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Europa: Mit einem Bein im Grab

18.08.2015  |  John Mauldin
“Ich bin mir zudem sicher, dass uns der Euro zwingen wird, eine ganze Reihe neuer wirtschaftspolitischer Instrumente einzuführen. So etwas heute vorzuschlagen, wäre politisch unmöglich. Doch eines Tages wird es eine Krise geben, und dann werden neue Instrumente entstehen.“ Romano Prodi, Präsident der EU-Kommission, Dezember 2001


Prodi und andere führende Politiker, die den Euro formten, wussten, was sie taten. Sie wussten, dass eine Krise kommen würde, so wie es auch Milton Friedman und viele andere vorhergesagt hatten.

Im Grunde ist es unvorstellbar, dass diese überaus scharfsinnigen Männer nicht erkannt haben sollten, dass die monetäre Einheit ohne fiskalische Vereinigung zur existentiellen Krise führen würde. Sie akzeptierten diese Möglichkeit als Preis für die europäische Einheit. Jetzt ist die Zeit der Abrechnung gekommen, und die Rechnung fällt deutlich höher aus, als diese Männer womöglich erwartet hatten.

Zeit, so ein altes Sprichwort, ist Geld. Und es gibt verschiedene Wege zur Lösung. Letzte Woche bekamen wir dafür ein interessantes Rechenbeispiel geboten.

Europa und die Eurozone machten direkt am Abgrund kehrt und rechneten noch einmal nach. Wie ließe sich der ausausweichliche Moment aufschieben, an dem auch der Letzte erkannt hat, dass Griechenland seine Schulden nicht zurückzahlen kann? Als man Griechenland erlaubte, mehr Geld zu leihen, lieh man sich im Grunde nur selbst ein wenig mehr Zeit. Geld übrigens, das, wie alle anderen griechischen Schulden, nicht zurückgezahlt werden wird.

Auf meinem Recherche-Stapel dürften vielleicht 40 Artikel und ca. 100 Kommentarseiten zum Thema Griechenland und Eurozone liegen, aus allen Ecken des politischen Spektrums. Ich könnte hier problemlos einen sehr langen Artikel schreiben. Allerdings haben wir ein schönes Sommerwochenende und ich bin eher in der Laune für einen kurzen Artikel, was mir viele meiner Leser danken werden.

Anstatt auf der Suche nach Finanzindikatoren tief ins Unterholz vorzustoßen, wollen wir lieber einen Blick auf einen wichtigen, nicht-finanziellen Faktor werfen, der aber, so denke ich, die Zukunft Europa prägen wird. Ginge es nur ums Geld, dann hätte wohl Prodi Recht: Man würde ganz einfach neue wirtschaftspolitische Instrumente schaffen. Welche auch immer.

Was wir in den vergangenen Monaten beobachten konnten, ist symptomatisch für ein Problem, das viel tiefer reicht, als dass es sich mit ein paar Billionen Euros behandeln ließe. […]


Je mehr sich die Dinge ändern …

Vor fast vier Jahren war in einem Bloomberg-Artikel unter der Überschrift "Germany Said to Ready Plan to Help Banks If Greece Defaults" folgender Absatz zu lesen:

Wie einem gestern veröffentlichten Parlamentsbericht zu entnehmen ist, sagte der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble während eines Treffens hinter verschlossen Türen am 7.September [2011] in Berlin gegenüber Abgeordneten: “Griechenland ist auf Messers Schneide“. Sollte die griechische Regierung die an die Finanzhilfen gekoppelten Bedingungen nicht umsetzen können, sei es “an Griechenland, für Finanzierung zu sorgen, ohne Hilfe der Eurozone“, so Schäuble später in einer Rede vor dem Parlament.

In den letzten Wochen zeigte Schäuble erneut diese unnachgiebige Haltung. Er brachte zudem die Möglichkeit ins Spiel, dass Griechenland eine “Auszeit“ nehmen könne. Was immer das auch sein soll (und nur die Götter wissen, wie so etwas fünf Jahre lang funktionieren sollte).

Die Berichte vom Abschlusstreffen, im Vorfeld der Einigung mit Griechenland, machen deutlich, dass es in der Europäischen Union nur wenig Solidarität gibt. Die Financial Times kommentierte dieses Treffen ungewöhnlich direkt:

Nach fast neun Stunden ergebnisloser Diskussionen kamen die Finanzminister der Eurozone am Samstag zu einem festen Entschluss: Grexit - der Austritt Griechenlands aus der Eurozone - könnte, unter den verbleibenden Optionen, die am wenigsten schlechte sein.

Michel Sapin, der französische Finanzminister, schlug vor, man sollte "jetzt alles rauslassen und sich gegenseitig die Wahrheit sagen", um Druck abzulassen. Viele im Raum nahmen diese Gelegenheit nur allzu gerne wahr.

Nach Aussagen zweier Teilnehmer wetterte der finnische Finanzminister Alexander Stubb gegen die Griechen, sie seien schon seit einem halben Jahrhundert reformunfähig. Als die Schuldzuweisungen durch den Raum flogen, blieb der griechische Finanzminister Euclid Tsakalotos eigenartig kleinlaut.

Das Gerangel fand seinen Höhepunkt, als Wolfang Schäuble, der deutsche Finanzminister, welcher sich für einen vorübergehenden Grexit ausgesprochen hatte, von Mario Draghi, dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank, zurechtgewiesen wurde.

Schäuble, der sich irgendwann bevormundet fühlte, entgegnete dem EZB-Chef daraufhin wuttobend, dass er “kein Idiot" sei. Für den Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem war dieser Kommentar dann doch einer zu viel; er vertagte die Sitzung auf den folgenden Morgen.

Nachdem auch am Samstag keine vollständige Einigung erzielt werden konnte, übergab die Eurogruppe dann am Sonntag an die Staatoberhäupter der Eurozone, welche ihrerseits zu einer nächtlichen Sitzung schritten.“



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