Europa: Mit einem Bein im Grab
18.08.2015 | John Mauldin
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Das Treffen endete damit, dass Angela Merkel und Alexis Tsipras 14 Stunden lang stritten und schließlich aufgaben. Mit den Worten: “Tut mir leid. Sie können diesen Raum jetzt unmöglich verlassen!“ zwang Donald Tusk, der Präsident des Europäischen Rates (und ehemaliger Premierminister Polens) beide wieder zurück an den Verhandlungstisch. Im Grunde stritt man sich darüber, auf welche Art und Weise Griechenland gedemütigt werde.
Letzten Endes musste Griechenland seine Souveränität aufgeben und ist jetzt europäisches Protektorat. Immerhin war es der mehrheitliche Beschluss des griechischen Parlaments gewesen, eben nicht auszutreten und gemeinsam in den Abgrund zu schreiten.
Nach allem, was ich in der letzten Woche zu diesem Thema las, und nach einer langen Unterhaltung mit George Friedman von Stratfor, möchte ich ein paar Gedanken zum Thema äußern.
Europa als Freihandelszone ist im Großen und Ganzen funktionsfähig. Sicher nicht perfekt (keine Freihandelszone ist das), aber weitaus besser als die Alternative. Die Eurozone hingegen ist für die meisten ihrer Mitglieder eine Katastrophe gewesen. Für Deutschland aber ein Triumpf.
Das deutsche BIP besteht heute zu fast 50 % aus Exporten, wovon wiederum die Hälfte in die Länder der europäischen Union geht. Mit dem Euro, der insgesamt deutlich schwächer war, als die Deutsche Mark gewesen wäre, konnte Deutschland gedeihen. Die Mitglieder der südlichen Eurozone (einschließlich Frankreich) leiden hingegen unter einer Währung, die deutlich stärker ist, als sie verdienen.
George Friedman behauptet (recht herausfordernd), die Deutschen würden bluffen. Die Vorstellung, dass Griechenland die Eurozone verlassen könnte, sorge bei den Deutschen für Panik. Denn jeder Ausstieg eines Mitgliedslandes würde Deutschlands Exportmarktanteil aushöhlen.
Ich gebe George Friedman dahingehend Recht, dass es aktuell ein Europa der zwei Geschwindigkeiten gibt, wo aber eine einzige Geldpolitik für sehr unterschiedliche Wirtschaftsräume funktionieren soll. Bei einer Aufteilung der Eurozone in verschiedene Währungsräume, würde die Währung in der Zone mit Deutschland kurz danach gegenüber den südlichen Währungsräumen aufwerten, vielleicht sogar drastisch.
Die Vorstellung von einem vereinten Europa, das mehr ist als nur eine Handelszone, ist eine Vorstellung für Euroromantiker. Sie ist eine politische Vision, keine ökonomische. Bei diesem Treffen Mitte Juli wurde die wirtschaftliche Realität von der politischen an die Wand gedrückt.
Eigentlich glaubt keiner mehr, dass Griechenland seine angesammelten Schulden tatsächlich noch zurückzahlen kann. Griechenland wurde erneut dazu gezwungen, Vereinbarungen zu akzeptieren, mit denen das Land mehr Geld geliehen bekommt, das es nicht zurückzahlen kann; und im gleichen Zug werden der griechischen Wirtschaft die Fußfesseln anlegt.
Warum sollten die Griechen das akzeptieren - schließlich hatte sich das griechische Volk gerade erst mit überwältigender Mehrheit dafür ausgesprochen, die früheren Vereinbarungen - und zwar zu etwas besseren Konditionen - auszuschlagen?
Der Grund ist u.a. folgender: Würden die Griechen zur Drachme zurückkehren und die Schulden Schulden sein lassen, so würden auch alle Renten in Drachmen fällig werden. Für die Rentenempfänger würde der Grexit fast die Halbierung des Lebensstils bedeuten, und zwar unmittelbar. Was immer man über griechische Verhältnisse denken mag, aber üppig sind die griechischen Renten nicht gerade.
Griechenland muss fast alle Medikamente und Sanitätsartikel im Ausland einkaufen. Dasselbe gilt für den kompletten Energiebedarf sowie alle großen oder kleinen Sachen, um Maschinen und Unternehmen am Laufen halten. In Gegensatz zu Deutschland machen die Exporte Griechenlands nur 15% der Gesamtwirtschaftsleistung aus.
Im medizinischen Bereich hat Griechenland schon jetzt den kritischen Punkt erreicht; die meisten Pharma- und medizintechnischen Unternehmen rechnen mit den griechischen Krankenhäusern nur noch direkt auf Tagesbasis ab. Den Krankenhäusern fehlt es am Elementarsten, wie Tupfer und Bandagen, ganz zu schweigen von lebensrettenden Medikamenten.
Würde Griechenland aus der Eurozone austreten, wären auch die griechischen Banken auf einen Schlag zerstört. Die Geschäftstätigkeit würde sofort zum Stillstand kommen, eine unmittelbare Einführung der neuen Drachme wäre somit nicht ohne Weiteres möglich. Für eine solche Entscheidung gäbe es auch noch keinen Mechanismus.
Die Dinge würden sich am Ende sicher irgendwie regeln. Doch während der monatelangen Übergangsphase hätten wir die erste echte humanitäre Krise in einem entwickelten Land im Nachkriegseuropa.
Tsipras trat sein Amt mit einer politischen Naivität an, die nur ein neuer Politiker an den Tag legen kann. Er war der Meinung, dass die Deutschen allein schon aus Angst vor einem Auseinanderbrechen der Eurozone zucken würden. Da hatte er zu hoch gepokert. Jetzt ist er ein Zombiepolitiker.
In Kürze wird es Neuwahlen in Griechenland geben. Dass es der griechischen Wirtschaft in den nächsten Monaten besser gehen wird, ist ausgeschlossen. Die Wähler werden sich wohl nach einer anderen Option umschauen.
Obwohl ich wenig Sympathie für radikale Sozialisten wie Tsipras habe, so muss ich gestehen, dass er mir ein wenig Leid tut. Er war in einer No-Win-Situation. Die griechischen Wähler wollten die Eurozone nicht verlassen. Sie wollten allerdings auch nicht die Konsequenzen der Austeritätspolitik akzeptieren, die von Europa (sprich Deutschland) durchgesetzt wurde.