Die Inflation, die Aktien und das Gold ...
17.12.2021 | Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Inflation und UnternehmensgewinneMan sollte nicht denken, Aktien müssten per se von der Inflation profitieren, da sie "Sachwerte" seien; weil Aktien, anders als beispielsweise Anleihen, keine festgelegten nominalen Zahlungsversprechen repräsentieren, müssten sie in Inflationszeiten ebenfalls teurer werden, das heißt Kursgewinne erzielen. Dass diese Überlegung nicht richtig ist, wird offenkundig, wenn man sich vor Augen führt, wie sich der Kurs einer Unternehmensaktie erklärt. Die Bewertungsformel lautet, vereinfacht gesagt, wie folgt: Man schätzt die Summe aller künftigen Gewinne des Unternehmens und zinst sie auf die Gegenwart ab.
Der auf diesem Wege ermittelte "Barwert" korrespondiert mit dem "fairen" Börsenkurs (von Übertreibungen und Fehleinschätzungen sei an dieser Stelle abgesehen).
Eine wichtige Größe dabei ist ganz offenkundig der (künftige) Unternehmensgewinn. Er ergibt sich, vereinfacht gesprochen, als Differenz zwischen Umsatz und Kosten. Und damit lässt sich schon erahnen, wie Inflation den Unternehmensgewinn beeinflussen kann. Treibt beispielsweise die Inflation die Umsätze stärker in die Höhe als die Kosten, steigt der Gewinn. Steigen aber inflationsbedingt die Kosten stärker als die Umsätze, schrumpft der Gewinn. In der Realität ist die Wirkung der Inflation allerdings komplex(er), und um sie besser verstehen zu können, dienen die nachstehenden Erläuterungen.
1. Inflation kann Geschäftsmodelle schädigen. Die Inflation verringert die Kaufkraft vieler Nachfrager, beispielsweise weil die Löhne erst mit einer zeitlichen Verzögerung an die erhöhte Inflation angepasst werden. Die Inflation zwingt die Menschen, ihre bisherige Nachfrage umzugestalten beziehungsweise einzuschränken.
Konsumenten weichen bei Inflation beispielsweise auf günstigere Produkte aus, meiden die verteuerten Produkte: Die Nachfrager kaufen nicht mehr teure Fleischprodukte, sondern fragen stattdessen verstärkt günstigere Mehlprodukte nach. Fleischanbieter erleiden einen Nachfrageeinbruch, Anbieter von Mehlprodukten sehen sich verstärkter Nachfrage gegenüber. Die Inflation kann folglich einigen Unternehmen schaden, anderen eine Verbesserung ihrer Gewinnlage bescheren; sie kann allerdings auch die Gewinnlage aller Unternehmen herabsetzen.
2. Inflation provoziert Fehlinvestitionen. Inflation verzerrt die Preissignale, weil sie die Preise unterschiedlicher Güter zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichem Ausmaß verändert. Anders gesagt: Es kommt zu einer Verschiebung der Güterpreisrelationen. Das verleitet so manches Unternehmen zu Fehlinvestitionen. Beispielsweise bemerkt Anbieter A, dass plötzlich die Preise für seine Verkaufsgüter im Markt stark steigen.
Das ist für ihn das Signal, die Produktion auszuweiten, mehr Arbeitskräfte einzustellen, neue Maschinen einzukaufen, neue Produktionsstätten zu errichten. Doch nicht nur Anbieter A macht die "glückliche Erfahrung", dass die Marktpreise seiner Verkaufsgüter ansteigen. Vielen anderen Anbietern geht es genauso - und auch sie fühlen sich ebenfalls ermutigt, ihre Produktion auszuweiten.
Nach dem anfänglichen "Boom" der Geschäfte stellt sich jedoch bald Ernüchterung ein. Die Nachfrage nach den Gütern bleibt nicht dauerhaft erhöht, sondern vielmehr tritt das ein, was unter (1) bereits ausgeführt wurde: Die Nachfrage fällt letztlich geringer aus als von den Produzenten erhofft. Daraufhin müssen sie ihre Investitionen stoppen und liquidieren. Arbeitskräfte werden entlassen, Firmenteile verkauft, Produktionsanlagen stillgelegt.
Die neuen Investitionen erweisen sich als "Flop", als Fehlinvestitionen. Kapital wurde "in den Sand" gesetzt, es steht nicht mehr für andere, wichtige Ersatz- und Erweiterungsinvestitionen zur Verfügung. Wenn Investoren plötzlich erkennen, dass sie zu optimistische Gewinnerwartungen für ein Unternehmen hatten und sie sie an die Realität anpassen, ist absehbar, was passiert: Der Aktienkurs fällt, vielleicht stürzt er sogar ab.
3. Inflation führt zur Besteuerung von Scheingewinnen. Unternehmen erstellen ihre Bilanz und ihre Gewinn- und Verlustrechnung in nominalen Geldbeträgen. In Zeiten von Inflation kann das aber zu großen Problemen führen. Nehmen wir an, ein Unternehmen verkauft ein Produkt für 100 Euro, für dessen Erzeugung bereits eingekaufte Vorleistungsgüter für 30 Euro eingesetzt wurden. Der Gewinn beträgt 70 Euro (also Umsatz von 100 Euro minus 30 Euro für Vorleistungsgüter). Darauf muss das Unternehmen Gewinnsteuer zahlen in Höhe von, sagen wir, 20 Prozent. Es verbleibt ein Gewinn nach Steuern von 56 Euro (also 70 Euro Gewinn minus Steuern in Höhe von 14 Euro).
Nun hat die Inflation jedoch die Vorleistungsgüter bereits auf, sagen wir, 80 Euro verteuert. Der inflationsbereinigte, der "echte Gewinn" des Unternehmens beträgt daher nur 20 Euro (also 100 Euro Umsatz minus die "echten Kosten" in Höhe von 80 Euro für die Vorleistungsgüter). Die Besteuerung der nominalen Gewinne in Inflationszeiten verursacht demnach einen Substanzverlust für das Unternehmen. Die Inflation wirkt wie eine zusätzliche Steuer (und daher wird sie auch häufig treffend als "Inflationssteuer" bezeichnet). Sie entzieht dem privaten Unternehmenssektor Ressourcen und überträgt sie an den Staat.
Wenn es den Unternehmen also nicht gelingt, in ihren Absatzpreise frühzeitig die künftige Inflation "einzubauen", droht ihnen eine erhöhte reale Besteuerung ihrer (Schein-)Gewinne, die ihnen weniger Mittel übrig lässt, um sie in den eigenen Geschäftsbetrieb zu re-investieren und/oder an die Aktionäre auszuschütten. Die Besteuerung von (Schein-)Gewinnen ist also negativ für das Unternehmen - und folglich auch für seinen Aktienkurs.
4. Inflation treibt den Kapitalbedarf in die Höhe. Inflation verteuert die Güter, die die Unternehmen einkaufen müssen, um produzieren zu können - wie Energie, Mieten, Löhne etc. Das wiederum erfordert einen erhöhten Kapitaleinsatz. Doch wie lässt der sich finanzieren? Die Gewinne sind in Inflationszeiten für viele Unternehmen nicht ausreichend, um eine sich verteuernde Produktion zu finanzieren. Wenn die Innenfinanzierung also nicht genug hergibt, dann wird das Unternehmen auf die Außenfinanzierung zurückgreifen (müssen). Es kann neue Aktien ausgeben und/oder Kredite aufnehmen (also sich Darlehen bei Banken beschaffen und/oder Anleihen ausgeben).
Die Ausgabe von neuen Aktien führt zu einer Verwässerung der Altaktionäre - und ist nicht selten negativ für den Aktienkurs, denn der Unternehmensgewinn verteilt sich fortan auf eine größere Zahl von Aktien (das heißt, der Gewinn pro Aktie nimmt ab). Und ist zum Zeitpunkt der Aktienplatzierung der Aktienkurs "gedrückt", fällt der Negativeffekt für die Altaktionäre umso größer aus. Werden hingegen zusätzliche Kredite aufgenommen, steigen die Zinskosten, die den Unternehmensgewinn schmälern. Also auch das wird sich tendenziell negativ auf den Aktienkurs auswirken.
5. Inflation ruft unternehmerfeindliche Politiken auf den Plan. Unter Inflation leidet die breite Bevölkerung, vor allem untere und mittlere Einkommensverdiener: Die Kosten der Lebenshaltung steigen, die Kosten für Miete, Transport, Krankenversicherung etc. klettern in die Höhe. Das provoziert üblicherweise staatliche Eingriffe, die die Inflation "bekämpfen" sollen - wie den Erlass von "Mietpreisbremsen" oder anderen Preiskontrollen.
Dies wiederum kann für so manches Unternehmen problematisch werden: Wenn es einem Produzenten verwehrt wird, seine Güter zu erhöhten Absatzpreisen zu verkaufen, dann leidet bei steigenden Kosten seine Gewinnlage, im schlimmsten Falle rutscht er in die Verlustzone und muss seine Fertigung einstellen.