort nicht weit verbreitet zu sein. Wer Strukturen zerbricht, zerbricht die Konjunktur und zerstört Einkommen für Staat und private Haushalte.

Die EZB halte an dem restriktivem Kurs weiterer Zinserhöhungen fest, um eine möglichst zeitnahe Rückkehr der Inflation zum mittelfristigen 2%-Ziel zu gewährleisten. Mit hoher Wahrscheinlichkeit stünde die nächste Erhöhung des Leitzinses im Juli an.

Kommentar: Stabilitätspolitik ist richtig. Das Statement ist diesbezüglich keine Überraschung. Aber, wenn unsere Politik durch Infragestellung unseres Geschäftsmodells destabilisiert und damit auch Kern des Inflationsproblems ist, kann die EZB dann das Dilemma lösen oder führt dann die Kosten steigernde Zinspolitik der EZB zu noch mehr konjunkturellen und möglicherweise strukturellen Schäden in der Wirtschaft?

Die EZB werde einen datengestützten Ansatz verfolgen.

Kommentar: Daten zu ignorieren, wäre in der Tat wenig intelligent. Erzeuger- und Importpreise, die sich unter Zeitverzug auf die Verbraucherpreise auswirken, signalisieren derzeit nahezu weltweit eine fortgesetzte zarte Entspannung bei den Verbraucherpreisen.

Löhne seien eine wichtige Quelle für Inflation geworden. Die jüngsten Lohnabschlüsse hätten zu Aufwärtsrisiken der Inflation beigetragen. Man erkenne jedoch keine Lohn-Preis-Spirale.

Kommentar: Zunächst kein Widerspruch. Das Inflationsdilemma der Eurozone ist jedoch in wesentlichen Teilen ein politisches Thema, ergo auch das Thema Lohndruck, da es durch diskretionäre Politik innerhalb der EU generiert wurde. Aus diesem Grund gibt es die für Europa belastende Unterschiedlichkeit zu den USA und zu Japan.


Bank of Japan: Der andere Politikentwurf

Die Bank of Japan hat heute die Leitzinsen unverändert bei -0,10% belassen und entschieden, dass es bei der Politik der Zinskurven-Steuerung bleibt. Dabei peilen sie Zielmarken von -0,1% für die kurzfristigen Zinsen und 0,0% für die Rendite 10-jähriger Staatsanleihen an.

Kommentar: Damit hebt sich die Bank of Japan in der westlichen Welt von den Politikansätzen aller anderen Zentralbanken ab.

Notenbankchef Ueda sagte, dass es nicht zu einer zeitnahen Abkehr von dieser Linie kommen werde. Das sich abschwächende Wachstum der Weltwirtschaft berge Risiken für Japans Konjunktur. Dazu komme die Unsicherheit, ob das Lohnwachstum im Land auch anhalten würde.

Kommentar: Die Zentralbank als auch die verantwortlichen Politiker scheinen nicht bereit zu sein, die eigenen Wirtschaftsstrukturen zu opfern, denn Strukturen zu zerstören ist einfach und schnell, sie wieder aufzubauen, ist zumeist eine Herkulesaufgabe (Thema Vertrauen).

Die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt hatte zu Jahresbeginn Rückenwind. Das BIP legte von Januar bis März aufs Jahr hochgerechnet um 2,7% zu.

Kommentar: Die Energie- und Zinspolitik Japans unterscheidet sich massiv von den Politikansätzen in Europa. Diese Politik schafft gegenüber Europa komparative Standortvorteile für Japan. Komparative Standortvorteile gibt es bei Energie und Subventionen in den USA. Um Nachdenklichkeit zu forcieren, bieten wir Ihnen einen Überblick über aktuelle Statistik.

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In "Rot" sind die im Vergleich schwächsten Werte eingefärbt. Geopolitik, eigene Politik, Zentralbankpolitik und das US-IRA-Programm zeitigen erkennbare Wirkungen. Fazit: Wer gewinnt? Wer verliert? Wer ist klug? Wer ist weniger klug? Wer ist pragmatisch? Wer ist ideologisch?


Datenpotpourri der letzten 24 Handelsstunden:

Eurozone: Handelsbilanz wieder defizitär

Die Handelsbilanz der Eurozone wies per April in der saisonal bereinigten Fassung ein Defizit in Höhe von 7,1 Mrd. EUR nach zuvor +14,0 Mrd. EUR aus (revidiert von 17,0 Mrd. EUR). Die Devisenreserven stellten sich per Mai auf 1.140,5 Mrd. EUR nach zuvor 1.120,8 Mrd. EUR.


USA: Guter Einzelhandel, schwache Produktion, divergierende PMIs

Die Einzelhandelsumsätze nahmen per Mai im Monatsvergleich um 0,3% (Prognose -0,1%) nach zuvor 0,4% zu. Im Jahresvergleich ergab sich ein Anstieg um 1,61% nach zuvor 1,23% (revidiert von 1,60%).

Die Industrieproduktion sank per Mai im Monatsvergleich um 0,2% (Prognose +0,1%) nach zuvor +0,5%. Im Jahresvergleich kam es zu einem Anstieg um 0,23% nach zuvor 0,37% (revidiert von 0,24%). Die Kapazitätsauslastung stellte sich auf 79,6% (Prognose 79,7%) nach zuvor 79,8% (revidiert von 79,7%).

Der New York Fed Manufacturing Index legte per Juni markant von zuvor -31,8 auf +6,6 Punkte zu (Prognose -15,1). Die jüngere Volatilität dieses Index irritiert und wirft Qualitätsfragen auf. Der Philadelphia Fed Business Index sank per Berichtsmonat Juni von -10,4 auf -13,7 Punkte (Prognose -14,0).

Die Arbeitslosenerstanträge stellten sich per 10. Juni auf 262.000 (Prognose 249.000) nach zuvor 262.000 (revidiert von 261.000) und bestätigten damit den höchsten Wert seit dem 11. August 2022.

Die US-Importpreise sanken per Mai im Jahresvergleich um 5,9% nach zuvor -4,9% (revidiert von -4,8%). Es war der niedrigste Wert seit Mai 2020 (seinerzeit Corona-Impakt).

Derzeit ergibt sich für das Währungspaar EUR/USD eine neutrale Haltung. Erst ein Ausbruch aus der Bandbreite 1,0650 – 1,1100 eröffnet neue Trendsignale.

Viel Erfolg!


© Folker Hellmeyer
Chefvolkswirt der Netfonds Gruppe



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