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Die neue Macht der "Mittelmächte"

06.06.2024  |  Vertrauliche Mitteilungen
In der sich abzeichnenden "neuen Weltordnung" gibt es nicht nur die beiden großen Blöcke des Westens bzw. des sinorussischen Bereichs (China und Russland), sondern auch eine ganze Reihe sogenannter "Mittelmächte, die allesamt zu den G20-Staaten zählen. Gemeint sind im Wesentlichen Indien, Indonesien, Südafrika, Saudi-Arabien, Brasilien und die Türkei, für die vor etwa zehn Jahren der Begriff "Global Swing States" geprägt wurde.

Je nach ihrer aktuellen Interessenlage pendelt die Außenpolitik dieser Länder nämlich einmal in Richtung Westen und ein anderes Mal in Richtung Osten. Inzwischen rücken aber immer mehr Beobachter wieder von dieser Bezeichnung ab und sprechen lieber von sogenannten "Mittelmächten“, weil man damit der Individualität und der steigenden politischen und wirtschaftlichen Bedeutung dieser sechs Länder besser gerecht wird. Die Metapher des Pendelns bleibt:

"Die Staaten sind flexibel in ihren Kooperationen, ihre Allianzen sind themenbasiert“, sagt beispielsweise die Geopolitik-Expertin Gesine Weber von der Denkfabrik "German Marshall Fund“ (GMF).

Die Bedeutung der neuen Mittelmächte steht seit längerem außer Frage. Sie haben ein gewisses ökonomisches Gewicht, verfügen über begehrte Rohstoffe und oft qualifizierte Arbeitskräfte. Ihre weltpolitische Bedeutung wurde nicht zuletzt im Rahmen des aktuellen Ukrainekrieges deutlich, als es vor allem die Mittelmächte waren, die bei verschiedenen UN-Generalversammlungen den von den westlichen Staaten geforderten Resolutionen gegen Russland nicht uneingeschränkt zustimmten.

Bezeichnenderweise gab bisher keine dieser Mittelmächte ihre Beziehungen zu Russland auf. Indien bezieht z.B. aktuell mehr Rohöl denn je aus Russland und kauft auch russische Rüstungsgüter.

Die Türkei wiederum hat nie damit aufgehört, Russland auch mit sogenannten "Dual-Use-Gütern“ zu beliefern, die ganz oder teilweise im zivilen wie auch im militärischen Bereich einsetzbar sind. Es ist nicht zuletzt dem mit den Mittelmächten getriebenen Handel zuzuschreiben, daß die russische Wirtschaft nicht so darbt, wie "der Westen“ dies mit den verhängten Sanktionsmaßnahmen angeblich zu erreichen trachtete.

Es sind diese "Swing States", die für eine neue und nicht mehr auf Jahre hinaus zementierte Machtverteilung sorgen werden. Dennoch scheint man in Europa und Nordamerika diese veränderten Perspektiven erst sehr langsam zu begreifen und anzuerkennen, wie Gesine Weber zu berichten weiß.

Schon ein Blick auf die hiesigen Denkfabriken, wo sich die Zahl der "Swing State"-Experten noch sehr in Grenzen hält, belegt dies. Und wenn man sich hier mit diesen Ländern befasst, dann meistens nur auf einer noch sehr regional beschränkten Ebene.

Dabei wäre es längst an der Zeit, die politischen Prioritäten der neuen Mittelmächte ernst zu nehmen und sich auf Augenhöhe zu begegnen. Dabei wird auch zu respektieren sein, daß es auf der Erde rund 200 verschiedene politische Systeme gibt – von der Basisdemokratie bis hin zur schlimmsten Diktatur. Es sind Systeme, die abseits moralischer Wertungen oft enger miteinander verbunden sind, als vielen von uns lieb ist.

Man nehme als Beispiel nur die Türkei mit dem zweifelhaften "Demokraten“ Recep Tayyip Erdogan an der Spitze, deren Beziehungen zur Europäischen Union derzeit weitgehend auf Eis liegen, während Europa und die USA gleichzeitig auf Ankaras Wohlwollen als NATO-Land und in Bezug auf den "Flüchtlings-Deal“ angewiesen bleiben.

Mit einem "themenbasierten Arbeiten“ sowohl mit dem Westen als auch mit dem Osten wahrt Erdogan seine Flexibilität auf der globalen Bühne, ohne im Inland von seinem autoritären Führungsstil abweichen zu müssen. Dies führte zu der aus rein westlicher Sicht paradoxen Situation, in der das NATO-Land Türkei gleichzeitig Rüstungsgeschäfte mit Russland abwickeln konnte.

Zusätzlichen Rückenwind erlangen die Mittelmächte nun noch durch das "vom Westen“ propagierte De-Risking gegenüber der Volksrepublik China. Wer im Zuge dieser Strategie seine Abhängigkeit von China verringern möchte, kommt um einen Blick auf z.B. Indien und Indonesien nicht mehr herum. Je unabhängiger man von China werden möchte, desto interessanter wird das weltweit bevölkerungsreichste Land Indien.

Es ist eine für die Mittelmächte recht bequeme Situation, bei der sie je nach ihrer aktuellen Interessenlage die Wahl zwischen verschiedenen Partnern haben werden. Das alte Ost-West-Denken verliert damit an Bedeutung und die Geopolitik wird immer unberechenbarer.


© Vertrauliche Mitteilungen
Auszug aus den "Vertrauliche Mitteilungen", Nr. 4599



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