Die Abhängigkeit von der Inflationsdroge wird immer größer
27.08.2021 | Prof. Dr. Thorsten Polleit
Die Geldentwertung gewinnt an Fahrt, ein Ende ist nicht abzusehen.Wer US-Dollar, Euro & Co vertraut, der wird mit Verlusten bestraft. Weichen Sie aus: Halten Sie Gold - und bis auf weiteres auch Aktien.
Gerede über “Tapering“
Die Finanzmärkte orakeln, wann die US-Zentralbank (Fed) ihren Fuß vom geldpolitischen Gaspedal nehmen könnte. Genauer gesagt: Es wird in den Märkten erwartet, dass der US-Leitzins in den nächsten Jahren unverändert in einer Bandbreite von 0 bis 0,25 Prozentpunkten verharren wird.
Was jedoch zusehends als wahrscheinlicher angesehen wird, ist eine Rückführung der Aufkaufbeträge von Anleihen - und diese geldpolitische Änderung wird im Fachjargon als "Tapering" bezeichnet. Bereits auf der Fed-Sitzung im September könnte angekündigt werden, dass die Zentralbank mit dem Tapering zwischen Oktober und Dezember beginnt. Derzeit kauft die US-Fed monatlich Anleihen in Höhe von 120 Mrd. US-Dollar (80 Mrd. US-Dollar in Form von US-Staatsanleihen, 40 Mrd. US-Dollar in Form von Hypothekaranleihen).
Durch die Anleiheaufkäufe erhöht die Fed die US-Dollar-Geldmenge (und zwar in Form von Zentralbankgeld, aber (indirekt) auch in Form von Geschäftsbankengeld). Zentralbankgeld entsteht, wenn die Fed neu ausgegebene Anleihen (im Primärmarkt) erwirbt oder den Geschäftsbanken Schuldpapiere, die diese in ihrem Portfolio halten, abkauft. Geschäftsbankengeld entsteht, wenn die Fed Schuldpapiere von Nichtbanken (Fonds, Versicherungen, Stiftungen, Privaten) kauft; in diesem Fall entsteht gleichzeitig auch Zentralbankgeld.
Geht die Fed zum Tapering über, schwächt sich folglich der Zufluss von neuem Geld in die Volkswirtschaft ab. Das für sich genommen ist höchst bedeutsam für die Finanzmärkte und die Konjunkturlage. Abb. 1 zeigt beispielhaft dazu den Verlauf der Bilanzsumme der US-Zentralbank und die Entwicklung des S&P 500 Aktienmarktindexes seit Anfang 2007 bis August 2021. Die beiden Zeitreihen zeigen zwar keinen perfekten Gleichlauf, jedoch eine unübersehbar positiv korrelierte Aufwärtsbewegung: Die anwachsende Fed-Bilanzsumme - Ausdruck der zunehmenden Geldmenge - ging einher mit steigenden Aktienkursen.
Würde man den bisherigen Verbund zwischen Fed-Bilanz und Aktienkursen fortschreiben, ließe die Verringerung der Anleihekäufe langfristig einen weniger rasanten Anstieg der Aktienkurse erwarten. Kurz- bis mittelfristig ist das Ergebnis allerdings weniger eindeutig.
Es könnte zunächst zu einem ausgeprägten Kursverfall kommen, bevor die Aktienmärkte wieder anziehen. Das wäre dann der Fall, wenn das Tapering früher einsetzt als von den Marktakteuren erwartet; oder wenn sich herausstellt, dass das Tapering-Ausmaß größer ausfällt als erwartet. Man kann zwar trefflich über die unmittelbaren Marktreaktionen, die auf ein Tapering folgen könnten, spekulieren. Doch wichtiger für den Anleger dürfte es sein, sich über die Zielsetzung der Fed-Geldpolitik Klarheit zu verschaffen.
Die gewollte Inflation
Offiziell besteht die Zielsetzung der US-Zentralbank darin, die Inflation der Konsumgüterpreise niedrig zu halten und für einen hohen Beschäftigungsgrad zu sorgen. Inoffiziell geht es jedoch vermutlich um etwas ganz Anderes: die US-Konjunktur durch eine inflationäre Geldpolitik, die die breite Öffentlichkeit nicht als solche erkennen soll und darf, in Gang zu halten, die reibungslose Schuldenfinanzierung des US-Staates zu ermöglichen und insbesondere auch eine fortgesetzte Inflation der Vermögenspreise sicherzustellen. Wenn diese Einschätzung der eigentlichen Zielsetzung der US-Fed auch nur annähernd richtig sein sollte, ergeben sich für den Anleger einige wichtige Schlussfolgerungen.
Und weil die US-Fed de facto die Welt-Zentralbank ist - ihrer Geldpolitik folgen letztlich alle anderen Zentralbanken der Welt -, lassen sich die nachstehenden Überlegungen (leider) verallgemeinern.
Die Fed räumt dem Ziel, den Fortgang der Konjunktur sicherzustellen, prinzipiell den Vorrang ein gegenüber dem Ziel, die Inflation der Konsumgüter niedrig zu halten. Das bedeutet: Die Fed lässt höhere Preisinflation zu, solange die Konjunktur läuft; und gleiches gilt, wenn sie befürchtet, die Anhebung der Zinsen und/oder das Abbremsen des Geldmengenwachstums wird die Konjunktur zu stark bremsen beziehungsweise in einem politisch nicht gewollten Ausmaß verringern.
Die Folge dieser geldpolitischen Einstellung ist, dass die tatsächliche Preisinflation im Durchschnitt höher ausfällt als die versprochene/die in Aussicht gestellte. Allein deswegen sind Anleger gut beraten, mit einer höheren Inflation der Konsumgüterpreise zu rechnen, als sie von der Fed versprochen wird.
Zudem gilt folgendes: Ein Kollaps der Finanzmarktpreise - ein Preisverfall für Aktien, Anleihen und Derivate - wird die Fed nicht zulassen können und wollen. Denn das würde Banken und Verschuldete schwer belasten, würde den Kreditfluss zum Versiegen bringen, und die Folgen für das kreditangetriebene Wirtschafts- und Finanzsystem wären verheerend.
Aus diesem Grund wird die Fed das "Sicherheitsnetz", das sie unter die Konjunktur und die Finanzmärkte gespannt hat, auch nicht einholen. Also unabhängig davon, ob die Fed die Anleihekäufe reduziert und/oder an der Zinsschraube dreht: Die Finanzmarktakteure haben gute Gründe zu erwarten, dass die Fed die Finanzmarktpreise auch weiterhin inflationieren beziehungsweise mit aller Entschiedenheit einen Preisverfall auf breiter Front verhindern wird.
"Just as it is the duty of all men to obey just laws, so it is the duty of all men to disobey unjust laws." - Martin Luther King, Jr.
Gerede über “Tapering“
Die Finanzmärkte orakeln, wann die US-Zentralbank (Fed) ihren Fuß vom geldpolitischen Gaspedal nehmen könnte. Genauer gesagt: Es wird in den Märkten erwartet, dass der US-Leitzins in den nächsten Jahren unverändert in einer Bandbreite von 0 bis 0,25 Prozentpunkten verharren wird.
Was jedoch zusehends als wahrscheinlicher angesehen wird, ist eine Rückführung der Aufkaufbeträge von Anleihen - und diese geldpolitische Änderung wird im Fachjargon als "Tapering" bezeichnet. Bereits auf der Fed-Sitzung im September könnte angekündigt werden, dass die Zentralbank mit dem Tapering zwischen Oktober und Dezember beginnt. Derzeit kauft die US-Fed monatlich Anleihen in Höhe von 120 Mrd. US-Dollar (80 Mrd. US-Dollar in Form von US-Staatsanleihen, 40 Mrd. US-Dollar in Form von Hypothekaranleihen).
Quelle: Refinitiv; Graphik Degussa.
Durch die Anleiheaufkäufe erhöht die Fed die US-Dollar-Geldmenge (und zwar in Form von Zentralbankgeld, aber (indirekt) auch in Form von Geschäftsbankengeld). Zentralbankgeld entsteht, wenn die Fed neu ausgegebene Anleihen (im Primärmarkt) erwirbt oder den Geschäftsbanken Schuldpapiere, die diese in ihrem Portfolio halten, abkauft. Geschäftsbankengeld entsteht, wenn die Fed Schuldpapiere von Nichtbanken (Fonds, Versicherungen, Stiftungen, Privaten) kauft; in diesem Fall entsteht gleichzeitig auch Zentralbankgeld.
Geht die Fed zum Tapering über, schwächt sich folglich der Zufluss von neuem Geld in die Volkswirtschaft ab. Das für sich genommen ist höchst bedeutsam für die Finanzmärkte und die Konjunkturlage. Abb. 1 zeigt beispielhaft dazu den Verlauf der Bilanzsumme der US-Zentralbank und die Entwicklung des S&P 500 Aktienmarktindexes seit Anfang 2007 bis August 2021. Die beiden Zeitreihen zeigen zwar keinen perfekten Gleichlauf, jedoch eine unübersehbar positiv korrelierte Aufwärtsbewegung: Die anwachsende Fed-Bilanzsumme - Ausdruck der zunehmenden Geldmenge - ging einher mit steigenden Aktienkursen.
Würde man den bisherigen Verbund zwischen Fed-Bilanz und Aktienkursen fortschreiben, ließe die Verringerung der Anleihekäufe langfristig einen weniger rasanten Anstieg der Aktienkurse erwarten. Kurz- bis mittelfristig ist das Ergebnis allerdings weniger eindeutig.
Es könnte zunächst zu einem ausgeprägten Kursverfall kommen, bevor die Aktienmärkte wieder anziehen. Das wäre dann der Fall, wenn das Tapering früher einsetzt als von den Marktakteuren erwartet; oder wenn sich herausstellt, dass das Tapering-Ausmaß größer ausfällt als erwartet. Man kann zwar trefflich über die unmittelbaren Marktreaktionen, die auf ein Tapering folgen könnten, spekulieren. Doch wichtiger für den Anleger dürfte es sein, sich über die Zielsetzung der Fed-Geldpolitik Klarheit zu verschaffen.
Die gewollte Inflation
Offiziell besteht die Zielsetzung der US-Zentralbank darin, die Inflation der Konsumgüterpreise niedrig zu halten und für einen hohen Beschäftigungsgrad zu sorgen. Inoffiziell geht es jedoch vermutlich um etwas ganz Anderes: die US-Konjunktur durch eine inflationäre Geldpolitik, die die breite Öffentlichkeit nicht als solche erkennen soll und darf, in Gang zu halten, die reibungslose Schuldenfinanzierung des US-Staates zu ermöglichen und insbesondere auch eine fortgesetzte Inflation der Vermögenspreise sicherzustellen. Wenn diese Einschätzung der eigentlichen Zielsetzung der US-Fed auch nur annähernd richtig sein sollte, ergeben sich für den Anleger einige wichtige Schlussfolgerungen.
Und weil die US-Fed de facto die Welt-Zentralbank ist - ihrer Geldpolitik folgen letztlich alle anderen Zentralbanken der Welt -, lassen sich die nachstehenden Überlegungen (leider) verallgemeinern.
Die Fed räumt dem Ziel, den Fortgang der Konjunktur sicherzustellen, prinzipiell den Vorrang ein gegenüber dem Ziel, die Inflation der Konsumgüter niedrig zu halten. Das bedeutet: Die Fed lässt höhere Preisinflation zu, solange die Konjunktur läuft; und gleiches gilt, wenn sie befürchtet, die Anhebung der Zinsen und/oder das Abbremsen des Geldmengenwachstums wird die Konjunktur zu stark bremsen beziehungsweise in einem politisch nicht gewollten Ausmaß verringern.
Die Folge dieser geldpolitischen Einstellung ist, dass die tatsächliche Preisinflation im Durchschnitt höher ausfällt als die versprochene/die in Aussicht gestellte. Allein deswegen sind Anleger gut beraten, mit einer höheren Inflation der Konsumgüterpreise zu rechnen, als sie von der Fed versprochen wird.
Zudem gilt folgendes: Ein Kollaps der Finanzmarktpreise - ein Preisverfall für Aktien, Anleihen und Derivate - wird die Fed nicht zulassen können und wollen. Denn das würde Banken und Verschuldete schwer belasten, würde den Kreditfluss zum Versiegen bringen, und die Folgen für das kreditangetriebene Wirtschafts- und Finanzsystem wären verheerend.
Aus diesem Grund wird die Fed das "Sicherheitsnetz", das sie unter die Konjunktur und die Finanzmärkte gespannt hat, auch nicht einholen. Also unabhängig davon, ob die Fed die Anleihekäufe reduziert und/oder an der Zinsschraube dreht: Die Finanzmarktakteure haben gute Gründe zu erwarten, dass die Fed die Finanzmarktpreise auch weiterhin inflationieren beziehungsweise mit aller Entschiedenheit einen Preisverfall auf breiter Front verhindern wird.