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Zins, Inflation, Gold - und der "Great Reset"

05.11.2021  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
- Seite 2 -
Große Verzerrung

Wie dem auch sei: Nominal- und Realzinsen von null oder weniger können kein "Gleichgewicht" darstellen in dem Sinne, dass Nominal- und Realzins in der Volkswirtschaft dauerhaft und ungestraft auf oder unter der Nulllinie liegen. Wie bereits gesagt: Bei einem Nominalzins von null oder weniger ist es besser, Geld zu halten und keine Anleihen zu kaufen; bei einem Realzins null oder weniger gilt das gleiche.

Die wirklich entscheidende Einsicht an dieser Stelle ist jedoch, dass der sogenannte "Urzins", den jeder handelnde Mensch quasi in sich trägt, immer und überall positiv ist; dass der Urzins sprichwörtlich nicht aus dem menschlichen Denken und Handeln, aus der Welt verschwinden kann. Der Urzins bezeichnet den Wertabschlag, den ein Zukunftsgut gegenüber dem Gegenwartsgut (von gleicher Art und Güte und unter gleichen Umständen) erleidet.

Einfach gesagt: 1 Euro heute hat (aus handlungslogischen Gründen) einen höheren Wert als 1 Euro in einem Jahr. Im "realen Leben" ist natürlich nicht auszuschließen, dass es Menschen geben mag, die gegen diese "Logik des menschlichen Wertens und Handelns" verstoßen. Dann aber zum eigenen Schaden. Denn sie werden damit ihre Ziele nicht oder nicht so gut erreichen wie ihre Mitmenschen, die ihr Werten und Handeln in Einklang mit der Handlungslogik bringen.

Wenn der Urzins der Menschen stets positiv ist (und nicht null oder negativ werden kann), dann ist auch klar, dass eine moderne, arbeitsteilige Volkswirtschaft ohne einen positiven (Real-)Zins nicht denkbar ist. Ohne eine Entlohnung für den Konsumverzicht, für das Sparen und Investieren würde die Volkswirtschaft vielmehr desintegrieren, in eine primitive Subsistenzwirtschaft zurückfallen.

Es käme zu einem Kapitalverzehr. Die Regale würden sprichwörtlich abgeräumt, Produktionsgüter aufgebraucht, und sie würden auch nicht mehr durch Ersatz- und Erweiterungsinvestitionen wiederaufgebaut. Das bisher produktive Sparen (also die mit zeitlichem Aufwand verbundene Umwandlung von knappen Ressourcen in Produktionsgüter, mit denen sich das künftige Konsumgüterangebot erhöhen und verbessern lässt) weicht einem Horten.

Ohne einen positiven Zins würden das arbeitsteilige Wirtschaften und damit das heutzutage verfügbare Güterangebot verschwinden, die Menschheit würde verarmen. Millionen wenn nicht gar Milliarden Menschen würden, so wäre zu befürchten, dem Hungertod preisgegeben. Das Geschehen auf den Anleihemärkten rechtfertigt jedoch noch nicht die Schlussfolgerung, dass es keinen Zins mehr gäbe.

Denn der Zins findet sich nicht nur im Kreditmarkt, also dort, wo gegenwärtig verfügbares Geld gegen erst künftig verfügbares Geld getauscht wird. Er findet sich in allen Arten von intertemporalen Tauschvorgängen. Also auch beispielsweise im Aktienmarkt: Hier wird beim Kauf einer Aktie gegenwärtiges Geld getauscht gegen (erwartete) künftige Geldzahlungen in Form von Erlösen aus Aktienverkäufen und/oder Dividendenzahlungen.

Ganz ähnlich verhält es sich im Immobilienmarkt: Der Investor erwirbt beispielsweise ein Mietshaus, indem er gegenwärtiges Geld gegen künftig erwartete Geldzahlungen aus Mieten und/oder Verkaufserlösen eintauscht. Auch hier tritt der Zins als Wertabschlag in Erscheinung, den die künftig erzielbare Geldeinheit gegenüber der gegenwärtig verfügbaren Geldeinheit erleidet.


Inflationäre Spekulationsblase

Die extremen Tiefstände der Zentralbankzinsen und der Staatsanleiherenditen lösen weitreichende Effekte aus. Wenn die Zinsen für Bankguthaben, kurz- und langfristige Anleihen null oder negativ sind, weichen Anleger früher oder später aus. Sie fragen zum Beispiel Aktien und Immobilien nach. Dadurch steigen deren Preise an, so dass bei unveränderten künftigen Unternehmensgewinnen und Mieten (und Bewertungsmaßstäben) die erzielbaren Renditen abnehmen.

Wer also (ver-)spät(-et) in die inflationierten Vermögensmärkte investiert, kann nur noch geringe(re) Renditen erzielen. Wenn hingegen die Erwartung um sich greift, dass die künftigen Gewinn- und Mietzahlungen ebenfalls inflationsbedingt ansteigen werden, dann vergrößert sich selbstverständlich das Ausmaß der Preisinflation, und entsprechend lassen sich auch noch höhere inflationsbedingte Renditen erzielen - bis auch hier irgendwann die Ernüchterung eintritt.

Damit das nicht so schnell passiert, muss die extreme Niedrigzinspolitik der Zentralbanken begleitet sein von einer kräftigen, fortgesetzten Geldmengenausweitung. Sie ermöglicht nicht nur das Ansteigen der Vermögenspreise aufgrund des gesunkenen Zinses. Die Aussicht auf eine chronische Geldmengenvermehrung inflationiert auch die erwarteten künftigen Einzahlungen und vergrößert dadurch die Vermögenspreisinflation.

Doch bekanntlich kann eine Inflationspolitik ihre "belebende Wirkung" nur solange entfalten, wie die tatsächliche Inflation die erwartete Inflation übersteigt. Es muss also eine - wie die Ökonomen es bezeichnen - fortgesetzte "Überraschungsinflation" geben. Bislang ist das den Zentralbanken ganz offensichtlich gelungen.

Dieses "Kunststück" wurde vor allem deshalb möglich, weil die Zentralbanken die Kreditausfallrisiken gezielt beruhigt haben. Wie Abb. 3 zeigt, hat das Eingreifen der US-Zentralbank (Fed) nunmehr das "Stressniveau" in den Finanzmärkten auf ein historisches Tief gesenkt. Die Fed hat nämlich den Finanzmärkten de facto zugesichert, keine Zahlungsausfälle systemrelevanter Akteure zuzulassen, den Kreditmarkt also zu stützen, wann immer das als politisch erforderlich angesehen wird.

Das "unsichtbare Sicherheitsnetz", das die US-Zentralbank unter die Finanzmärkte gespannt hat - und alle anderen bedeutenden Zentralbanken eifern ihr darin nach -, treibt den Kreditfluss an, verleitet Investoren, neue Risiken einzugehen, und die inflationäre Spekulationsblase wird weiter aufgeblasen.

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Quelle: Refinitiv; Berechnungen Degussa. *Steigt (fällt) die Linie, steigt (fällt) der "Stress" in den Finanzmärkten.



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