Ökonomische Gesetze und die Logik des menschlichen Handelns
30.12.2020 | Prof. Dr. Thorsten Polleit
Die Volkswirtschaftslehre ist keine Erfahrungswissenschaft. Der Wahrheitsgehalt ihrer Aussagen lässt sich aufgrund logischer Analysen überprüfen.
Einleitende Bemerkungen
Wir alle kennen Naturgesetze. Beispiele sind: das Gesetz der Schwerkraft; das Gesetz zur Erhaltung der Energie; oder das Ohmsche Gesetz.
Unter Naturgesetzen versteht man allgemeingültige Aussagen über notwendige Zusammenhänge zwischen Naturerscheinungen. Naturgesetze gelten gemeinhin. Sie sind weder räumlich noch zeitlich in ihrer Gültigkeit beschränkt. Derartige Gesetzmäßigkeiten lassen sich - vereinfachend gesprochen - als Theorien auffassen, die als abschließend bestätigt eingestuft sind. [Ich sollte hier anfügen, dass ‚moderne Wissenschaftler‘ meist nicht von Gesetzen, sondern von ‚Hypothesen‘ oder ‚Modellen‘ sprechen, eine Folge der wissenschaftstheoretischen Diskussion. Wir aber wollen im Folgenden am Begriff ‚Gesetz‘ festhalten.]
Die Naturgesetze müssen von uns Menschen in unserem Handeln beachtet werden, wenn wir unsere Ziele erreichen wollen. Kaum jemand, der bei Verstand ist, wird das ernsthaft bestreiten. Die Frage, die uns im Folgenden beschäftigen soll, lautet: Gibt es im Bereich des menschlichen Handelns, in der Nationalökonomie, ebenfalls Gesetzmäßigkeiten, vergleichbar mit denen der Naturwissenschaft?
Ober gibt es hier keine Gesetzmäßigkeiten? Ist hier alles möglich, alles beliebig gestaltbar? Lässt sich die Art und Weise des gesellschaftlichen Zusammenlebens frei konstruieren? Ist beispielsweise der Sozialismus möglich, ist er durchführbar? Oder lässt sich der Zins abschaffen? Kann das Vermehren der Geldmenge den Wohlstand der Volkswirtschaft erhöhen?
Natur- versus Sozialwissenschaft
Die zentrale Frage, die damit aufgeworfen wird, ist eine erkenntnistheoretische. Sie lautet: Was ist die angemessene, die richtige wissenschaftliche Methode in der Nationalökonomie? Die wissenschaftliche Methode bezeichnet die Herangehensweise, um Erkenntnisse über das Erkenntnisobjekt (also über den Gegenstand, über den man mehr wissen will) zu gewinnen.
Aber welche wissenschaftliche Methode ist die richtige? Um das herauszufinden, ist es zunächst erforderlich, dass man sich Klarheit über das Erkenntnisobjekt verschafft. In der Naturwissenschaft sind die Erkenntnisobjekte Naturphänomene: Atome, Zellen, Gesteine, Planeten etc. Das Ziel der Naturwissenschaft ist es, naturgesetzliche Zusammenhänge, also Regelmäßigkeiten, Reproduzierbarkeiten im Sinne von Ursache und Wirkung, zu erkennen. Dazu werden Hypothesen ("Wenn-Dann-Aussagen") formuliert und im Zuge von Experimenten getestet. Die Naturwissenschaft wird daher auch als Erfahrungswissenschaft verstanden.
Durch das Testen versucht man aber nicht nur Erkenntnis aus der Erfahrung (Beobachtung) zu gewinnen. Man versucht auch, den Wahrheitsgehalt dieser Erkenntnisse anhand von Erfahrung zu überprüfen. Die naturwissenschaftliche Methode wird auch in der modernen Volkswirtschaftslehre angewandt, gilt als allgemein akzeptiert. Doch ist das sinnvoll, lässt sich das vertreten? Betrachten wir dazu zunächst die erkenntnistheoretische Grundlage, auf der die naturwissenschaftliche Methode aufbaut. Zu nennen sind hier Positivismus, Empirismus und Falsifikationismus.
Der Positivismus kann als Wissenschaftsdoktrin aufgefasst werden. Er fordert, dass die Wissenschaft sich am "positiv Gegebenen" zu orientieren hat, also an dem, was sinnlich erfassbar und messbar ist, gemäß dem Motto: "Wissenschaft ist Messen."
Was nicht sinnlich erfassbar ist, was sich nicht messen lässt, wird als unwissenschaftlich kategorisiert, beiseitegeschoben - alle metaphysischen Fragen zum Beispiel. Die Positivisten verneinen zudem das sogenannte a priori Wissen. Der Ausdruck A priori steht für nicht-empirische Aussagen, die notwendigerweise wahr sind und mit strenger Allgemeingültigkeit gelten - die sich nicht verneinen lassen, ohne ihre Gültigkeit vorauszusetzen.
Der Empirismus behauptet drei Dinge. (1) Alles Wissen über die Realität stammt aus Sinneseindrücken (aus Beobachtungen). (2) Der Wahrheitsgehalt von Theorien ist durch Beobachtungen zu überprüfen. (3) Alles Wissen ist nur hypothetisch wahr; Wissen kann nicht mehr als eine Vermutung sein.
Der Falsifikationismus geht auf den Kritischen Rationalismus von Karl. R. Popper (1902 - 1994) zurück. Der Kritische Rationalismus ist wie der Empirismus der Meinung, dass das Wissen aus der Erfahrung stammt, und dass erfahrungswissenschaftliche Aussagen der Überprüfung durch Erfahrung bedürfen. Allerdings lehnt der Falsifikationismus das Verifikationsprinzip des Empirismus ab: den Anspruch also, dass durch Erfahrung der Wahrheitsgehalt einer Hypothese abschließend festgestellt werden kann.
Popper argumentiert, dass es bestenfalls möglich sei, eine Hypothese nicht zu verwerfen (sie nicht zu falsifizieren), dass es aber niemals möglich sei, sie ein für alle Mal als wahr zu bestätigen (sie zu verifizieren). Man kann nämlich nie sicher sein, so Popper, dass eine Hypothese, die heute als bestätigt gilt, nicht doch künftig, wenn neue Beobachtungen gemacht werden, abgelehnt werden muss.
Weil absolute Wahrheit nicht gewonnen werden kann, sagt Popper, sollen im Zuge von "Versuch und Irrtum" falsche Theorien aussortiert und durch bessere ersetzt werden. Das ermöglicht Wissensfortschritt. Man kommt der Wahrheit nahe, kommt ihr immer näher, wenngleich auch abschließend wahre Erkenntnis nicht erreichbar ist.
Kritik
Ich möchte nun eine kurze Kritik am Empirismus und Falsifikationismus formulieren. Rufen wir uns dazu zwei Kernaussagen des Empirismus in Erinnerung: (1) Alle Erkenntnis stammt aus der Erfahrung, und (2) der Wahrheitsgehalt einer Theorie wird anhand der Erfahrung überprüft.
Wie begründet der Empirismus diese Aussagen? Die Aussage "Alle Erkenntnis stammt aus der Erfahrung" lässt sich nicht durch Erfahrungen abschließend begründen. Der Grund ist das sogenannte Induktionsproblem: Aus einzelnen Beobachtungen lässt sich aus logischen Gründen keine Allgemeingültigkeit ableiten. Der Empirismus behauptet folglich etwas (und zwar: "Alle Erkenntnis stammt aus der Erfahrung"), was er selbst gar nicht begründen kann, beziehungsweise dem er widerspricht.
Einleitende Bemerkungen
Wir alle kennen Naturgesetze. Beispiele sind: das Gesetz der Schwerkraft; das Gesetz zur Erhaltung der Energie; oder das Ohmsche Gesetz.
Unter Naturgesetzen versteht man allgemeingültige Aussagen über notwendige Zusammenhänge zwischen Naturerscheinungen. Naturgesetze gelten gemeinhin. Sie sind weder räumlich noch zeitlich in ihrer Gültigkeit beschränkt. Derartige Gesetzmäßigkeiten lassen sich - vereinfachend gesprochen - als Theorien auffassen, die als abschließend bestätigt eingestuft sind. [Ich sollte hier anfügen, dass ‚moderne Wissenschaftler‘ meist nicht von Gesetzen, sondern von ‚Hypothesen‘ oder ‚Modellen‘ sprechen, eine Folge der wissenschaftstheoretischen Diskussion. Wir aber wollen im Folgenden am Begriff ‚Gesetz‘ festhalten.]
Die Naturgesetze müssen von uns Menschen in unserem Handeln beachtet werden, wenn wir unsere Ziele erreichen wollen. Kaum jemand, der bei Verstand ist, wird das ernsthaft bestreiten. Die Frage, die uns im Folgenden beschäftigen soll, lautet: Gibt es im Bereich des menschlichen Handelns, in der Nationalökonomie, ebenfalls Gesetzmäßigkeiten, vergleichbar mit denen der Naturwissenschaft?
Ober gibt es hier keine Gesetzmäßigkeiten? Ist hier alles möglich, alles beliebig gestaltbar? Lässt sich die Art und Weise des gesellschaftlichen Zusammenlebens frei konstruieren? Ist beispielsweise der Sozialismus möglich, ist er durchführbar? Oder lässt sich der Zins abschaffen? Kann das Vermehren der Geldmenge den Wohlstand der Volkswirtschaft erhöhen?
Natur- versus Sozialwissenschaft
Die zentrale Frage, die damit aufgeworfen wird, ist eine erkenntnistheoretische. Sie lautet: Was ist die angemessene, die richtige wissenschaftliche Methode in der Nationalökonomie? Die wissenschaftliche Methode bezeichnet die Herangehensweise, um Erkenntnisse über das Erkenntnisobjekt (also über den Gegenstand, über den man mehr wissen will) zu gewinnen.
Aber welche wissenschaftliche Methode ist die richtige? Um das herauszufinden, ist es zunächst erforderlich, dass man sich Klarheit über das Erkenntnisobjekt verschafft. In der Naturwissenschaft sind die Erkenntnisobjekte Naturphänomene: Atome, Zellen, Gesteine, Planeten etc. Das Ziel der Naturwissenschaft ist es, naturgesetzliche Zusammenhänge, also Regelmäßigkeiten, Reproduzierbarkeiten im Sinne von Ursache und Wirkung, zu erkennen. Dazu werden Hypothesen ("Wenn-Dann-Aussagen") formuliert und im Zuge von Experimenten getestet. Die Naturwissenschaft wird daher auch als Erfahrungswissenschaft verstanden.
Durch das Testen versucht man aber nicht nur Erkenntnis aus der Erfahrung (Beobachtung) zu gewinnen. Man versucht auch, den Wahrheitsgehalt dieser Erkenntnisse anhand von Erfahrung zu überprüfen. Die naturwissenschaftliche Methode wird auch in der modernen Volkswirtschaftslehre angewandt, gilt als allgemein akzeptiert. Doch ist das sinnvoll, lässt sich das vertreten? Betrachten wir dazu zunächst die erkenntnistheoretische Grundlage, auf der die naturwissenschaftliche Methode aufbaut. Zu nennen sind hier Positivismus, Empirismus und Falsifikationismus.
Der Positivismus kann als Wissenschaftsdoktrin aufgefasst werden. Er fordert, dass die Wissenschaft sich am "positiv Gegebenen" zu orientieren hat, also an dem, was sinnlich erfassbar und messbar ist, gemäß dem Motto: "Wissenschaft ist Messen."
Was nicht sinnlich erfassbar ist, was sich nicht messen lässt, wird als unwissenschaftlich kategorisiert, beiseitegeschoben - alle metaphysischen Fragen zum Beispiel. Die Positivisten verneinen zudem das sogenannte a priori Wissen. Der Ausdruck A priori steht für nicht-empirische Aussagen, die notwendigerweise wahr sind und mit strenger Allgemeingültigkeit gelten - die sich nicht verneinen lassen, ohne ihre Gültigkeit vorauszusetzen.
Der Empirismus behauptet drei Dinge. (1) Alles Wissen über die Realität stammt aus Sinneseindrücken (aus Beobachtungen). (2) Der Wahrheitsgehalt von Theorien ist durch Beobachtungen zu überprüfen. (3) Alles Wissen ist nur hypothetisch wahr; Wissen kann nicht mehr als eine Vermutung sein.
Der Falsifikationismus geht auf den Kritischen Rationalismus von Karl. R. Popper (1902 - 1994) zurück. Der Kritische Rationalismus ist wie der Empirismus der Meinung, dass das Wissen aus der Erfahrung stammt, und dass erfahrungswissenschaftliche Aussagen der Überprüfung durch Erfahrung bedürfen. Allerdings lehnt der Falsifikationismus das Verifikationsprinzip des Empirismus ab: den Anspruch also, dass durch Erfahrung der Wahrheitsgehalt einer Hypothese abschließend festgestellt werden kann.
Popper argumentiert, dass es bestenfalls möglich sei, eine Hypothese nicht zu verwerfen (sie nicht zu falsifizieren), dass es aber niemals möglich sei, sie ein für alle Mal als wahr zu bestätigen (sie zu verifizieren). Man kann nämlich nie sicher sein, so Popper, dass eine Hypothese, die heute als bestätigt gilt, nicht doch künftig, wenn neue Beobachtungen gemacht werden, abgelehnt werden muss.
Weil absolute Wahrheit nicht gewonnen werden kann, sagt Popper, sollen im Zuge von "Versuch und Irrtum" falsche Theorien aussortiert und durch bessere ersetzt werden. Das ermöglicht Wissensfortschritt. Man kommt der Wahrheit nahe, kommt ihr immer näher, wenngleich auch abschließend wahre Erkenntnis nicht erreichbar ist.
Kritik
Ich möchte nun eine kurze Kritik am Empirismus und Falsifikationismus formulieren. Rufen wir uns dazu zwei Kernaussagen des Empirismus in Erinnerung: (1) Alle Erkenntnis stammt aus der Erfahrung, und (2) der Wahrheitsgehalt einer Theorie wird anhand der Erfahrung überprüft.
Wie begründet der Empirismus diese Aussagen? Die Aussage "Alle Erkenntnis stammt aus der Erfahrung" lässt sich nicht durch Erfahrungen abschließend begründen. Der Grund ist das sogenannte Induktionsproblem: Aus einzelnen Beobachtungen lässt sich aus logischen Gründen keine Allgemeingültigkeit ableiten. Der Empirismus behauptet folglich etwas (und zwar: "Alle Erkenntnis stammt aus der Erfahrung"), was er selbst gar nicht begründen kann, beziehungsweise dem er widerspricht.