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Die EZB und das Verbot der monetären Staatsfinanzierung. Ein (Er-)Klärungsversuch

28.06.2020  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Quelle: Refinitiv; Graphik Degussa.


(1) Die Kursbildung der Anleihen im Primärmarkt erfolgt stets mit Blick auf den Sekundärmarkt: Die Teilnehmer im Primärmarkt werden für eine Anleihe nicht mehr bezahlen als den Preis, den sie mit der Anleihe im Sekundärmarkt erzielen können. Wäre zum Beispiel der erwartete Preis der Anleihe im Sekundärmarkt 99 Euro, so würde niemand im Primärmarkt mehr als 99 Euro zahlen. Die erwarteten Kurse (beziehungsweise Zinsen) im Sekundärmarkt bestimmen folglich die Kurse (die Zinsen) im Primärmarkt. (¹)

(2) Die EZB und die nationalen Euro-Zentralbanken kaufen mittlerweile Euro-Staatsanleihen im Sekundärmarkt in großem Stil. Sie bestimmen dadurch in entscheidendem Maße die Zinsbildung auf dem Sekundärmarkt und damit folglich auch die auf dem Primärmarkt: Die Zentralbank fragt eine Anleihe im Sekundärmarkt nach, und das treibt deren Kurs in die Höhe (im Vergleich zu einer Situation, in der die Zentralbank nicht als Käufer auftritt). Entsprechend fallen die Anleihekurse (Anleiherenditen) im Primärmarkt höher (niedriger) aus, als sie ohne den Eingriff der Zentralbank ausfallen würden.

(3) Die EZB und die nationalen Euro-Zentralbanken treten als Käufer für nahezu alle Laufzeiten auf. (²) Daher unterliegen auch die Kreditkonditionen für nahezu alle Laufzeiten im Sekundärmarkt maßgeblich dem Einfluss der Zentralbankpolitik; und entsprechend fallen die Konditionen im Primärmarkt aus. Die Frage drängt sich auf: Setzen die EZB und die nationalen Euro-Zentralbanken "durch die Hintertür" die Zinskonditionen im Primärmarkt? Und wenn ja, hieße das ökonomisch gesehen nicht auch, dass die Zentralbanken gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung verstoßen, wie es in Artikel 123 AEUV niedergelegt ist?

(4) Man könnte an dieser Stelle einwenden: Die Käufe der Zentralbanken sind betragsmäßig nicht unbegrenzt, sondern begrenzt. Zum Beispiel verkündete die EZB am 22. Januar 2015, sie werden pro Monat Anleihen von Eurostaaten und EU-Institutionen in Höhe von 60 Mrd. Euro bis September 2016 kaufen. Folglich konnten die Investoren nicht versichert sein, dass die Zentralbank im Fall der Fälle alle angebotenen Anleihen kaufen wird.

So gesehen hat die Zentralbank zwar die Marktpreisbildung der Anleihen beeinflusst, aber sie hat sie nicht vollends ausgehebelt - denn zumindest etwas Unsicherheit war für die Investoren verblieben. So gesehen war der Primärmarkt zwar geldpolitisch beeinflusst, aber er büßte seinen Bezug zur Marktrealität nicht vollständig ein.

(5) In der Praxis reihen die Zentralbanken jedoch ein Anleiheaufkaufprogramm an das andere, sie verlängern und erweitern bestehende Kaufprogramme. Das beeinflusst die Markterwartungen ganz entscheidend: Die Marktakteure können mit guten Gründen darauf wetten, dass die Zentralbanken, wenn sie erst einmal Staatsanleihen aufgekauft und ihre Aufkaufprogramme Stück für Stück erweitert haben, sich nicht so ohne weiteres von dieser Politik abkehren werden. Das gilt insbesondere dann, wenn Investoren vermuten können, dass die bereits erfolgten Käufe einen "kritischen Schwellenwert" überschritten haben.

Das wäre beispielsweise dann der Fall, wenn (a) die Zentralbanken schon so viele Staatsanleihen aufgekauft haben und in ihren Bilanzen ausweisen, dass sie es sich schlichtweg nicht mehr leisten können, mit den Schuldpapierkäufen aufzuhören, weil die Schuldner ansonsten zahlungsunfähig würden und den Zentralbanken ruinöse Abschreibungen drohten. (b) Ein Beenden der Staatsanleihekäufe droht, die Zinsen ansteigen und damit das gesamte Wirtschafts- und Finanzsystem zusammenbrechen zu lassen, ein Ereignis, das mit allen politischen Mitteln verhindert werden soll.


Das Verneinen der monetären Staatsfinanzierung

Durch ihre Anleihekäufe können die Zentralbanken die Marktkurse auch direkt setzen. Dazu signalisieren sie beispielsweise der Investorenschaft (in klaren Worten), welche Kurse beziehungsweise Renditen geldpolitisch gewünscht sind. Sie setzen dadurch gewissermaßen einen Mindestpreis für Anleihen (eine Maximalrendite). In diesem Fall spiegeln die Kurse dann die erwarteten Kaufpreise der Zentralbanken wider, die kaum mehr oder gar nichts mehr zu tun haben mit der Risikolage der Schuldner.

Die gesetzliche Vorgabe, dass die Zentralbanken Anleihen nur im Sekundärmarkt, nicht aber im Primärmarkt erwerben dürfen, verliert die ihr zugedachte Wirkung. Artikel 123 AEUV (1) ist ausgehebelt, eine monetäre Staatsfinanzierung durch EZB nationale Euro-Zentralbanken zu konstatieren.


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