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Zinserhöhungen/Daten belasten – Bundesbank: Nagel legt nach – Gedanken zur Zinspolitik

23.06.2023  |  Folker Hellmeyer
Der Euro eröffnet heute gegenüber dem USD bei 1,0939 (05:31 Uhr), nachdem der Tiefstkurs der letzten 24 Handelsstunden bei 1,0933 im fernöstlichen Geschäft markiert wurde. Der USD stellt sich gegenüber dem JPY auf 143,03. In der Folge notiert EUR-JPY bei 156,47. EUR-CHF oszilliert bei 0,9810.


Märkte: Zinserhöhungspotpourri und Daten belasten

An den Finanzmärkten belastete gestern eine Phalanx an Zinserhöhungen, die zum Teil größer als erwartet ausfielen (UK und Norwegen, siehe Datenpotpourri). Zusätzlich konnten weit überwiegend die veröffentlichten Konjunkturdaten aus den USA (diverse) und Japan (PMIs) nicht überzeugen (siehe Datenpotpourri), die einen Dynamikverlust implizieren.

Als Ergebnis kamen die Aktienmärkte zunächst unter Druck. Sie konnten jedoch im Tagesverlauf den Großteil der Verluste wettmachen. Der S&P 500, der NASDAQ, der MSCI World als auch der M-DAX wiesen am Ende sogar Anstiege aus.

Deutlich wird, dass es bei rückläufigen Kursen Kaufinteresse gibt. Es zeigt sich Widerstandskraft an den Aktienmärkten trotz der Zinserhöhungen und eingetrübter Wirtschaftsdynamik. Ob diese Resilienz an den Aktienmärkten dauerhafter Natur sein wird, wird sich weisen.

Der Zinserhöhungspotpourri wirkte sich belastend auf die Rentenmärkte aus. Die Rendite der 10 jährigen Bundesanleihe stellt sich heute früh auf 2,48% nach 2,43% gestern früh. Die 10 jährige US-Staatsanleihe reüssiert mit einer Rendite in Höhe von 3,78% nach 3,73% am Vortag.

Der EUR konnte sich gegenüber dem USD kurzfristig auf über 1,10 befestigen, um dann zu korrigieren und Tagestiefstkurse bei 1,0933 in Fernost zu markieren. Derzeit bestimmen Zinsthemen die Bewertung, weniger Konjunkturthemen. Die Verbalakrobatik der EZB weist in Richtung fortgesetzter Zinserhöhungen, was als unterstützend für die Bewertung des EUR diskontiert wird. Die Folgen der Zinspolitik (konjunkturelle Schäden) als auch der Geopolitik (strukturelle Schäden) werden derzeit am Devisenmarkt weitestgehend unterbelichtet.

Die aktuelle Verbalakrobatik seitens der US-Notenbank weist in Richtung weiterer zwei Zinsschritte um 0,25% im Laufe des Jahres auf einen Zielkorridor der Fed Funds dann in Höhe von 5,50% - 5,75%. Ergo bleibt ein markanter Zinsvorteil zu Gunsten des USD absehbar gegeben, wobei die Inflation in den USA niedriger als in der Eurozone ist. Auch die Treiber der Inflation sind unausgeprägter, allen voran die Lohnentwicklungen. Das europäische Energiepreisproblem als auch das Risiko der Versorgungssicherheit ist in den USA nicht vorhanden. „Food for thought!“


Bundesbank: Nagel legt nach – Gedanken zur Zinspolitik

Die Zinswende der EZB fiel mit der Berufung Joachim Nagels zum Bundesbankpräsidenten zusammen. Der EZB-Rat mutierte von einem geldpolitischen "Taubenschlag" zu einem geldpolitischen "Falkenhort".

Kommentar: Joachim Nagel stand und steht für Stabilitätspolitik. Er war und ist nicht eine „geldpolitische Weide“, die sich im Wind opportunistischer Politik wiegt, sondern er ist vergleichbar mit einer "geldpolitischen Eiche". Darüber hinaus beherrscht er die Klaviatur der Diplomatie. Letzteres ist erfrischend vor dem Hintergrund aktueller Erfahrungen.

Geldpolitische Stabilität ist die Grundlage für nachhaltige Wirtschaftserfolge. Nichts anderes lässt sich aus der Wirtschaftshistorie ableiten.

"Maestros", wie Alan Greenspan (Fed-Chef von 1987 – 2006), die von neuen Paradigmen fabulierten und die historischen Erkenntnisse ignorierten, wurden entlarvt. Den Preis dieser fehlgeleiten Politik zahlten die betroffenen Menschen (Neuer Markt, Immobilienkrise).

Mangelnde geldpolitische Stabilität kann temporär wirtschaftliche Erfolge zeitigen, aber eben nur temporär. Dieser Politikansatz ist vergleichbar mit Kosmetik. Kosmetik hilft für eine Nacht, sie löst aber kein Problem. Nutzt man sie laufend intensiv, wird der Verbrauch an Kosmetik immer höher und am Ende muss doch "geschnitten" werden.


Bundesbankpräsident Nagel sagte, es ginge derzeit darum, mit Leitzinserhöhungen zu überzeugen.

Kommentar: Dem ist zuzustimmen, denn das strukturelle Inflationsbild ist kritischer als in Japan oder in den USA. Der Lohndruck ist in Europa ungleich höher. Das Dilemma der EZB ist darüber hinaus, dass die Politik in der EU durch eigenes Handeln einen belasteten Rahmen in der Frage der Energieversorgungssicherheit als auch der Energiepreise (Inflationsimpulse mit Rückkoppelung auf Lohn- Preisspirale) schaffte, der kritischer ist als in den USA oder Japan (Japan nimmt nicht real an Energiesanktionen teil, Sachalin).

Nagel führte weiter aus, die Finanzpolitik sollte die Aufgabe der Geldpolitik nicht erschweren. Krisenhilfen sollten auslaufen.

Kommentar: Damit fordert Nagel faktisch die Rezession ein. Eine Rezession bedeutet rückläufige Nachfrage und grundsätzlich zunehmende Arbeitslosigkeit. In einem isolierten Wirtschaftsraum wirkt so etwas grundsätzlich gegen Inflation.

Nur sind wir in einem isolierten Wirtschaftsraum? Nein, die Preise der Güter hängen am Weltmarkt. Das Lieferkettenproblem wirkte inflationär. Fiele Europa in Teilen bei Produktionskapazitäten aus, wirkte das wegen zunehmenden Mangels wohl kaum inflationshemmend.

Der Weltmarkt wird heute zudem nicht mehr vom Westen bestimmt. Fernost macht die Musik. Unsere Wirtschaft ist in Teilen eine Funktion dieser "Musik". Die aufstrebenden Länder (circa 70% Anteil am Welt-BIP, Basis KKP) wachsen circa dreimal so schnell wie der Westen (IWF-Prognosen 2023/2024 WEO 04/2023). Ergo sollte man in Frankfurt auch das Thema der Stagflation im Auge haben, also rückläufiger Wirtschaftsleistung bei zu hoher Inflation.

Als Fazit lässt sich ziehen, dass bei der Zinspolitik Wegstrecke vor uns liegt. Die EZB kann jedoch nicht die durch die Geopolitik der EU hervorgerufenen strukturellen Probleme lösen. Ein Überdrehen der Zinsschraube könnte neue strukturelle Probleme in der Eurozone auslösen (Haushaltslagen), die dann durch die potentiell damit einhergehende Abwertung des Euros importierte Inflation forcierte.

Ergo geht es in der Zentralbankpolitik um sachliche Analyse, um Maß und Mitte der Zins- und Geldpolitik zu determinieren. Die dürfen wir vom EZB-Rat erwarten.



Datenpotpourri der letzten 24 Handelsstunden:

Eurozone: Verbrauchervertrauen auf höchstem Stand seit 02/2022

Der Index des Verbrauchervertrauens legte laut Erstschätzung von zuvor -17,4 auf -16,1 Punkte zu (Prognose -17,0). Es war der höchste Indexstand seit Februar 2022.

Frankreich: Der Geschäftsklimaindex für die Gesamtwirtschaft verharrte per Juni unverändert bei 100 Punkten. Der Index für das Verarbeitende Gewerbe legte von 99 auf 101 Punkte zu.


Schweiz: Notenbank hebt Leitzins um 0,25% an

Erwartungsgemäß hat die SNB den Leitzins von zuvor 1,50% auf 1,75% angehoben.


UK: Notenbank überrascht mit Zinsschritt um 0,50%

Das Monetary Policy Committee votierte für einen Zinsschritt von 4,50% auf 5,00% (Prognose 4,75%). Hintergrund ist das hartnäckig hohe Inflationsniveau.


Türkei: Notenbank erhöht Leitzins drastisch, verfehlt aber Erwartungen

Die Notenbank der Türkei vollführte eine Kehrtwende und erhöhte den Leitzins drastisch von 8,5% auf 15,0%. Marktteilnehmer hatten einen noch größeren Zinsschritt auf 21% unterstellt.


Japan: Verbraucherpreise niedriger, PMIs auch

Die Verbraucherpreise legten per Mai im Jahresvergleich um 3,2% nach 3,5% und die Kernrate um 3,2% (Prognose 3,1%) nach 3,4% zu. Der von der Jibun Bank ermittelte Composite PMI stellte sich laut Erstschätzung auf 52,3 nach 54,3 Punkte (Produktion 49,8 nach 50,6, Dienstleistungen 54,2 nach 55,9).


USA: Daten verfehlen Erwartungen

Das Leistungsbilanzdefizit stellte sich per 1. Quartal 2023 auf 219,3 nach zuvor 216,2 Mrd. USD (revidiert von -206,8 Mrd. USD). Die Arbeitslosenerstanträge stellten sich per 17. Juni 2023 auf 264.000 nach zuvor 264.000 (revidiert von 262.000) und markierten den höchsten Wert seit dem 20. Januar 2022. Der von der Chicago Fed Index ermittelte National Activity Index, ein Sammelindex aus 85 US-Einzelindikatoren, sank per Mai von 0,14 (revidiert von 0,07) auf -0,15 Punkte.

Der Absatz von zuvor genutzten Wohnimmobilien legte per Mai unwesentlich von 4,29 Mio. (revidiert von 4,28 Mio.) auf 4,30 Mio. zu. Der Index der Frühindikatoren sank per Mai um 0,7% (Prognose -0,7%) nach zuvor -0,6%. Es war der 14. Rückgang in Folge. Der Kansas City Composite Index fiel per Berichtsmonat Juni von zuvor -1 auf -12 Zähler.


Russland: Devisenreserven legen leicht zu


Die Devisenreserven nahmen per 16. Juni 2023 von zuvor 585,7 auf 587,5 Mrd. USD zu.

Derzeit ergibt sich für das Währungspaar EUR/USD eine neutrale Haltung. Erst ein Ausbruch aus der Bandbreite 1,0650 – 1,1100 eröffnet neue Trendsignale.

Viel Erfolg!


© Folker Hellmeyer
Chefvolkswirt der Netfonds Gruppe



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