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Märkte unter Druck – Konjunktur erodiert – VCI sieht Deindustrialisierung

26.06.2023  |  Folker Hellmeyer
Der Euro eröffnet heute gegenüber dem USD bei 1,0907 (05:40 Uhr), nachdem der Tiefstkurs der letzten 24 Handelsstunden bei 1,0845 im europäischen Geschäft markiert wurde. Der USD stellt sich gegenüber dem JPY auf 143,44. In der Folge notiert EUR-JPY bei 156,44. EUR-CHF oszilliert bei 0,9771.


Märkte: Der Druck nimmt zu – Konjunktur erodiert

An den Finanzmärkten nimmt Risikoaversion zu. Die Einkaufsmanagerindices, die Freitag veröffentlicht wurden, weisen auf eine Konjunkturerosion in der westlichen Welt hin. Die Daten der Eurozone stachen negativ hervor (siehe Datenpotpourri).

Bezüglich Deutschlands wird der Chor der Warnenden lauter. Verbandschefs der Chemie und der Arbeitgeberverband Gesamtmetall verließen den Pfad der "politischen Korrektheit" und redeten Klartext. In der Tat geht es um die uns tragenden Strukturen, es geht um unser ökonomisches Rückgrat (siehe unten).

Auch die Entwicklungen in Russland tragen zu weiterer Verunsicherung bei. Am Wochenende eskalierte der Konflikt zwischen den Wagner-Truppen und der russischen Führung. Die sogenannte Meuterei endete innerhalb von 24 Stunden. Prigoschin geht nach Belarus. Es gibt Straffreiheit für Söldner. Viele Fragen sind offen.

Zusätzlich schwinden für die EU die Chancen auf das Handelsabkommen Mercosur. Das geplante Handelsabkommen zwischen der EU und der südamerikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Mercosur kann nach brasilianischer Darstellung wegen eines geforderten EU-Zusatzes zum Klimaschutz nicht umgesetzt werden. Brasiliens Präsident Lula Silva sagte, die geplante Ergänzung sei eine Drohung an sein Land.

An den Aktienmärkten baute sich weiter Druck auf. Das gilt sowohl für Europa als auch die US-Märkte. In Fernost kommt es in der Gesamtbetrachtung zu leichten Verlusten zum Zeitpunkt des Verfassens des Kommentars.

Der Anleihemarkt profitierte von der zunehmenden Risikoaversion. Anleihen waren gefragt. Die Rendite der 10-jährigen Bundesanleihe stellt sich heute früh auf 2,36% (Vortag 2,48%). 10-jährige US-Staatsanleihen bringen aktuell 3,72% (Vortag 3,78%).

Der Euro sank gegenüber dem USD am Freitag bis auf 1,0845 im europäischen Geschäft. Aktuell bewegt sich der EUR um die Marke von 1,09. Gold und Silber konnten etwas Boden gegenüber dem USD gutmachen.


Chemiebranche sieht Deindustrialisierung in Deutschland

Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) hat vor einer Abwanderung der Branche aus Deutschland gewarnt. Der Verbandschef Große Entrup sagte, man beobachte eine schleichende Deindustrialisierung. Er führte aus, Unternehmen investierten zwar noch, um ihre Anlagen zu erhalten, neue Investitionen fänden aber nicht mehr statt. Die Branche täte sich sehr schwer, an eine Zukunft des Standortes Deutschland zu glauben, es fehlte an internationaler Wettbewerbsfähigkeit.

Kommentar: Unsere Einlassungen wurden seit mehr als einem Jahr vor allen Dingen in Berlin ignoriert. Das Kind fällt derzeit in den Brunnen. Die fortgesetzte Ignoranz impliziert massive wirtschaftliche, gesellschaftspolitische und politische Risikocluster, deren Ausmaß für dieses Land historische Dimensionen bekommen kann, denn anders als z.B. in der Krise 1929/32 laufen Entscheidungsprozesse heute schneller ab. Die Reaktionsgeschwindigkeiten Dritter, die hier gegebene politische Schwäche auszunutzen, sind kürzer und signifikanter.

Der Verbandsmanager warnte davor, die Firmen gehen zu lassen. O-Ton: "Wenn wir anfangen, den Anfang der Wertschöpfungskette abzugeben, dann werden die Automobilindustrie und andere irgendwann folgen."

Kommentar: Große Entrup thematisiert einen möglichen wirtschaftlichen Kaskadeneffekt. Am Anfang ist es ein Rinnsal am Damm, dann bricht der Damm dynamisch. Deutschland hat als Investitionsstandort noch ein Ass im Ärmel. Wir haben das effizienteste Wirtschaftscluster, das heißt kurze und belastbare Zulieferwege und Zulieferalternativen. Wenn das verloren würde, nähme der Industrieexodus dynamische Formen an, damit der Wohlstandsexodus, der Sozialstaat stünde zur Disposition, damit die gesellschaftspolitische Stabilität gefolgt von politischer Instabilität..

Große Entrup führte weiter aus: Ursache für die schwierige Situation seien vor allem die hohen Energiepreise. Die Branche fordere deswegen einen vergünstigten Industriestrompreis. O-Ton: "Wenn Sie gegenrechnen, was wir volkswirtschaftlich verlieren, wenn nur 5% - 10% unserer Industrie abwandern, dann sei der Industriestrompreis ein "Must-have". Die Chemieindustrie beschäftige 500.000 Menschen, die im Schnitt 65.000 EUR verdienen und Steuern in Höhe von 20,5 Mrd. EUR zahlen. Berechnungen von Wirtschaftsminister Habeck zufolge koste der Industriestrompreis rund 4,5 Mrd. EUR im Jahr."

Kommentar: Wer rechnen kann, ist im Vorteil. Kann Berlin rechnen oder Profis einmal zuhören? Gesamtmetall-Chef: "Wenn es knapp wird, muss Industrie bedient werden!"

Der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall hat mit Blick auf die Energieversorgung eine Erhöhung der Bezugsmengen von Gas und zugleich einen Vorrang der Industrie bei möglichen Engpässen gefordert.

O-Ton: "Wenn es knapp wird, muss die Industrie bedient werden, damit die Menschen weiterhin einen Arbeitsplatz haben und Geld verdienen können. Bei einem harten Winter werde Deutschland höchstwahrscheinlich Versorgungsprobleme bekommen, dann müsse man sich über die Verteilung unterhalten darüber nachdenken, wie die Bezugsmengen von Gas weiter erhöht werden können."

Kommentar: Hier geht es um existentielle Fragen. Die Fragestellung ist zulässig. Was nützt dem Arbeitnehmer und Bürger eine kurzfristig warme Wohnung, wenn damit die Existenz zerstört wird und das Einkommen dauerhaft fehlt, damit dann auch Strom und Wärme? Wenn Strukturen (Kapitalstock) einmal gehen oder zerstört sind, ist deren Wiederaufbau zeitintensiv, sofern er dann (Vertrauen) überhaupt möglich ist.


Datenpotpourri der letzten 24 Handelsstunden:

Eurozone: Ernüchternde Erstschätzungen durch Einkaufsmanagerindices

Die Von HCOB ermittelten Einkaufsmanagerindices der Eurozone fielen negativer als erwartet aus. Gesamtwirtschaftlich (Composite Index) ergibt sich nur noch ein geringer Abstand zu der zwischen Wachstum und Kontraktion unterscheidender Marke von 50 Punkten.

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UK: Etwas weniger ernüchternde Erstschätzungen durch Einkaufsmanagerindices

Die Einzelhandelsumsätze nahmen per Berichtsmonat Mai im Monatsvergleich um 0,3% (Prognose -0,2%) nach zuvor 0,5% zu. Im Jahresvergleich kam es zu einem Rückgang um 2,1% (Prognose -2,6%) nach zuvor -3,4% (revidiert von -3,0%). Auch im UK kam es zu stärkeren Rückgängen als erwartet bei den Erstschätzungen der Einkaufsmanagerindices. Der Composite Index bewegt sich anders als in der Eurozone deutlicher oberhalb der Marke von 50 Punkten.

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USA: Composite Index hebt sich positiv von Eurozone und UK ab

In den USA ist die Konjunkturlage eingetrübter. Der Composite Index hebt sich aber im Vergleich zu der Eurozone markant und dem UK insignifikant positiv ab.

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Derzeit ergibt sich für das Währungspaar EUR/USD eine neutrale Haltung. Erst ein Ausbruch aus der Bandbreite 1,0650 – 1,1100 eröffnet neue Trendsignale.

Viel Erfolg!


© Folker Hellmeyer
Chefvolkswirt der Netfonds Gruppe



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