Der Versuch, der Niedrigzinsfalle zu entkommen
20.03.2017 | Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Denn die Staatsschulden sind immer weiter gestiegen: Sie sind von etwa 30 Prozent des Bruttosozialproduktes im Jahr 1980 auf nunmehr 105 Prozent angeschwollen. Die sinkenden Zinsen haben es dabei ermöglicht, dass die Zinszahlungen (im Verhältnis zur US-Wirtschaftsleistung) nicht angestiegen, sondern auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau geblieben sind. Mit anderen Worten: Die Politik der Zinssenkungen hat die Schuldenwirtschaft überhaupt erst möglich gemacht. Und hat eine Volkswirtschaft sich erst einmal auf das Verschuldungskarussell begeben, wird die Zentralbank den Zins im Zeitablauf immer weiter absenken (müssen).Quelle: Thomson Financial
In der Zinsfalle
Diese Einsicht soll anhand der nachstehenden Tabelle noch einmal verdeutlicht werden. Die Tabelle zeigt für verschiedene Verschuldungsstände und Zinssätze die jeweils resultierende Zinsbelastung. Beträgt die Verschuldung zum Beispiel 100 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP), und liegt der Zins bei 4 Prozent, so beläuft sich die Zinslast auf 4 Prozent des BIP.
Zinskosten in Abhängigkeit von Schuldenlast und Kreditzins in Prozent des Bruttoinlandsproduktes
Quelle: Eigene Berechnungen
Was passiert, wenn Staaten sich immer weiter verschulden, ist absehbar: Sie sorgen dafür, dass ihre Zentralbank den Zins absenkt, immer weiter absenkt, damit die Zinszahlungen pro BIP (die ja den Haushalt der jeweiligen Regierung belasten) möglich niedrig bleiben beziehungsweise abgesenkt werden. In der Tabelle "wandert" das "Schulden-Zins-Menü" von Nordwest nach Südost.
Exkurs: Über die Schuldenquote und den "Zinstrick"
Nicht erschrecken, hier eine Formel, aber eine sehr einfache, wie Sie gleich sehen werden. Die Staatsschuldenquote (also Schulden dividiert durch das Bruttoinlandsprodukt (BIP)), sq, erklärt sich wie folgt:
wobei pd = Primärdefizitquote (also Staatsausgaben minus Staatseinnahmen ohne Berücksichtigung der Zinszahlungen, und dieser Betrag geteilt durch das BIP), i =Zins, g = Wirtschaftswachstum und t steht für das betreffende Jahr. Man erkennt: Wenn der Zins höher ist als das Wachstum (also gilt i > g), dann steigt die Schuldenquote im Zeitablauf an (soweit alle anderen Größen unverändert bleiben).
Genau dieser Effekt wurde von den Geldpolitiken in den letzten Jahren "bekämpft": Sie haben den Nominalzins unter die Wachstumsrate der Volkswirtschaften gedrückt (es gilt derzeit als i < g), und dadurch wurde der Anstieg der Schuldenquote gebremst (meist jedoch nicht reduziert, weil neue Defizite gemacht wurden). Würde der Zins steigen, so würde der Druck auf die Haushalte zu sparen zunehmen. Ohne Einsparungen würde die Schuldenquote wieder (rasch) ansteigen.
Ad (2): Abhängigkeit von niedrigen Zinsen. - Zusätzlich zum Schuldenproblem gibt es noch einen weiteren Grund, warum das Anheben der Zinsen ein politisch unliebsames Unterfangen ist: Die volkswirtschaftliche Produktions- und Beschäftigungsstruktur hat sich längst an die niedrigen Zinsen "gewöhnt", und sie gerät unter Druck, sobald die Zinsen ansteigen. Warum ist das so? Wenn die Zinsen künstlich abgesenkt werden, setzen die Unternehmen vor allem kapitalintensive Investitionsprojekte in Gang: Investitionen, deren Fertigstellung eine ganze Weile dauert. Beispiel: Wolkenkratzer-Bau.
Wenn plötzlich die Zinsen steigen, geschieht folgendes: Die Unternehmer bemerken, dass sich ihre begonnenen Investitionen bei höheren Zins nicht mehr rechnen. Sie stoppen daraufhin die neu angefangenen Investitionen und liquidieren sie. Die Arbeitsplätze, die mit den neuen Investitionen zunächst geschaffen wurden, gehen wieder verloren. Vor allem die Unternehmen, die kapitalintensiv produzieren, erleiden besonders starke Verluste. Denn die Barwerte ihrer Investitionsprojekte, die eine Amortisationsphase haben, verlieren besonders stark.