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Europa: Mit einem Bein im Grab

18.08.2015  |  John Mauldin
- Seite 4 -
Doch dieses Geld muss eines Tages beglichen werden. Ansonsten wird die EZB eine gewaltige Summe drucken müssen. Oder aber für noch größere Beträge garantieren, um all diese Schulden zu absorbieren.

Eine europäische Fiskalunion würde voraussetzen, dass die einzelnen Nationalstaaten ihre haushaltspolitische Souveränität aufgeben. Und das soll mal jemand den europäischen Wählern erklären. Vielleicht würde eine größere Anzahl kleinerer Staaten noch mitmachen. Doch wer kann ernsthaft Frankreich in einer solchen Union sehen?

Marine Le Pen kommt heute schon in den Umfragen auf geschätzte 40% der Wählerstimmen. Versuche einmal einer, Frankreich zur Übertragung des nationalen Budgetrechts auf Brüssel zu bewegen; Le Pens Wahlergebnisse werden es ihm danken.

Mein Freund Eddy Markus von ECR Research und sein Team bieten eine gute Zusammenfassung, was diese Entwicklungen für die Zukunft Europas bedeuten könnten. […]

“Auch wenn Griechenland vielleicht gerade vorm Absturz bewahrt wurde, so bleiben die fundamentalen Schwächen der Eurozone und der EU weiterhin bestehen. Wir sind dennoch der Meinung, dass sich Europa auf absehbare Zukunft nicht auflösen wird.

Immerhin ist das EU-Projekt von höchster Bedeutung für die politischen Spitzen Europas. Europa hat die Wirtschaft angekurbelt und die Wahrscheinlichkeit eines Krieges zwischen EU-Staaten extrem sinken lassen, ehemalige kommunistische Staaten funktionieren heute als Demokratien und in der ganzen Welt steht Europa für etwas. All das ist nicht vergessen und passé. Die europäischen Spitzenpolitiker werden dieses Projekt nicht so einfach abbrechen.

Andererseits sind Eurozone und EU auch nicht mehr gleichbedeutend mit Einheit, Wohlstand, Demokratie, Solidarität und gegenseitigem Respekt. Unterm Strich müsste das Projekt grundlegend überholt werden, um den Verfallsprozess zu stoppen. Dass es so weit kommt, ist aber unwahrscheinlich. Immerhin fehlt es an visionären politischen Spitzen, die weit ausgedehnten Strukturen der EU sind zudem unglaublich komplex und häufig auch starr. Reformen stauen sich schon seit Jahren.

Das wahrscheinlichste Szenario ist, dass SICH DIE EUROZONE UND DIE EU WEITER DURCHWURSTELN werden. Gleichzeitig besteht ständig das Risiko einer Auflösung sowie abnehmender globaler Geltung. Europa muss zudem die disparaten ökonomischen Standpunkte überbrücken, die im Norden bzw. im Süden des Kontinents herrschen. Ganz zu schweigen von den Problemfeldern eines wachsenden Populismus und einer zunehmenden Dominanz Deutschlands. Ein solches Klima scheint der Stärke des Euro nicht förderlich.

Die geopolitische Analyse der Zukunft Europas untermauert unsere ökonomische Einschätzung, dass sich der Euro mittel- bis langfristig nur schwer gegen den Dollar behaupten wird können.“



Bring kein Messer zur Schießerei!

Über die nächsten Jahre hinweg und vielleicht bis zum Ende des Jahrzehnts wird sich Europa in der Tat weiter “durchwursteln“. Die EZB wird versuchen, alle anfallenden Probleme mit Liquiditätsschöpfung zu überdecken. In Griechenland wird es erneut kritisch werden - wenn nicht schon nächstes Jahr, dann im darauf folgenden.

Sollte Schäuble immer noch im Amt sein, wird er erneut sagen, die Griechen müssen für Eigenfinanzierung sorgen. Dann wird es eine weitere Runde endloser Treffen mit viel Geschrei und Schuldzuweisungen geben, weil alle erneut auf Zeit zu spielen möchten. Das wird solange weitergehen, bis das eine oder andere Land schließlich am Ende der Geduld ist und sagt: "Das war's für uns, wir sind draußen."

Dies wird aber nicht in der letzten Minute oder aus heiterem Himmel kommen. Allen Ländern, die darüber nachdenken, eines Tages vielleicht aus dem Euro auszusteigen, hat das Beispiel Griechenland zumindest eines gezeigt: Wer aussteigen möchte, muss vorher planen. Bis zur letzten Minute zu warten, ist ein vollkommenes, vollständiges, totales, absolutes (bitte eigenes Wort einsetzen) Fiasko.

Hätte Tsipras mehr als nur bluffen wollen, hätte er schon die staatliche Druckerei kontaktiert und den Druck seiner neuen Währung abgesprochen. Er hätte echte Ausstiegspläne schmieden sollen. Er hätte des Wählern sagen sollen, er sei für ein Ausscheiden aus der Eurozone vorbereitet. Hätte er das getan, hätte er natürlich nicht gewählt werden können.

Also setzte er sich mit zwei Zweien an den Pokertisch und versuchte sich durchzubluffen. Ich kenne die Pokerregeln und ich habe einige Freude, die richtig pokern können. Trotzdem hätte ich wahrscheinlich nicht den leisesten Hauch einer Chance, bei der World Series of Poker anzutreten und nicht aus dem Raum gefegt zu werden.

Vielleicht hätte ich ein paar Runden lang Glück gehabt, aber mit Glück gewinnt man eben kein Tournier. Ganz sicher nicht, wenn man allein mit Bluffs durchkommen möchte. Deutschland wusste, dass Tsipras letztendlich bluffte; zudem hatte man alle guten Karten in der Hand.

Tsipras brach die erste Regel der Politik: Bring kein Messer zu einer Schießerei! Dieses Mal wurde die Ökonomie von der Politik vernichtend geschlagen. Aber langfristig wette ich, dass die Ökonomie gewinnt.

Irgendwann wird ein Land aus der Herde ausbrechen und dann werden wir wieder ein Europa der vielen Währungen sehen. Oder: Aus irgendeinem Grund einigen sich die Länder auf die Aufgabe ihrer haushaltspolitischen Souveränität; dann sind auch die eigenen Pensionen und Sozialleistungen in Gefahr. Wie dem auch sei: Die europäischen Politiker haben harte Zeiten vor sich.


© John Mauldin

Dieser Artikel wurde am 25. Juli 2015 auf www.forbes.com veröffentlicht und exklusiv für GoldSeiten übersetzt.



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