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Die Umwertung aller Werte

01.03.2019  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
- Seite 3 -
Verhaltenseffekte

Obwohl steigende Vermögenspreise bei vielen Freude auslösen, so ist das volkswirtschaftlich gesehen meist nicht gerechtfertigt - und schon gar nicht, wenn künstlich gesenkte Zinsen dabei im Spiel sind. Es kommt dann nämlich zu vielen Fehlentwicklungen.

Wenn die niedrigen Zinsen zum Beispiel die Preise für Vermögensgüter aufblähen, fühlen sich die Besitzer von zum Beispiel Immobilien "reicher". Ihre Kreditqualität verbessert sich. Das wiederum ermuntert sie, zusätzliche, auf Pump finanzierte Ausgaben zu tätigen. Steigende Häuserpreise verlocken zudem Unternehmer dazu, das Häuserangebot auszuweiten - ein "Bau-Boom" wird angeregt. Die dafür benötigten Ressourcen werden verstärkt von anderen, eigentlich dringlicheren Verwendungen abgezogen.

Die Boom-Wirkung wird verstärkt, wenn sich Häuserbau und Häuserkauf bequem mit niedrigen Kreditzinsen finanzieren lassen. Bei laxer Geldpolitik werden auch die Banken lax in der Kreditvergabe sein - und die Bonitätsanforderungen, die sie an den Kreditnehmer stellen, nehmen ab. Gleichzeitig werden Kreditnehmer "übermütig": Sie kalkulieren ihre Kredittragfähigkeit auf Basis der niedrigen Zinsen, und das ermuntert sie, sich hoch zu verschulden. Ein böses Erwachsen droht für Kreditnehmer und Kreditgeber, sollten die Zinsen steigen.

Die niedrigen Kreditzinsen setzen nicht zuletzt auch Investoren unter Druck. Sie werden zusehends bereit, auch Anleihen von schlechten Schuldnern zu niedrigen Zinsen zu erwerben. Sie werden dann aber für das eingegangene Risiko nicht mehr ausreichend entlohnt, und das kann, sollten Schuldner ins Straucheln kommen, zu Problemen führen. Insbesondere gilt das für die Banken: Kreditausfälle schmälern das Eigenkapital und schränken dadurch die Kreditvergabefähigkeit der Banken ein. Das kann, wie 2008/2009 nur allzu deutlich wurde, sprichwörtlich die gesamte Volkswirtschaft in den Abgrund reißen.


Wirkung auf die Werte

Die künstlich niedrigen Zinsen zeigen sich in einem Preiseffekt: Die Preise fallen höher aus, als sie ohne künstlich gesenkte Zinsen ausfallen würden. Der Preiseffekt kann zwei Formen haben. Erstens: Die Güterpreise steigen tatsächlich und absolut an. Oder zweitens: Die Güterpreise bleiben unverändert oder sinken, bleiben aber dennoch höher im Vergleich zu einer Situation, in der die Zinsen nicht künstlich gedrückt worden wären. In beiden Fällen stellen sich volkswirtschaftliche Ungleichgewichte ein.

Besonders bedeutsam ist jedoch das Folgende: Die chronische Niedrig- beziehungsweise Negativzinspolitik der Zentralbanken führt zu einer Umbewertung aller Werte. Die künstlich gedrückten Zinsen veranlassen die Menschen, die Gegenwart höher zu bewerten im Vergleich zur Zukunft.

Das Zukünftige wird im wahrsten Sinne des Wortes abgewertet im Vergleich zu Gegenwart: Der gegenwärtige Konsum (der aus gutem Grund grundsätzlich höher wertgeschätzt wird als der künftige Konsum) wird durch die künstliche Niedrigzinspolitik noch wichtiger ("gemacht") als der Konsum in der Zukunft. Und das heißt: Es wird heute weniger gespart und investiert und mehr konsumiert. Besonders deutlich wird diese Umwertung der Werte, wenn man sich die Bedeutung des (Ur-)Zinses genauer vor Augen führt - siehe dazu die Ausführungen in der folgenden Box.


Über Ur-Zins und Marktzins

Wenn die Zinsen künstlich gedrückt werden, führt das im wahrsten Sinne des Wortes zu einer Umwertung der Werte im menschlichen Verhalten. Das erklärt sich aus Wesen und Natur des Zinses. Fragen wir daher: Was ist der Zins? Kurzgefasst steht der Zins für den Wertabschlag, den ein erst künftig verfügbares Gut gegenüber dem gegenwärtig verfügbaren Gut erleidet. Wenn also der Zins positiv ist, dann heißt das, dass ein Apfel heute mehr wert ist als ein Apfel (von gleicher Qualität), den man erst in einem Jahr erhält.

Wenn man über den Zins spricht, sollte man präziserweise zwischen dem Ur-Zins und dem Marktzins unterscheiden. Der Marktzins bildet sich durch Angebot und Nachfrage auf dem Kreditmarkt. Er setzt sich - im einfachsten Fall - aus verschiedenen Komponenten zusammen. Dazu zählen der sogenannte Ur-Zins (heutzutage spricht man auch vom "neutralen Zins") sowie auch Inflations- und Risikoprämien.

Der Ur-Zins ist etwas ganz "besonderes": Jeder handelnde Mensch trägt einen Ur-Zins quasi in sich: Ja, auch Sie, verehrte Leserin, verehrter Leser, haben einen (individuellen) Ur-Zins. Er bestimmt, wie stark sie das Gegenwärtige gegenüber dem Zukünftigen bewerten. Der Ur-Zins ist von Person zu Person unterschiedlich. Und er kann im Zeitablauf durchaus schwanken, er ist keine Konstante. Es ist durchaus denkbar möglich, dass der Ur-Zins sich der Nulllinie annähert, aber nicht, dass er auf null oder gar darunter fallen kann. Der Ur-Zins (Ihrer und meiner) ist immer und überall positiv.

In einem ungehemmten Kreditmarkt entspricht der "gleichgewichtige" Ur-Zins dem Marktzins (abzüglich der Inflations- und Risikoprämien). Heutzutage bildet sich der Marktzins allerdings nicht mehr auf einem ungehemmten, sondern auf einem gehemmten Markt: Er wird maßgeblich von den Zentralbanken diktiert. Indem die Zentralbanken, in enger Kooperation mit den Geschäftsbanken, Kredite und Geld sprichwörtlich "aus dem Nichts" schaffen, drücken sie den Marktzins künstlich herunter. Mittlerweile sind viele Marktzinsen in realer, das heißt inflationsbereinigter Rechnung, negativ - ein Indiz, dass diese Marktzinsen mittlerweile unter dem volkswirtschaftlichen Ur-Zins liegen.


Was bedeutet das? Nehmen wir einmal an, alle Marktzinsen würden unter dem Ur-Zins liegen. In diesem Fall wird niemand mehr bereit sein zu sparen und zu investieren. Das gesamte Einkommen würde konsumiert. Sprichwörtlich würde das, was noch in den Supermarktregalen zu finden ist, verzehrt und niemand würde mehr abgenutzte Investitionen ersetzen. Es käme zu einem Kapitalverzehr und die arbeitsteilige Marktwirtschaft würde aufhören zu existieren; es käme zu einem Rückfall in eine primitive Subsistenzwirtschaft.

Kapitalverzehr bedeutet Wohlstandseinbuße. Sie kann sich entweder in Form einer relativen Wohlstandseinbuße zeigen (man hat künftig weniger Güter, als man ohne Kapitalverzehr hätte haben können); oder sie kann auch in einer absoluten schlechteren Güterversorgung (man hat weniger als zuvor) zeigen. Wie gesagt: Ein solcher Kapitalverzehr ist das Ergebnis eines durch die Zentralbankpolitik künstlich nach unten gedrückten Zinses.



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