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Die Entwertung des Euro: Geldsozialismus à la EZB

05.08.2019  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Man erkennt: Die Erhöhung des Inflationsziels ist quasi eine Steilvorlage, damit die EZB noch mehr Euro-Staatsanleihen aufkaufen und mit neuen Euro bezahlen kann.

Eine wichtige Frage ist: Wie tief wird der Zins noch fallen? Darüber lässt sich zu diesem Zeitpunkt nur spekulieren. Aber einige grundlegende Überlegungen lassen sich dazu anstellen. Die EZB ist vermutlich darauf aus, den Realzins - also den Nominalzins abzüglich der Inflation - noch weiter in den Negativbereich zu befördern.

Warum? Nun, wenn der Realzins negativ ist, können fällige Kredite durch neue Kredite, die einen negativen Realzins tragen, ersetzt werden. Das kommt den Schuldnern, allen voran den Euro-Staaten und Euro-Banken, zugute. Dazu ein einfaches Beispiel.

Nehmen wir an, die Euro-Staaten haben einen Schuldenstand von 100 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) in 2019. Wenn der Zins 2% beträgt, das Wachstum 1,5% pro Jahr und die Neuverschuldung (vor Zinszahlungen) 1,5% pro BIP, wächst die Schuldenquote von 100% auf 110% in 2024 und weiter auf 120% in 2029. Wenn der Zins jedoch auf -1% gesenkt wird, ist es möglich, trotz schwachem Wachstum (1,5% pro Jahr) und einem Primärdefizit (1,5% pro BIP) die Schuldenquote auf 95% in 2024 und weiter auf 91% in 2029 zu senken. Man erkennt den damit verbundenen politische Anreiz: Die Zentralbank verfolgt eine Niedrig- oder gar Negativzinspolitik, um die Schuldner zu entschulden.

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Quelle: Thomson Financial; Berechnungen Degussa. Legende: i = Zins, g = Wachstum und pd = Primärdefizit (d. h. Defizit vor Zinszahlungen) in % des BIP. Die Szenarien sind wie folgt: [1]: i = 2, g = 1,5, pd = 1,5; [2]: i = 0, g = 1,5, pd = 1,5; und [3]: i = -1, g = 1,5, pd = 1,5.


Wie weit kann der kurzfristige Euro-Zins dabei abgesenkt werden? Wir denken, die EZB wird den Leitzins in den kommenden 6 Monaten auf etwa -1% absenken. Abzüglich einer Teuerungsrate von ungefähr 1,0% bis 2,0% wird sich der Euro-Realzins dann auf ungefähr -2,0% bis -3,0% einstellen. In diesem Szenario ist damit zu rechnen, dass die Renditen aller Euro-Staatsanleihen auf oder unter die Nulllinie fallen. Die Euro-Banken werden vermutlich auf breiter Front Negativzinsen für Euro-Bankguthaben in Form von Sicht-, Termin- und Sparguthaben erheben (müssen).


Box: Bald Negativzinsen für Kredite?

Nehmen wir an, die Euro-Banken können sich bei der EZB Kredite beschaffen zu minus 2 Prozent pro Jahr. Das heißt, sie leihen sich 100 Euro und müssen nach einem Jahr 98 Euro zurückzahlen. Dabei erzielen die Banken einen quasi mühelosen Gewinn von 2 Euro. (Allerdings müssen die Banken mit dem beschafften Geld etwas machen, ansonsten müssen sie einen Strafzins zahlen von derzeit minus 0,4 Prozent. Dieser (Teil-)Aspekt soll hier jedoch nicht weiter betrachtet werden.) Wäre es denkbar, dass durch die Negativzinspolitik der EZB auch die Kreditzinsen für Konsum-, Hausbau- und Unternehmenskredite unter die Nulllinie fallen?

Ja, das ist unter bestimmten Bedingungen denkbar. Beispiel: Eine Bank erhält von der EZB einen 1-Jahreskredit für minus 2 Prozent - unter der Auflage, das Geld als Kredit zu vergeben. Für die Bank würde es sich rechnen, einen Kredit zu einem Zins von, sagen wir, minus 1 Prozent zu vergeben. Die Bank verdient durch die Kreditaufnahme in Höhe von 100 bei der EZB, wie gezeigt, 2 Euro. Im Kreditgeschäft würde sie 1 Euro verlieren (sie verleiht 100 Euro und erhält am Jahresende 99 Euro zurück). Insgesamt beträgt der Gewinn der Bank 1 Euro.

Man erkennt: Ein Negativzins im Markt für Konsum-, Hausbau- und Unternehmenskredite wird sich nur dann einstellen, wenn die EZB ihre Kreditvergabe an die Banken davon abhängig macht, dass die Banken Kredite vergeben. Ansonsten würden die Banken das Geld, das sie sich per Kredit von der EZB beschafft haben, lieber in der Kasse halten. Mit diesem Anreizprinzip arbeitet die EZB schon heute: Banken erhalten Zinsvergünstigungen, wenn sie die langfristigen EZB-Kredite dazu verwenden, Darlehen auszureichen. Wer möchte nicht in den Genuss kommen, sich zu einem Negativzins verschulden zu können?

Man bedenke: Sie leihen sich 100 Euro und zahlen nach einem Jahr 99 Euro zurück! Es liegt also auf der Hand, dass es dann zu einer überaus großen Kreditnachfrage kommt. In einem solchen Fall muss die EZB zur Kreditrationierung greifen. Angebot und Nachfrage im Kreditmarkt werden nicht mehr über den Zins zum Ausgleich gebracht. Vielmehr kommt es zu einer Mengenzuteilung: Nicht die gesamte Kreditnachfrage wird bedient, sondern nur ein Teil; nicht jeder bekommt Kredite, sondern nur einige.

Nach welchen Kriterien aber soll die EZB die Kredite zuteilen? Sollen beschäftigungsintensive Wirtschaftssektoren bevorzugt werden? Oder soll das Kreditangebot vor allem an Zukunftsbranchen gehen? Oder aber sind schwächelnde Industriezweige mit zusätzlichen Krediten zu bevorzugen? Soll der Süden Europas mehr als der Norden bekommen? Man erkennt: Die EZB wird mehr denn je in eine planwirtschaftliche Wirtschaftslenkung einsteigen müssen, wenn sie damit weitermacht, die Marktzinsen immer weiter unter die Nulllinie abzusenken.




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