Das neue Zinsexperiment der Zentralbanken
19.09.2016 | Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Zentralbanken können die Zinsen kontrollierenIndem Zentralbanken Schuldpapiere mit langen Laufzeiten kaufen, können sie ebenfalls deren Rendite mehr oder weniger genau bestimmen. Nehmen wir an, die Zentralbank will die Rendite der Schuldpapiere gegenüber der aktuell im Markt vorherrschenden Rendite absenken. Dazu kauft sie zusätzliche Papiere am Markt. Dadurch steigen deren Kurse und folglich sinkt die Rendite. Weil die Zentralbank unbegrenzt neues Geld schaffen kann, ist sie auch in der Lage, den von ihr gewünschten Höchstzins durchzusetzen.
Nun nehmen wir an, die Zentralbank will den langfristigen Zins auf ein höheres Niveau als das am Markt vorherrschende befördern. Dazu kann sie entweder ihre eigene Nachfrage zurückführen. Das Ergebnis wären niedrigere Kurse und höhere Renditen - und die Basisgeldmenge wächst nicht weiter an. Alternativ kann die Zentralbank Schuldpapiere, die sie in ihrem Portfolio hält, verkaufen. Indem sie das Angebot am Markt erhöht, fallen die Kurse und steigen die Renditen - und die Basisgeldmenge wird verknappt.
Die Überlegungen zeigen: Die Zentralbanken können die nominalen Langfristzinsen kontrollieren, jeden gewünschten Zins durchsetzen. Wie lässt sich diese Geldpolitik verbinden mit dem Ziel, für eine etwas höhere Inflation zu sorgen?
Nehmen wir an, die Marktrenditen liegen bei 1 Prozent, und die Zentralbank will sie auf 2 Prozent anheben (und dort fixieren). Sie verkündet öffentlich ein Renditeziel von 2 Prozent. Die Marktakteure müssen damit rechnen, dass die Kurse ihrer Wertpapiere fallen, haben also einen großen Anreiz, ihre Papiere (sofort) an die Zentralbank zu verkaufen. In einem solchen Fall, monetisiert die Zentralbank die Schulden bei einem nunmehr höheren Marktzins.
Alternativ kann die Zentralbank den Marktzins auch ansteigen lassen, indem sie (i) aufhört Schulden zu kaufen oder (ii) Schuldpapiere aus ihrem Portfolio auf den Markt wirft. Die Geldmenge wächst dann nicht mehr, beziehungsweise sie beginnt zu schrumpfen. Um das zu verhindern - dass das Geldmengenwachstum stagniert beziehungsweise negativ wird -, wird die Zentralbank zu weiteren Maßnahmen greifen müssen.
Ist Inflation überhaupt noch möglich?
Inflation ist - um ein bekanntes Diktum des amerikanischen Ökonomen Milton Friedman (1912 - 2006) zu bemühen, immer und überall ein monetäres Phänomen. Die Zentralbanken haben das Geldproduktionsmonopol inne. Sie können im Prinzip die Geldmenge jederzeit in jeder beliebigen Menge ausweiten. So gesehen ist es mehr als verwunderlich, dass es Zweifel gibt, die Inflation "sei so gut wie tot". Wie lässt sich in der Praxis die Inflation erhöhen?
Die Zentralbank kann verkünden, die angestrebte Inflation von jährlich 2 Prozent auf, sagen wir 4 Prozent anzuheben. Ist eine solche Verkündung "glaubwürdig", würden beispielsweise die Rohstoffpreise anziehen und über "Kostenschubeffekte" die Teuerungsraten anziehen lassen. Die Marktakteure würden zum Beispiel in ihren Lohn- und Mietverträgen fortan eine höhere Inflation zugrunde legen.
Das wiederum treibt die nominalen Transaktionsvolumen in die Höhe - und zur Finanzierung steigt die volkswirtschaftliche Geldnachfrage. Das entsprechende Geldangebot können die Geschäftsbanken per Kredit bereitstellen: Sie vergeben zusätzliche Kredite an Private und Unternehmen, die die Banken durch niedrig verzinsliche Kredite refinanzieren können, bereitgestellt von den Zentralbanken. Auf diese Weise steigt die Geldmenge in der Volkswirtschaft.
Die Zentralbanken können auch "Helikopter-Geld" ausgeben: Staaten, Private und Unternehmen erhalten "für umsonst" neu geschaffenes Geld, bis die Inflation auf die gewünschte höhere Rate ansteigt. Das würde allerdings das Geschäftsmodell der Banken - die Kreditvergabe - in Frage stellen: Wer braucht noch Bankkredite, wenn die Zentralbank neu geschaffenes Geld verschenkt?
Denkbar wäre daher (in der ersten Stufe) die Ausgabe von "Helikopter-Geld", das den Banken zur Verfügung gestellt wird, und das sie zur Kreditvergabe verwenden können. Kommt die Geldschöpfung durch Kreditvergabe nicht in Gang, kann (in der zweiten Stufe) die Ausgabe von "Helikopter-Geld" direkt an Unternehmen, Konsumenten und Staaten erfolgen.
Es kann anders kommen, als es geplant wird
Die bisherigen Überlegungen waren - das sollte deutlich geworden sein - "technischer Art". Sie haben gezeigt, dass (1) auf dem Papier die Zentralbanken die nominalen Zinsen auf das politisch gewünschte Niveau schleusen können; und (2) dass sie die Geldmengen ausweiten und damit für Inflation sorgen können.
Die Geldpolitik der Zinskontrolle - die den nominalen Zins fixiert und nach Abzug der Inflation negativ werden lässt - wird jedoch absehbar zu Problemen führen. Sie setzt nämlich die Fähigkeit der Märkte außer Kraft, das Investitionsvolumen mit dem verfügbaren Sparangebot in Einklang zu bringen. Kapitalfehllenkung und Finanz- und Wirtschaftskrisen werden die Folge sein.
Erkennen Sparer und Investoren, dass sie durch einen negativen Zins geprellt werden sollen, verpufft die "Geldillusion". Anleger werden ihre Bankguthaben und Schuldpapiere abstoßen. Droht der Verkaufsdruck, die Kapitalmarktrenditen anzuheben (und zwar stärker als politisch gewünscht), dann muss die Zentralbank die Papiere aufkaufen gegen Ausgabe von neuem Geld.
Das wiederum kann zu einem sich selbst verstärkenden Prozess führen: Die ansteigende Geldmenge schürt Inflationserwartungen, die wiederum dazu führen, dass Anleger ihre Schuldpapiere auf den Markt schmeißen. Die Zentralbank kauft in kurzer Zeit sehr viele Papiere und vermehrt die Geldmenge. Das ganze kann in eine Hoch- oder, im Extremfall, in einer Hyperinflation münden.