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Die trügerische Ruhe auf den Finanzmärkten

13.11.2017  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
- Seite 2 -
Kritische Rolle des Zinses

Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen muss man zum Schluss gelangen, dass die Zentralbanken mit ihrer Geldpolitik der extrem niedrigen Zinsen und der Verringerung der Risikoprämien für eine trügerische Ruhe auf den Finanzmärkten gesorgt haben. Das lässt sich illustrieren. Beispielsweise ist der "Stress" in den Finanzmärkten auf dem niedrigsten Stand seit Mitte der 1990er Jahre angekommen (Abb. 1 (a)). Die erwarteten Aktienkursschwankungen sind auf das geringste Niveau seit Anfang 1990 gefallen, während gleichzeitig die Aktienmarktbewertung wieder merklich zugenommen hat (Abb. 1 (b)).

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Quelle: Thomson Financial; eigene Berechnungen
(1) Steigt (fällt) die Linie, so nimmt der "Stress" in den Finanzmärkten zu (ab). (2) Steht für die erwartete Aktienkursschwankung (aus Optionen ermittelt).


Man könnte nun vielleicht meinen, dass die trügerische Ruhe von der US-amerikanischen Zentralbank (Fed) gestört wird. Schließlich ist sie dabei, die Zinsen anzuheben, die Liquiditätskonditionen zu verknappen. Zwar steigen die US-Kurzfristzinsen bereits seit Anfang 2014, gleichzeitig sind jedoch die Langfristzinsen leicht gefallen (Abb. 2). Wie erklärt sich das? Vermutlich rechnen die Finanzmärkte damit, dass die Leitzinserhöhungen der Fed in ihrem Ausmaß relativ begrenzt bleiben, beziehungsweise dass sie früher oder später vielleicht sogar zurückgenommen werden. Bei einer solchen Erwartungshaltung schlägt die Erhöhung der Kurzfristzinsen nicht auf die Langfristzinsen durch.

In jedem Falle scheinen die Finanzmärkte bislang nicht von einer "Zinsnormalisierung" auszugehen. Doch sollte die Fed die Zinsen jedoch wider Erwarten zu stark anheben, wäre es vermutlich schnell vorbei mit dem Aufschwung in den USA und in vielen anderen Volkswirtschaften der Welt. Die Weltwirtschaft, das Weltfinanzsystem hängt - im Grunde stärker denn je - an der Zinspolitik der Fed. Sie produziert die Weltleitwährung, den US-Dollar, und sie bestimmt damit in entscheidendem Maße die Zins- und Liquiditätskonditionen auf den Finanzmärkten weltweit. Und die Geschehnisse auf den Finanzmärkten haben bekanntlich Rückwirkungen auf Richtung und Stärke der Konjunkturverläufe.

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Quelle: Thomson Financial


Bislang haben die Finanzmärkte den Kurswechsel der Fed gut verkraftet, sehen keinen Grund, von ihrer Jubelstimmung abzulassen: Trotz steigender Kurzfristzinsen und einem Rückgang der Basisgeldmenge in den Händen der US-Banken sind die Sorgen vor Kreditausfällen (die sich in den Preisen für Kreditausfallversicherungen widerspiegeln) geschwunden; und auch die Aktienmärkte haben ihren Höhenflug unbekümmert fortgesetzt. Der Grund liegt auf der Hand: Die Finanzmärkte rechnen damit, dass die Fed auch künftig ihr "Sicherheitsnetz" aufgespannt lässt, dass sie, sollte die Konjunktur nachgeben und/oder das Finanzsystem in Bedrängnis geraten, zurückschaltet in ihre extrem expansive Geldpolitik.


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